Alefbet ((c) Universitätsbibliothek JCS Frankfurt am Main, Thomas Risse)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Gegenstand des Faches Judaistik sind Sprachen, Geschichte, Religion und Kultur der Juden von der Antike bis zur Gegenwart. Konkret bedeutet dies eine Beschäftigung mit den vielfältigen Erscheinungsformen des Judentums, seinen Kontinuitäten und Wandlungen in den verschiedenen Epochen und geographischen Räumen.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die Rahmenbedingungen für die Judaistik an der Goethe Universität sind in zweifacher Hinsicht ideal. Zum einen besteht in Frankfurt für Studierende die Gelegenheit, das Judentum in seiner gesamten zeitlichen Breite und mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln zu studieren. Am Seminar für Judaistik vertreten zwei Professuren das Fach Judaistik mit dem Schwerpunkt mittelalterliches Judentum bzw. jüdische Geschichte der frühen Neuzeit und Neuzeit mit einem Fokus auf der jüdischen Kulturgeschichte Europas. Daneben gibt es eine Honorarprofessur für jüdische Kunst und Museologie und es wird bei uns sowohl Jiddisch als auch, was selten in Deutschland ist, Judäo-Spanisch unterrichtet. Über das Lehrangebot des Seminars hinaus können die Studierenden zusätzlich Veranstaltungen wahrnehmen, die an der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie und dem Fritz Bauer Institut zur Erforschung des Holocaust angeboten werden. Zum anderen besitzt die Universitätsbibliothek mit ca. 350.000 Werken die größte Judaica- und Hebraicasammlung auf dem europäischen Kontinent. Der Fachinformationsdienst (FID) Jüdische Studien bietet Forschenden, Lehrenden und Studierenden Zugang zu fachspezifischen Ressourcen aus allen Bereichen der Jüdischen und Israel Studien.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Die Judaistik ist zwar ein kleines Fach, aber innerhalb der Hochschule und darüber hinaus in höchstem Maße anschlussfähig, da sich die Entwicklung des Judentums über die Zeiten hinweg durch vielfältige Verflechtungen mit anderen Kulturen auszeichnet. Die jüdischen Gemeinden in Mittelalter, Frühneuzeit und Moderne waren in ein Netzwerk von Kontakten und Beziehungen zur nichtjüdischen Gesellschaft sowie zu anderen jüdischen Gemeinden eingebunden. Dementsprechend ist jüdische Identität geprägt von einer Vielfalt sozio-kultureller Faktoren und bildet sich in Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung von anderen jüdischen wie nichtjüdischen Traditionen heraus.

Die Interaktion des Judentums mit seiner Umwelt bedeutet für die Erforschung jüdischer Kultur die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den jeweiligen Umgebungskulturen. Somit ist Judaistik ohne die Vernetzung mit entsprechenden Fächern an der Universität gar nicht denkbar. Diesem Umstand wird am Seminar für Judaistik in Frankfurt durch die interdisziplinäre Ausrichtung der Mitarbeiter*innen sowie der Kooperation mit Spezialist*innen für unterschiedliche Disziplinen wie die Geschichts- oder Sprachwissenschaften in gemeinsamen Projekten oder Tagungen Rechnung getragen.

Die Betrachtung der kulturellen Interaktion von Juden und Judentum mit ihren jeweiligen Umgebungskulturen ist zudem von hoher aktueller Relevanz. So lassen sich in unserer globalen und von Migration geprägten Welt entsprechende Fragen und Beobachtungen lehrreich vom jüdischen Kontext auf andere Kulturen, Religionen und Gesellschaften übertragen. Entsprechend war Diversität im Judentum das Thema des vierjährlich stattfindenden internationalen Kongresses der European Association for Jewish Studies, der 2023 in Frankfurt mit rund 700 Teilnehmer*innen aus mehr als 30 Ländern ausgerichtet wurde.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Neben inhaltlichen Anknüpfungspunkten umfasst das Fach Judaistik aufgrund seiner vielfältigen sprachlichen, geographischen, historischen, religiösen und sozialen Bezüge auch in methodischer Hinsicht verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen (z.B. Kulturgeschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie, Religionsgeschichte, Rechtsgeschichte, Kunst). Die Erforschung des Judentums in Geschichte und Gegenwart verbindet daher verschiedene methodische Zugänge wie philologische, literaturwissenschaftliche, geschichtswissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Ansätze.

