(© Forschungsinstitut und Beratungsstelle für Sprachrehabilitation, Universität zu Köln)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Das Fach beschäftigt sich mit Sprach- und Kommunikationsstörungen, ihren Grundlagen und Entstehungsursachen sowie mit ihrer Diagnostik und Therapie. Einer der Ausgangspunkte in der Entwicklung des Fachs sind die ab dem 19. Jahrhundert entstehenden systematischen Falldarstellungen von Patienten, die nach einer Hirnschädigung ihre Sprachfähigkeit weitgehend verloren hatten. Bis heute hat sich der Forschungsbereich stark ausgeweitet und umfasst neben der Erforschung von Sprachstörungen im engeren Sinne, auch Schriftsprach- bzw. Lese-Rechtschreibstörungen, (kognitive) Kommunikationsstörungen, sowie Beeinträchtigungen des Sprechens, des Redeflusses, der Stimme und des Schluckens bei Erwachsenen und Kindern.

Das Fach ist genuin inter- und transdisziplinär; die Forschung findet auf der Schnittstelle von so unterschiedlichen Disziplinen wie Linguistik, Psychologie und Pädagogik sowie Medizin und Neurowissenschaften statt. Dies bedeutet für die Arbeit im Fach einerseits, die Ergebnisse und Entwicklungen dieser Disziplinen miteinander zu verknüpfen und in die Theorien und Modelle unseres Fachs zu integrieren. Andererseits ist auch das methodische Spektrum des Fachs durch diese Bezugsdisziplinen geprägt. Die Methoden umfassen beispielsweise die empirische und experimentelle Verhaltensuntersuchung, Ansätze der Hirnforschung, sowie die Anwendung von linguistischen Beschreibungstechniken und Analysen von Sprachäußerungen.

Charakteristisch für das Fach ist außerdem die wechselseitige Verknüpfung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Zum einen kann Grundlagenwissen über Theorien und Modelle der unbeeinträchtigten Sprachverarbeitung eingesetzt werden, um die Versorgung von Personen mit Sprach- oder Kommunikationsstörungen zu verbessern. Beispielsweise erfolgt so auf der Basis von theoretischem Wissen die Entwicklung von Erklärungs- und Beschreibungsansätzen für Sprachstörungen, die Erprobung von Präventionsmaßnahmen, die Erstellung von Testverfahren und Materialien in Diagnostik und Therapie sowie die Wirksamkeitsprüfung dieser Maßnahmen. Andererseits erhält auch die Grundlagenforschung im Fach wichtige Impulse aus der Anwendungsforschung. Hier bieten Untersuchungsergebnisse zu beeinträchtigter Sprache und Kommunikation wertvolle und oft entscheidende Daten für die Evaluation und Weiterentwicklung von Theorien und Modellen.

Das Besondere an der Arbeit im Fach ist also, dass es als Brückendisziplin verstanden werden kann, die theoretische Grundlagen und angewandte Forschung auf Basis von Wissen aus Medizin, Natur- und Geisteswissenschaften miteinander verknüpft.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Für ein interdisziplinär ausgerichtetes Fach wie unseres bestehen gute Rahmenbedingungen immer dann, wenn die verschiedenen Disziplinen im gegenseitigen Austausch sind. Dies bietet der Fachstandort Köln durch die strukturelle Einbindung in Sonderpädagogische Fachrichtungen und Rehabilitationswissenschaften sowie durch weitere Einrichtungen wie beispielsweise das Universitätsklinikum. Von den Kooperationen vor Ort, im weiteren Umfeld und im (inter-)nationalen Kontext profitieren die Forschungsaktivitäten ebenso wie die Lehre in dem vom Fach verantworteten B.A. Studiengang Sprachtherapie sowie in den sonderpädagogischen Lehramtsstudiengängen.

Eine große Bereicherung besteht außeruniversitär auch in dem inzwischen großen Netzwerk unserer Kooperationspraxen und -kliniken in Köln und dem Umland. Dieses bietet ein breites Angebot für die Studierenden der Sprachtherapie, ihre studienbegleitenden Praktika zu absolvieren. Im Austausch mit Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie Einrichtungen für Wissenstransfer vor Ort können zudem praxisorientierte Forschungs- und Drittmittelprojekte unterstützt werden. Eine besondere Schnittstelle für Forschung und Lehre am Lehrstuhl besteht mit dem Forschungsinstitut und Beratungsstelle für Sprachrehabilitation (FBS), in dem aktuelle Forschungsprojekte und Qualifikationsprojekte im Fach, Angebote für Studierende zu Lehrveranstaltungen und Abschlussarbeiten, sowie die Beratung von Betroffenen mit neurologisch bedingten Sprach-, Sprech- und Kommunikationsstörungen zusammengeführt werden.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

