Am 12. und 13. September 2019 richtete die Arbeitsstelle Kleine Fächer an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz die Konferenz „Kleine Fächer: Entwicklungen – Strategien – Perspektiven“ aus. Zum Abschluss des BMBF-geförderten Projekts „Erfahrungsaustausch, Vernetzung und Förderung der Sichtbarkeit kleiner Fächer“ brachte die Konferenz rund 100 Akteure aus der Wissenschafts- und Hochschulforschung, Hochschulpolitik und –administration, Forschungsförderung sowie Fachvertreterinnen und Fachvertreter aus den kleinen Fächern selbst zusammen, um u.a. die folgenden Fragen zu beleuchten:
Nach der Eröffnung der Konferenz durch Begrüßungen und Grußworte von STEFAN MÜLLER-STACH (Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Johannes Gutenberg-Universität Mainz), MECHTHILD DREYER (Arbeitsstelle Kleine Fächer), MATTHIAS HACK (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und CHRISTIAN HINGST (Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz) führte der Wissenschaftsjournalist und Moderator ARMIN HIMMELRATH durch das Programm der Tagung. Die Vorträge und Podiumsdiskussionen wurden von einer Posterausstellung begleitet, in der zwanzig Forschungsprojekte aus den kleinen Fächern präsentiert wurden. Dabei waren als Förderinstitutionen/ -programme die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Kleine-Fächer-Wochen der Hochschulrektorenkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die Landesinitiative ‚Kleine Fächer‘ Baden-Württemberg und die VolkswagenStiftung Hannover vertreten.
ANTONIO LOPRIENO (All European Academies) beleuchtete in seinem Eröffnungsvortrag die Einbettung kleiner Fächer in den verschiedenen europäischen Hochschulsystemen. In einem historischen Abriss stellte er heraus, dass sich die Forschungsorientierung und damit zugleich auch die fachliche Ausrichtung der Wissenschaft erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts an den Akademien entwickelt habe und in den europäischen Universitätsmodellen des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Formen aufgegriffen worden sei. Die Ausrichtung der universitären Bildung auf die Vermittlung fachlicher Kompetenzen sowie die starke wissenschaftliche Orientierung sei dabei als ein Spezifikum der Universität im deutschsprachigen Raum (D, A, CH) zu verstehen. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Wandlungsprozesse auf institutioneller, organisatorischer und administrativer Ebene habe das „Fach“ in den 1990er Jahren allerdings auch im deutschen Hochschulsystem an Bedeutung verloren. Dabei stelle der Bologna Prozess lediglich eine Folge dieser Wandlungsprozesse – nicht ihre Ursache – dar. Zudem sei der Bologna-Prozess für den mitteleuropäischen Raum eher als kosmetische Reform zu verstehen, da er zwar die Studienarchitektur, nicht aber die Studieninhalte revolutioniert habe. Gerade in den kleinen Fächern sei der Gedanke eines kumulativen Studienmodells tief verankert, weshalb die Bologna-Reform mit ihrem konsekutiven Studienmodell die kleinen Fächer vor große Herausforderungen stelle. Loprieno plädierte in diesem Zusammenhang für eine deutlichere Differenzierung des Faches als (a) akademische Disziplin, (b) Studiengang und (c) administrative Einheit, deren Überlappung nur im deutschen Hochschulsystem in diesem Ausmaß gegeben sei. Als weitere Herausforderung für die kleinen Fächer benannte Loprieno die im Zuge der universitären Profilbildung ausgegebenen widersprüchlichen Marschrichtungen, einerseits die Lehre (Bologna-Reform), andererseits die Forschung (Rankings) oder wiederum die Innovation (digitale Transformation) in den Vordergrund zu stellen. In letzterer, der Fokussierung auf Innovation und Digitalisierung, sah Loprieno aber auch eine entscheidende Chance für die kleinen Fächer. So begünstigten der digitale Wandel und die Innovationsorientierung die transdisziplinäre Zusammenarbeit, für welche die kleinen Fächer besonders gut aufgestellt seien. Entscheidend sei es nun, dass die kleinen Fächer die Chancen des digitalen Wandels in Lehre und Forschung nutzten und ihre Kompetenzen in die sich wandelnde akademische Kultur einbrächten, anstatt auf eine antiquarische Rettung der Disziplinen in ihrer einstigen Gestalt zu beharren.
