(Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Unter dem Titel "Digitalisierung in Lehre und Forschung kleiner Fächer" veranstaltete die Arbeitsstelle Kleine Fächer am 5. November 2020 ihren ersten Informations- und Vernetzungsworkshop im Rahmen des vom BMBF geförderten Projektes "Die Dynamik Kleiner Fächer", der in Anbetracht der Corona-Pandemie als Onlineveranstaltung stattfand.

Mit rund 30 geladenen Gästen diskutierten Vertreter*innen kleiner Fächer, der Hochschuladministration, -politik und -förderung die Chancen und Herausforderungen, Gelingensbedingungen und Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Lehr- und Forschungspraxis kleiner Fächer.

Begrüßung und Vorstellung der aktuellen Initiativen der Arbeitsstelle Kleine Fächer

Katharina Bahlmann (Leitung der Arbeitsstelle Kleine Fächer) verband ihre Begrüßung mit einer kurzen Vorstellung des aktuellen, durch das BMBF geförderten Projektes der Arbeitsstelle Kleine Fächer, "Die Dynamik Kleiner Fächer" das als Verbundprojekt mit der Digitalen Akademie der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im November 2019 gestartet sei. Im Mittelpunkt des Projektes stünden unterschiedliche Dynamiken kleiner Fächer im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. So sei das erste von insgesamt fünf Arbeitspaketen der Untersuchung von Prozessen der Gründung und Schließung kleiner Fächer gewidmet, während das zweite Arbeitspaket die Rolle kleiner Fächer in interdisziplinären Kooperationen an ausgewählten Fallbeispielen erforsche. Das dritte Arbeitspaket umfasse eine Ausweitung der Kartierung kleiner Fächer auf sämtliche Hochschultypen. Zudem würden Fachstudiengänge und Promotionsmöglichkeiten künftig auf dem Portal abgebildet werden, um nähere Informationen über die Ausbildung des (wissenschaftlichen) Nachwuchses sowie über den Institutionalisierungsgrad kleiner Fächer zu erhalten. Das vierte Arbeitspaket, das in der Verantwortung der Digitalen Akademie liege, umfasse die technische Erweiterung des Portals insbesondere vor dem Hintergrund der geplanten Ausweitung der Kartierung. Das fünfte Arbeitspaket bildeten insgesamt drei Informations- und Vernetzungsworkshops und eine Abschlusstagung, die für Herbst 2022 angesetzt sei. Darüber hinaus sei die Arbeitsstelle Kleine Fächer zum einen mit dem durch die VolkswagenStiftung Hannover geförderten Projekt "Deutsch-französische Modellkartierung kleiner Fächer" befasst, das in Zusammenarbeit mit dem französischen Wissenschaftsministerium und der Digitalen Akademie durchgeführt werde und am Beispiel ausgewählter Altertumswissenschaften dem Aufbau einer vergleichenden Kartierung diene. Zum anderen fördere das rheinland-pfälzische Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur die fortlaufende Kartierungstätigkeit der Arbeitsstelle, auf deren Grundlage jährliche Berichte zur Situation und Entwicklung der kleinen Fächer erschienen.

Vorstellung der aktuellen BMBF-Förderrichtlinie "Kleine Fächer - Zusammen stark"

Annette Steinich (BMBF) und Alla Nevshupa (DLR Projektträger) gaben in ihrem Beitrag einen Überblick über die Förderinitiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit Blick auf die kleinen Fächer. Dabei gingen sie zunächst auf die Projektförderung der Arbeitsstelle Kleine Fächer durch das BMBF ein und betonten, dass diese mit ihrer Kartierung eine wesentliche Grundlage für Entscheidungen der Länder und Hochschulen hinsichtlich der Entwicklung kleiner Fächer schaffe. Mit der Förderung der HRK-Initiativen "Kleine Fächer-Wochen an deutschen Hochschulen" und "Kleine Fächer: Sichtbar innovativ!" solle zudem eine stärkere Aufmerksamkeit für die kleinen Fächer sowohl in der Wissenschafts- und Forschungslandschaft als auch in der Gesellschaft erzielt werden. Darüber hinaus habe das BMBF in seiner ersten Förderlinie "Kleine Fächer - große Potenziale", die insbesondere auf die Stärkung des wissenschaftlichen Nachwuchses kleiner Fächer zielte, 57 Einzelvorhaben gefördert. Die aktuelle, zweite Förderlinie "Kleine Fächer - Zusammen stark" fokussiere auf die Zusammenarbeit kleiner Fächer untereinander sowie mit großen Fächern in Verbundprojekten im Bereich der geistes- oder sozialwissenschaftlichen Forschung. Zentrale Idee sei es, die Zusammenarbeit vor Ort zu fördern und exzellente Forschung sowie den wissenschaftlichen Nachwuchs kleiner Fächer zu unterstützen. Die heterogenen und ortsspezifischen Bedarfe kleiner Fächer sollten berücksichtigt und das kleine Fach strukturell in seinem Profil und in seinem Beitrag zum Standort gestärkt werden. Gefördert würden bis zu 10 Verbundvorhaben für vier Jahre und eine optionale einjährige Transferphase. In der ersten Ausschreibungsrunde seien bereits fünf Verbundvorhaben zur Förderung ausgewählt worden. Die zweite Einreichungsfrist sei der 31.01.2021. Detaillierte Informationen zur BMBF-Förderung der kleinen Fächer und die Beschreibung der ersten geförderten Verbundvorhaben sind auf dem BMBF-Portal zu Geistes- und Sozialwissenschaften zu finden. Der DLR Projektträger betreut die Bekanntmachungen des BMBF und steht als Ansprechpartner zur Verfügung (Alla Nevshupa, Telefon: 0228 3821-1548, E-Mail: Alla.Nevshupa@dlr.de, Hendrik Cremans, Telefon: 0228 3821-1016, E-Mail: Hendrik.Cremans@dlr.de).