Die Vernetzung mit anderen Fächern bedeutet nicht nur für die Forschung einen Mehrwert. So findet in Frankfurt in der Lehre auf der Ebene der Bachelorstudiengänge und des Masterstudiengangs eine feste Kooperation mit der Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie am Fachbereich Evangelische Theologie sowie mit dem Institut der Kultur und Religion des Islam statt. Darüber hinaus werden punktuell gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Dozent*innen verschiedener Fächer aus unterschiedlichen Fachbereichen unterrichtet (z. B. Geschichte, Kunstgeschichte, Germanistik, Islamische Studien).

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Das Seminar für Judaistik kooperiert eng mit dem Jüdischen Museum in Frankfurt (dessen Direktorin seit 2019 eine Honorarprofessur am Seminar innehat) sowie mit den Mitarbeiter*innen der Judaica-Sammlung an der Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg. Die beiden Institutionen werden im Rahmen von Lehrveranstaltungen regelmäßig besucht, um den Studierenden einen konkreteren Einblick in bestimmte Themenbereiche zu geben, als dies die Textdiskussion im Seminarraum allein ermöglicht. Seitens der Studierenden werden sowohl das Jüdische Museum als auch die UB häufig für ein Praktikum im Bachelorstudiengang genutzt. Mit dem Fritz Bauer Institut besteht zudem eine Lehrkooperation im Bereich der Holocauststudien.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Ich sehe eine positive Entwicklung für die Zukunft des Faches und seine stärkere Sichtbarkeit im Hochschulsystem durch eine zunehmende institutionelle Verankerung seiner interdisziplinären Ausrichtung. So wurde in Frankfurt nach der Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie am Fachbereich Evangelische Theologie kürzlich eine Professur für jüdisch-islamische Beziehungen eingerichtet, die im Fach Religionswissenschaften angesiedelt ist.

Auch auf der Ebene der Lehre wird der Interdisziplinarität des Faches an der Goethe Universität Rechnung getragen. Neben der Möglichkeit, Judaistik im Haupt- und Nebenfach auf Bachelor und Master zu studieren, gibt es in Frankfurt den Studiengang Jüdische Geschichte und Kultur. Dieser vermittelt Grundwissen über das Judentum als Kultur und Religion, Kenntnisse der jüdischen Geschichte, insbesondere in Europa, sowie grundlegende Sprachkenntnisse in Hebräisch und einer weiteren jüdischen Sprache. Der Studiengang richtet sich vor allem an Historiker*innen, aber auch an Studierende anderer geisteswissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Fächer mit kultur-historischem Interesse, die sich thematisch mit dem Judentum auseinandersetzen möchten.

Zur größeren Wahrnehmung des Faches in der Öffentlichkeit wird die Jüdische Akademie unter der Trägerschaft des Zentralrats der Juden beitragen, die 2024 in Frankfurt eröffnet werden soll und mit der die Universität eine enge Kooperation vereinbart hat. In der Tradition des Freien Jüdischen Lehrhauses der 1920er Jahre steht die Jüdische Akademie allen Interessierten offen. Ihr Programm ist dem toleranten Miteinander verschiedener Glaubens- und Kulturgemeinschaften verpflichtet und möchte eine moderne jüdische Identität in die gesellschaftliche Zukunftsgestaltung eines pluralen Deutschlands und Europas einbringen.

Eine große Herausforderung für das Fach bilden die schrecklichen Ereignisse in Israel und im Nahen Osten aufgrund des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem seitdem sichtbar ansteigenden Antisemitismus auf dem Universitätscampus und in der deutschen Gesellschaft.

Hebraica-Judaica Sammlung ((c) Universitätsbibliothek JCS Frankfurt am Main)

Rebekka Voß lehrt seit dem Jahr 2013 als Professorin für Geschichte des deutschen und europäischen Judentums an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zu ihren Forschungsinteressen zählen die jüdische Kultur-, Religions- und Geistesgeschichte der Frühen Neuzeit, Ashkenaz in der Frühen Neuzeit, jüdisch-christliche Wahrnehmung, Interaktion und Kulturtransfer sowie ältere jiddische Kultur und Literatur. In einem aktuellen, DFG-geförderten Forschungsprojekt widmet sich Professorin Voß „Jüdisch-christlichen Übersetzungskulturen im Kontext der pietistischen Judenmission des 18. Jahrhunderts“. Zuletzt veröffentlichte Rebekka Voß die Monographie „Sons of Saviors. The Red Jews in Yiddish Culture“ (2023).

Mehr Informationen: Goethe-Universität — Prof. Dr. Rebekka Voß (uni-frankfurt.de)