SYLVIA PALETSCHEK (Freiburg) nahm in ihrem Vortrag die kleinen Fächer aus Sicht der Universitätsgeschichte in den Blick. Dabei betonte sie zunächst die historische Kontingenz wissenschaftlicher Disziplinen sowie die Heterogenität der aktuell in der Kartierung gelisteten kleinen Fächer. Zudem merkte sie an, dass zu keinem Zeitpunkt alle Wissensfelder an den Universitäten institutionalisiert gewesen seien und auch keine der universitär institutionalisierten Disziplinen an allen Universitäten vertreten gewesen sei. Während der Begriff „kleines Fach“ vereinzelt ab Ende der 1950er Jahre Verwendung gefunden habe, sei bereits um 1900 die Rede von „Spezialfächern“ zu finden. Dieser Begriff habe zur Bezeichnung jener Fächer gedient, die an einer Universität über die sogenannte Grundausstattung hinaus vertreten gewesen seien. In der Regel seien Spezialfächer nur an wenigen großen Universitäten – bspw. in Berlin, Leipzig, München – institutionalisiert gewesen und hätten als prestigeträchtig gegolten. Nicht selten seien mit ihrer Einrichtung herrschafts- und (außen-)politische Interessen verbunden gewesen. Zudem habe mit Blick auf die Institutionalisierung mancher Spezialfächer die geographische Lage der Universität eine Rolle gespielt. Insgesamt sei die Einrichtung der sogenannten Spezialfächer vor dem Hintergrund einer großen Ausbauwelle um 1880 bis 1910 zu verorten, die u.a. der nationalen und historischen Identitätsstiftung, kolonialen Interessen sowie den Lehramtsfächern gegolten habe. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts habe sich ein weiterer Ausbau der Geisteswissenschaften zwischen 1955 und 1970 vollzogen, in dessen Zuge es auch zur weiteren Institutionalisierung von älteren und neueren Spezialfächern bzw. kleinen Fächern in größerer Breite gekommen sei. Viele von ihnen hätten in den Magister- und Promotionsstudiengängen als klassische Nebenfächer gegolten. Eine dritte Ausbauwelle identifizierte Paletschek für die Zeit zwischen den 1970er und Mitte der 1980er Jahre. Hier seien sowohl kleine als auch große Fächer ausgebaut worden. In den 1990er Jahren habe hingegen ein partieller Rück- und Umbau stattgefunden, wie Paletschek am Beispiel der Universität Freiburg erläuterte. Sie betonte in diesem Zusammenhang, dass die kleinen Fächer dabei relativ glimpflich davongekommen seien und führte als mögliche Gründe u.a. die Einbindung in größere Forschungs- und Lehrzusammenhänge sowie förderliche Akteurskonstellationen vor Ort an. Insgesamt sei hinsichtlich der Entwicklung des Fächerspektrums an deutschen Universitäten von relativ hohen Beharrungskräften zu sprechen, was sowohl positive als auch negative Aspekte mit sich brächte.