In der Öffentlichkeit wird die große gesellschaftliche Relevanz von Beeinträchtigungen der Sprache und Kommunikation zunehmend erkannt. Auch wenn man sich immer wünschen kann, dass dies in noch größerem Umfang geschieht, ist positiv, dass auch der fachwissenschaftliche Beitrag hierzu und die neueren Forschungsergebnisse wahrgenommen und geschätzt werden. Denn sprachlich-kommunikative Beeinträchtigungen, die nicht ausreichend erkannt und versorgt werden, haben enorme gesellschaftliche Konsequenzen. Beispiele sind hier verringerte Bildungs- und Berufschancen von Kindern mit Lese-Rechtschreibstörungen oder die gescheiterte berufliche Wiedereingliederung bei Personen mit Kommunikationsstörungen nach Schlaganfall oder Hirnverletzung. Neben der gesellschaftlich-ökonomischen Relevanz bestehen für die Betroffenen von Sprach- und Kommunikationsstörungen sowie deren Angehörige vielfältige Auswirkungen auf die gesellschaftliche Teilhabe und die kommunikationsbezogene Lebensqualität. Hier ist auch zukünftig das Fach gefragt, Ansätze weiterzuführen, um diese Auswirkungen frühzeitig zu erkennen und umfassend zu diagnostizieren.

Ein weiteres wichtiges Thema für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ergibt sich durch die Verantwortung des Fachs für Studiengänge mit berufsqualifizierenden Abschlüssen in der akademischen Sprachtherapie. Hier zeichnet sich, wie aktuell auch in einigen anderen Professionen, ein zunehmender Bedarf an qualifizierten Fachkräften ab, um langfristig die angemessene Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Sprachstörungen zu gewährleisten. Gefragt sind auch hier die Fachvertreter*innen an den Universitäten, um gleichermaßen die Ausbildung von praktisch-tätigen Absolvent*innen wie auch von Nachwuchswissenschaftler*innen zu stärken und das Fach auch in dieser Hinsicht weiterzuentwickeln. Für Letzteres bleibt vermutlich weiterhin die Herausforderung, transparent zu machen, welche langfristige gesellschaftliche Relevanz die grundlagenorientierte Forschung haben kann.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Die schon angesprochene Vernetzung mit anderen Fächern ist grundlegend für unser Fach. Ein Mehrwert ergibt sich dabei aus der wechselseitigen Befruchtung von Grundlagenforschung und der klinisch-praktischen Anwendung. Impulsgebende Erkenntnisse für die Entwicklung von Theorien und Modellen, beispielsweise dazu wie Sprache auf unterschiedlichen Ebenen verarbeitet und im Gehirn repräsentiert wird, stammen aus der Untersuchung von Personen mit Sprachstörungen. Diese theoretischen Ansätze erlauben es wiederum, spezifische Vorgehensweisen für die klinisch-praktische Untersuchung und Behandlung von Personen mit Sprachstörungen abzuleiten.

Darüber hinaus stellt die aus der Vernetzung der verschiedenen Fächer resultierende Vielfalt von Methoden und Untersuchungsansätzen einen Mehrwert dar. Das Zusammenführen dieser unterschiedlichen Methoden, charakterisiert mit dem Ausdruck "convergence of methods", ermöglicht es, die einzelnen Befunde mit guter Evidenz zu integrieren und eine breitere Forschungsbasis zu erhalten. In unserem Fach sind dies beispielsweise bildgebende Untersuchungen des Gehirns, Verhaltensexperimente, Datenerhebungen in verschiedenen Formen von Studiendesigns, psychologische Modellierungen sowie linguistische Analysen, und wiederum auch die klinischen Untersuchungen von Personen mit Sprach- oder Kommunikationsstörungen. Die Besonderheit, nicht in einer einzigen Bezugsdisziplin verankert zu sein, ergibt also auch für unser Fach viele lohnende Herausforderungen und hat den Vorteil einer inhaltlichen sowie methodischen Flexibilität und Vielfalt.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Um das Fach im akademischen Bereich weiterzuentwickeln und das gesellschaftliche Potential bestmöglich zu nutzen, sehe ich momentan die Herausforderungen für die Weiterentwicklung des Fachs in den folgenden drei großen Themenfeldern: die weitere Stärkung der Interdisziplinarität in Theorien wie Methoden, die Ausweitung der internationalen Orientierung, sowie die Sicherung klinisch-praktischer Qualifikationen in Grundlagenforschung und Lehre.

(© Fotolia)

Prisca Stenneken ist seit 2013 Professorin an der Universität zu Köln, Lehrstuhlinhaberin und Studiengangsverantwortliche des B.A.-Studiengangs Sprachtherapie. Zuvor war sie Professorin und Studiengangsleitung für Klinische Linguistik an der Universität Bielefeld. Ausgebildet in Neurolinguistik (Univ. Groningen, NL) und Psychologie (MPI für Psychologische Forschung; FU Berlin) arbeitet sie an Forschungsinstitut und Beratungsstelle für Sprachrehabilitation zu den verschiedenen Formen von Sprach- und Kommunikationsstörungen sowie ihren kognitiven und neuronalen Grundlagen. Weitere Informationen