In ihrem gemeinsamen Vortrag stellten KATHARINA BAHLMANN und UWE SCHMIDT (Arbeitsstelle Kleine Fächer) in einem ersten Teil (a) die historischen Hintergründe der Untersuchung kleiner Fächer in Deutschland, (b) die Arbeitsdefinition ‚kleines Fach‘ sowie (c) zentrale Ergebnisse der Kartierung vor. Sie betonten, dass das Wachstum der Professurenzahl zwischen 2007 und 2017 in den kleinen Fächern (17%) zwar nahezu genauso hoch wie über alle Fächer hinweg (18%) sei, dass aber deutliche Unterschiede mit Blick auf die einzelnen Fachkulturen und Fachgruppen bestünden. Einen besonderen Fokus legten Bahlmann und Schmidt auf die Dynamiken der Differenzierung und Entdifferenzierung innerhalb der Gruppe der kleinen Fächer. In Übereinstimmung mit der Annahme einer fortschreitenden Differenzierung wissenschaftlicher Disziplinen zeigten sie auf, dass die Anzahl der kleinen Fächer stetig steige und insbesondere seit der ersten Kartierung kleiner Fächer in der BRD in den Jahren 1974/75 zahlreiche neue kleine Fächer entstanden seien. Ausführlicher gingen sie auf die Fächerneugründungen der letzten 20 Jahre ein. Unter diesen seien insbesondere Fächer an interdisziplinären Schnittstellen sowie Fächer mit einem hohen Anwendungsbezug zu finden. Die Kartierung der kleinen Fächer liefere aber auch Anhaltspunkte, dass die genannten Differenzierungsprozesse von Entdifferenzierungsprozessen begleitet würden. Dafür sprächen die in einigen Fällen zu beobachtenden (a) Lockerungen von Fachgrenzen, (b) Verluste facheigener Organisationseinheiten sowie (c) Verluste fachspezifischer Studiengänge, die sich nicht zuletzt im fachlichen Selbstverständnis der entsprechenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler niederschlügen. Auch die Schließung von kleinen Fächern an einzelnen Universitätsstandorten müsse in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden. Zur Annäherung an eine Deutung der Differenzierungs- und Entdifferenzierungsprozesse in den (kleinen) Fächern stellten Bahlmann und Schmidt abschließend ein Erklärungsmodell vor, das in Anlehnung an das Vierfunktionen-Schema Talcott Parsons‘ die Stabilität von wissenschaftlichen Disziplinen in Abhängigkeit von der Balance zwischen den einzelnen Systemfunktionen fasst. Dem Modell zufolge antworteten Disziplinen in ihrer Entwicklung nicht nur auf das wissenschaftliche Umfeld und den öffentlichen Diskurs, sondern seien ebenso der Wahrung der Systemstabilität verpflichtet. In einem im November 2019 beginnenden Folgeprojekt werde sich die Arbeitsstelle Kleine Fächer den Differenzierungs- und Entdifferenzierungsdynamiken näher widmen und Gründungs- und Schließungsprozesse kleiner Fächer eingehender untersuchen.
Die erste Podiumsdiskussion widmete sich den Perspektiven der Fachvertreterinnen und Fachvertreter auf die gegenwärtige Situation der kleinen Fächer. Mit THOMAS BOHLEN (Geophysik, Karlsruher Institut für Technologie), ALEXANDRA W. BUSCH (Klassische und Provinzialrömische Archäologie, Römisch-Germanisches Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie Mainz), CHRISTINE CHOJNACKI (Indologie, Université Lyon 3), FLEUR KEMMERS (Numismatik, Goethe-Universität Frankfurt), MARTIN JOACHIM KÜMMEL (Indogermanistik, Friedrich-Schiller-Universität Jena) und CAROLINE SPORLEDER (Digital Humanities, Georg-August-Universität Göttingen) waren auf dem Podium Vertreterinnen und Vertreter sowohl kleinerer als auch größerer, älterer und jüngerer kleiner Fächer, diverser Fachkulturen sowie universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen vertreten. Zudem brachten die Diskutantinnen und Diskutanten sowohl Erfahrungen mit dem deutschen Hochschulsystem als auch Erfahrungen mit den Hochschulsystemen der Nachbarländer ein. Dabei wurde der Umstand, dass manche kleine Fächer zwar in Deutschland, nicht aber in allen Nachbarländern als eigenständige Fächer gölten, insofern unterschiedlich bewertet, als mit Blick auf die deutsche Situation dem Vorteil der Eigenständigkeit und Sichtbarkeit der Nachteil des Daseins als Einzelkämpfer*in entgegengestellt wurde. Besondere Herausforderungen wurden im Zuge der Diskussion insbesondere mit Blick auf Studium und Lehre sowie die Gewinnung des wissenschaftlichen Nachwuchses benannt. So kam unter anderem der in manchen kleinen Fächern deutliche Verlust an fachspezifischen Studiengängen zur Sprache. Zudem seien manche geisteswissenschaftliche kleine Fächer – bspw. auf Grund besonderer sprachlicher Anforderungen – für Studierende aus dem In- und Ausland nur bedingt attraktiv. Darüber hinaus werde die Gewinnung von geeigneten Doktorandinnen und Doktoranden an einigen Universitäten durch zu eng gestrickte Promotionsordnungen gehemmt. Einige jüngere kleine Fächer stünden mit Blick auf die Anwerbung des wissenschaftlichen Nachwuchses insofern vor besonderen Herausforderungen, als sie diesen aus anderen Fächern rekrutieren müssten. Zur Verbesserung der Situation sowie der Wahrnehmung und Bedeutung kleiner Fächer sprachen sich viele der Fachvertreterinnen und Fachvertreter für breite Bachelorstudiengänge aus, mit deren Hilfe Studierende gelockt und Synergieeffekte geschaffen werden könnten. Die fachspezifische Spezialisierung solle hingegen im Zuge des Masterstudiums erfolgen. Zudem müsse bei der Benennung und Konzeption der Studiengänge die Perspektive der Studierenden stärker berücksichtigt und häufiger auf internationale Masterprogramme gesetzt werden. Einig waren sich die Fachvertreterinnen und Fachvertreter auch dahingehend, dass an einer starken interdisziplinären Vernetzung auf den unterschiedlichen Ebenen kein Weg vorbeiführe und neben die eigene fachliche Identität ein weiteres Selbstverständnis kleiner Fächer als Teil größerer Einheiten treten müsse.
Die Frage nach geeigneten Förderformaten für kleine Fächer diskutierten auf dem Podium HANS-DIETER BIENERT (Deutsche Forschungsgemeinschaft), CLAUDIUS GEISLER (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz), HORST HIPPLER (Hochschulrektorenkonferenz), DOROTHEA RÜLAND (Deutscher Akademischer Austauschdienst), ANNETTE STEINICH (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und ANTJE TEPPERWIEN (VolkswagenStiftung Hannover). Dabei wurde die Förderung der kleinen Fächer nicht nur im Sinne der klassischen Forschungsförderung als Setzung von Impulsen thematisiert. Stattdessen geriet recht schnell auch die grundsätzliche Frage in den Blick, inwiefern Förderformate Strukturveränderungen bzw. -erhalt für die kleinen Fächer begünstigen können. Die einzelnen Förderinstitutionen versuchten dieser Frage im Rahmen ihrer Programmlinien Rechnung zu tragen, wählten dazu aber durchaus unterschiedliche Wege: Während bspw. das BMBF im Rahmen der Förderlinie „Kleine Fächer – Zusammen stark“ die Möglichkeit einer zusätzlichen Transferphase einräumt, adressiert die VolkswagenStiftung mit der Initiative „Weltwissen – strukturelle Stärkung ‚kleiner Fächer“ (Förderlinie 1) Strategiekonzepte, die von den Vertreterinnen bzw. Vertretern kleiner Fächer und den Hochschulleitungen gemeinsam getragen werden müssen. Gleichzeitig räumten die Diskussionsteilnehmenden ein, dass nicht alle Herausforderungen, vor denen einige der kleinen Fächer stünden, über Förderformate gelöst werden könnten. Während einem bundesweiten Masterplan zur Förderung kleiner Fächer von unterschiedlichen Seiten eine klare Absage erteilt wurde, wurde dennoch angemahnt, dass es einer stärkeren Koordinierung und Verzahnung der Projektförderung und Strukturentwicklung an den Hochschulen bedürfe. Zu einer ambivalenten Einschätzung kam die Diskussion auch hinsichtlich der Rolle der Politik: Wenngleich die Politik die Beantwortung der Frage, welche inhaltlichen Schwerpunkte zu setzen seien, einerseits der Wissenschaft überlassen sollte, werde andererseits die Wissenschaft gleichwohl für gesellschaftspolitische Bedarfe in den Dienst genommen. Dies spiegle sich nicht zuletzt auch in der Förderpolitik wider. Als Beispiel wurden hier die kleinen Fächer mit regionalwissenschaftlichem Fokus genannt, die u.a. mit Blick auf die Außenpolitik unverzichtbar seien.
Die hohen Kooperationspotenziale kleiner Fächer mit Blick auf interdisziplinäre Vorhaben verdeutlichte LUTZ KÄPPEL (Kiel) in seiner Präsentation zum Exzellenzcluster „ROOTS – Konnektivität von Gesellschaft, Umwelt und Kultur in vergangenen Welten“ der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das Exzellenzcluster widme sich einer diachronen Betrachtung von Mensch-Umwelt-Beziehungen. Es ziele in einem breit interdisziplinär angelegten Rahmen – der Geistes- und Naturwissenschaften in einem ganzheitlichen Forschungsansatz verbinde – auf die Erforschung von Prozessen, die die Gesellschaften der Menschheit prägten. Im Kern werde ROOTS von den kleinen Fächern – u.a. der Ur- und Frühgeschichte, Gräzistik, Geophysik sowie vielen altertumswissenschaftlichen Fächern – getragen. In seinem Vortrag machte Lutz Käppel deutlich, dass der 2019 bewilligten Förderung als Exzellenzcluster ein langer Prozess zur Entwicklung substantieller Schwerpunkte vorausgegangen sei, der um 2006 begonnen und u.a. über die Einwerbung einer Graduiertenschule, eines Sonderforschungsbereichs und ERC-Grants geführt habe. Dabei betonte Lutz Käppel auch die strategischen Aspekte der gemeinsamen Forschungsvernetzung und erläuterte, dass zur Steigerung der Sichtbarkeit kleiner Fächer insbesondere die Offenheit für interdisziplinäre Fragestellungen, die Relevanz der eigenen Forschungsfragen, ein hohes Selbstbewusstsein hinsichtlich der eigenen Fachinhalte und Methoden, aber auch der Mut zur wissenschaftlichen Innovation und somit zur Neudefinition des eigenen Faches beitrügen. Mit Blick auf die Struktur der eigenen Universität bzw. Fakultät habe das Cluster insofern Auswirkungen, als Neuberufungen unter einem hohen Einfluss des Clusters stünden. So seien u.a. Professuren an interdisziplinären Schnittstellen neu geschaffen worden, bspw. für Umweltarchäologie, Paläoklimatologie oder Sozialarchäologie. Ob sich hieraus in Zukunft neue (kleine) Fächer bildeten, ließe sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht abschätzen.
MECHTHILD DREYER (Arbeitsstelle Kleine Fächer) stellte Empfehlungen zum strategischen Umgang mit kleinen Fächern am Hochschulstandort Deutschland vor, die aus zwei Expert*innen-Workshops der Arbeitsstelle Kleine Fächer im Januar und Oktober 2018 hervorgegangen sind. An den Workshops waren jeweils ca. 25 Teilnehmende aus den kleinen Fächern selbst, aus Fachgesellschaften, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Hochschuladministration und -politik, Wissenschaftsförderung und Wissenschaftsforschung beteiligt. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Workshops lagen auf inneruniversitären Strategien der Entwicklung kleiner Fächer sowie auf der Zusammenführung kleiner Fächer in größeren Organisationseinheiten. Als generelle Ergebnisse wurden festgehalten, dass keine Patentlösungen der strategischen Weiterentwicklung kleiner Fächer existierten, Strukturaspekte aber im Vordergrund der Hochschulstrategie stehen sollten. Ferner sei es empfehlenswert, die strategische Weiterentwicklung kleiner Fächer für die Stärkung der Profilmerkmale einer Universität zu nutzen. Bei der Orientierung an Kennzahlen müsse berücksichtigt werden, dass sich kleine Fächer in vielerlei Hinsicht von anderen Fächergruppen unterschieden. Weitere Empfehlungen beträfen die Bereiche Governance und Strukturentwicklung, den Zusammenschluss kleiner Fächer zu größeren Organisationseinheiten sowie das Engagement der kleinen Fächer selbst.
Zur Diskussion der strategischen Weiterentwicklung kleiner Fächer waren auf dem Podium ROSE MARIE BECK (Dekanin der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften, Universität Leipzig), JULIANE BESTERS-DILGER (Prorektorin für Studium und Lehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), CORA DIETL (stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Philosophischen Fakultätentags) und HORST HIPPLER (ehemaliger Präsident der Hochschulrektorenkonferenz) vertreten. Alle vier teilten die Einschätzung, dass sich in Deutschland die Diskussion um die und innerhalb der kleinen Fächer in den letzten Jahren deutlich gewandelt habe und stärker von einem konstruktiven Blick in die Zukunft geprägt sei. Dies äußere sich im besten Falle auch darin, dass in einzelnen Hochschulen stärker auf den Dialog mit den kleinen Fächern gesetzt werde, um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Die Leitungen von Hochschulen, Fakultäten und Fachbereichen sollten die kleinen Fächer mit Blick auf zentrale Entscheidungen – bspw. zur Wiederbesetzung oder Neuausrichtung von Professuren – aber nicht nur einbeziehen, sondern auch einen präzisen Blick entwickeln, um divergierende Interessen an der eigenen Einrichtung zu identifizieren und Innovationspotenziale zu erkennen. Wichtig sei es auch, dass Hochschulleitungen die besondere Situation kleiner Fächer berücksichtigten. So dürfe bei der Leistungsmessung bspw. nicht allein auf Studierendenzahlen geschaut werden. Stattdessen sollten auch Leistungsdimensionen wie eingeworbene Drittmittel, Beteiligung an Verbundforschungsvorhaben, international ausgerichtete Studiengänge u.a. berücksichtigt werden. Als problematisch wurde gesehen, dass die Wiederbesetzung einer Professur in einem kleinen Fach vielerorts allein von der Past Performance der bisherigen Stelleninhaberin bzw. des bisherigen Stelleninhabers abhängig gemacht werde. Empfohlen wurde demgegenüber, die Optionen für eine Wiederbesetzung zu klären und Informationen darüber einzuholen, wer in dem jeweiligen kleinen Fach aktuell berufbar sei. Betont wurde darüber hinaus, dass nicht nur die kleinen Fächer, die sich aktuell im Abbau befänden, der besonderen Beachtung von Seiten der Hochschulleitungen bedürften, sondern dass die Hochschulen auch die jungen kleinen Fächer und emerging fields unterstützen müssten eigene Strukturen aufzubauen. Die Diskussion brachte aber nicht nur Empfehlungen hinsichtlich der Steuerung kleiner Fächer zutage, sondern adressierte auch die besonderen Herausforderungen, vor denen die kleinen Fächer selbst stünden. So gäbe es auf Seiten der kleinen Fächer viele Verlustängste, mit denen die Fachvertreterinnen und Fachvertreter umzugehen hätten – Ängste des Autonomieverlusts, Sichtbarkeitsverlusts, Identitätsverlusts, Nachwuchsverlusts u.v.m. Entgegen dieser Ängste hätten sich die kleinen Fächer insbesondere auf der Ebene von Studium und Lehre für die Vernetzung mit anderen Fächern zu öffnen. Zudem sollten die Professorinnen und Professoren in den kleinen Fächern eine größere Verantwortung für den wissenschaftlichen Nachwuchs übernehmen und Antworten auf die zum Teil fehlenden Perspektiven von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler finden. Insofern seien nicht nur die Hochschul-, Fakultäts- und Fachbereichsleitungen vor die Aufgabe gestellt, Strategien mit Blick auf die kleinen Fächer zu entwickeln. Auch die kleinen Fächer selbst hätten sich strategisch aufzustellen, um ihre Weiterentwicklung zu befördern. Als zentrale Punkte kamen hier neben der nationalen und internationalen Vernetzung in Forschung und Lehre sowie dem Aufzeigen der eigenen Unverzichtbarkeit u.a. eine stärkere Wissenschaftskommunikation, die Nutzung digitaler Chancen zur Weiterentwicklung von Studiengängen und schließlich das selbstbewusste Aufzeigen der hohen gesellschaftlichen Relevanz des eigenen Faches zur Sprache.
In einem abschließenden Resümee betonte UWE SCHMIDT (Arbeitsstelle Kleine Fächer), dass die kleinen Fächer trotz aller Strukturprobleme extrem leistungsfähig seien und große Potenziale besäßen, wie unter anderem die hohe Beteiligung der kleinen Fächer an der Exzellenzinitiative zeige. Was die im Zuge der Konferenz thematisierten Herausforderungen anbelange, so gölten diese zum Teil zwar auch für manche großen Fächer. Dies dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Konsequenzen auf der Strukturebene für die kleinen Fächer oft als deutlich gravierender erwiesen und daher einer näheren Betrachtung bedürften. Weiter zu untersuchen sei u.a. auch die Frage nach der Wirkung von Steuerungsindikatoren für die kleinen Fächer. Für die zukünftige Arbeit nehme er mit, dass die Arbeitsstelle Kleine Fächer die langfristigen und nicht-intendierten Effekte von Wandlungsprozessen im Hochschulsystem (bspw. des Bologna-Prozesses) stärker in den Blick nehmen sollte. Zudem habe die Konferenz die Heterogenität der kleinen Fächer sowie die Diversität ihrer Kontexte hervorgehoben, die ebenfalls eine größere Aufmerksamkeit in den Untersuchungen der Arbeitsstelle Kleine Fächer verdienten. Ziel der Arbeitsstelle Kleine Fächer sei es, über die Kartierung und Untersuchung der kleinen Fächer eine höhere Evidenzbasierung von Entscheidungen mit Blick auf die kleinen Fächer zu ermöglichen. Abschließend bat Schmidt die Anwesenden um eine Fortsetzung des gemeinsamen Austauschs, den die Arbeitsstelle als ausgesprochen konstruktiv erlebe und der sie in ihrer Arbeit sehr unterstütze.
Download des Programms zur Tagung "Kleine Fächer: Entwicklungen - Strategien - Perspektiven"
Download der Dokumentation zur Tagung "Kleine Fächer: Entwicklungen - Strategien - Perspektiven"
Eröffnungsvortrag zur internationalen Bedeutung Kleiner Fächer von Prof. Dr. Antonio Loprieno, Präsident des europäischen Dachverbands der Akademien der Wissenschaften "All European Academies".
Vortrag 1: Der Blick der Universitätsgeschichte auf die Kleinen Fächer. Prof. Dr. Sylvia Paletscheck, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Vortrag 2: Die Differenzierung und Entdifferenzierung von Disziplinen aus Perspektive der Hochschulforschung: Das Beispiel der Kleinen Fächer. Prof. Dr. Uwe Schmidt & Dr. Katharina Bahlmann, Arbeitsstelle Kleine Fächer.
Resümee zur strategischen Entwicklung Kleiner Fächer. Prof. Dr. Mechthild Dreyer, Arbeitsstelle Kleine Fächer.
Gefördert durch die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
01 _ Altägyptische Kursivschriften. Projektansprechpartnerin: Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen
Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
02 _ Die Aushandlung religiöser Unterschiede. Theologische Positionen zum Umgang mit religiöser Diversität im Libanon. Projektansprechpartner: Dr. Stefan Maneval
03 _ FuturEN - Governance, Identitäten und Zukunft von Differenzkategorien in Zentralkalimantan, Indonesien. Projektansprechpartnerin: Dr. Kristina Großmann
04 _ GeKo-transkult - Gerontologische Konzepte in einer vielfältigen Gesellschaft. Projektansprechpartnerin: Dr. Anamaria Depner
05 _ Zukunftsenergie - Gespaltene Gesellschaft - Die lokale Geschichte der Kernenergie in Deutschland und Großbritannien. Projektansprechpartner: Dr. Christian Götter
06 _ Erfahrungsaustausch, Vernetzung und Förderung der Sichtbarkeit Kleiner Fächer. Projektansprechpartnerinnen: Katharina Haas & Stefanie Hoffmann
07 _ Das Portal Kleine Fächer (digitale Präsentation). Projektansprechpartner: Frederic von Vlahovits (für die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz)
Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW
08 _ Ein deutsches Handelshaus in Japan: Die internationale Geschäftskorrespondenz von L. Kniffler & Co., 1859-1876. Projektansprechpartner*in: Prof. Dr. Katja Schmidtpott, Tristian Pfeil
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
09 _ Jewish Sceptisim. Projektansprechpartner: Prof. Dr. Giuseppe Veltri
10 _ Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Universalität, Spezifität und Tradierung. Projektansprechpartnerin: Prof. Dr. Tanja Pommerening
11 _ Understanding written artefacts: Material, Interaction and Transmission in Manuscript Cultures. Projektansprechpartner: Prof. Dr. Michael Friedrich
12 _ Transottomanica: Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken. Projektansprechpartner: Dr. Florian Riedler
13 _ Grenze als Schlüsselkonzept für Konstruktionen soziokultureller Differenzen im (trans)osmanischen Kontext: Wissenszirkulation, Begriffswandel und Transformationsprozesse im 16.-19. Jahrhundert. Projektansprechpartnerin: Dr. Barbara Henning
Gefördert im Rahmen der Kleine Fächer_Wochen an deutschen Hochschulen, Hochschulrektorenkonferenz & Bundesministerium für Bildung und Forschung
14 _ explorer4aday #explorer4aweek - Alltag in den Kleinen Fächern der Altertums- und Geschichtswissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Projektansprechpartnerin: Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen
15 _ Kleine Fächer - kulturelle Vielfalt, Otto Friedrich-Universität Bamberg. Projektansprechpartner: Prof. Dr. Sebastian Kempgen
16 _ Musiktherapie im Spannungsfeld gesellschaftlicher Herausforderungen - ein Verbundprojekt zu Lehre, Forschung und Praxis. Projektansprechpartnerin: Prof. Dr. Dorothee von Moreau
Gefördert durch die Landesinitivative 'Kleine Fächer' Baden-Württemberg
17 _ Archäologie der Zukunft - Direktvermittlung Wissen. Projektansprechpartner: Prof. Dr. Gunter Schöbel
18 _ iBRIDGE. Projektansprechpartner: Prof. Dr. Thomas Bohlen
19 _ Masterclass Keilschriftepigraphie. Projektansprechpartnerin: Saskia Baderschneider
20 _ Vernetzt lernen, forschen, vermitteln. Projektansprechpartnerin: Dr. Karin Bürkert
Gefördert durch die VolkswagenStiftung Hannover
21 _ New Measures for Engaging with Medical Ethics (New MEMEs): Exploring participative approaches for an extended discourse on human germline editing. Projektansprechpartnerin: Danielle Norberg
22 _ Recalibrating Afrikanistik (RecAf). Projektansprechpartnerin: Prof. Dr. Rose Marie Beck