Eröffnender Vortrag: "Digitalisierung, Daten, digitale Methoden. Zu den Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation im Bereich kleiner Fächer"

In ihrem eröffnenden Vortrag widmeten sich Anna Neovesky und Frederic von Vlahovits (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz) dem Thema "Digitalisierung, Daten, digitale Methoden. Zu den Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation im Bereich kleiner Fächer". Sie stellten heraus, dass in kleinen Fächern alle Arten von Forschungsdaten eine Rolle spielten, etwa audiovisuelle Daten, Daten aus Erhebungen, Audiodaten, Textdaten, Abbildungen, Geodaten oder Objektdaten wie Inschriften. Auch digitale Methoden würden in kleinen Fächern in ihrer Breite angewandt. Die besonderen Herausforderungen und Chancen für Forschung und Lehre kleiner Fächer lägen in dem weiten Spektrum der dort vertretenen Daten- und Annotationsstandards und den Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Anwendung von Technologien und Entwicklungen anderer Disziplinen. Exemplarisch wurden die erhöhten Anforderungen bei nicht-lateinischen Schriften angeführt. So seien Tools oder Vokabulare, beispielsweise im Bereich der automatischen Texterkennung, teilweise nicht optimal auf das Material eingestellt, zudem bestehe weniger Materialfülle. Da aufgrund der kleinen Communities entsprechende Infrastrukturen und Dienste nicht hausgemacht zur Verfügung stünden, bestehe ein hoher Bedarf an Vernetzung und der Identifikation übergreifender Themenfelder (Objekttypen, Datenstandards, etc.), deren Sichtbarkeit von besonderer Bedeutung für kleine Fächer sei. Somit befänden sich kleine Fächer bei der Anwendung digitaler Methoden im Spannungsfeld von fachspezifischen Besonderheiten und fachübergreifender Vernetzung. Bei digitalen Methoden in der Lehre lägen besondere Anforderungen an Data Literacy. Die Anwendung digitaler Methoden sei in kleinen Fächer zentral. Beispielhaft genannt wurden zahlreiche Anwendungsfelder von der Digitalisierung/Bereitstellung und Visualisierung, über digitale Methoden zur qualitativen und quantitativen Textanalyse und das Text Mining, bis hin zu KI gestützten Verfahren, Methoden der Vernetzung (Semantic Web) und den Spatial Humanities. Digitale Kompetenzen seien unter anderem in den dokumentationswissenschaftlichen kleinen Fächern in besonderem Maße vorhanden.

Die digitale Transformation kleiner Fächer wurde anschließend hinsichtlich 1. der Bedeutung digitaler Ressourcen für eine Fachcommunity, 2. der Bedeutung von Kompetenznetzwerken und 3. der Bedeutung gemeinsamer Forschungsinfrastrukturen an Hand von Beispielen diskutiert.

Demnach bildeten digitale Ressourcen in vielen kleinen Fächern zentrale fachliche Grundlagen. Oftmals dienten sie als wichtige Material- und Informationsquelle für die gesamte Fachcommunity und bündelten Vorhaben verschiedener Förderlinien und Institutionen, wie bspw. das Hethitologie-Portal verdeutliche.

Regionale Kompetenznetzwerke stellten ein niedrigschwelliges Kooperationsformat mit "kurzen Wegen" dar, das interdisziplinären Wissens- und Kompetenztransfer ermögliche und zu innovativen Projektkonfigurationen führen könne. Kollaborative Lehrformate zur Nachwuchsförderung könnten realisiert werden. Als Beispiel für ein regionales Kompetenznetzwerk wurde das Mainzer Zentrum für Digitalität in den Geistes- und Kulturwissenschaften mainzed genannt, welches die digitalen Kompetenzen am Wissenschaftsstandort Mainz bündele. Zu seinen Aktivitäten zähle der fächer- und hochschulübergreifende Masterstudiengang Digitale Methodik in den Geistes- und Kulturwissenschaften der Hochschule Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an dem auch Mitarbeitende aus der Digitalen Akademie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz als Lehrende beteiligt seien.

Gemeinsame Forschungsdateninfrastrukturen schließlich, wie beispielsweise die Nationale Forschungsdateninfrastruktur, unterstützten die digitale Transformation, indem sie als zentrale Anlaufstelle Digitalisierungsdienste leisteten. Sie definierten fachübergreifende Datenstandards und schulten darin, diese anzuwenden. Auch stellten sie projekt- und fachübergreifende Daten-Hubs bereit und entwickelten standardisierte Digitalisierungstools. Hilfestellung bei juristischen und ethischen Fragen fielen ebenso in das Portfolio wie das Angebot von Weiterbildungs- und Zertifizierungsformaten. Das Konsortium NFDI4Culture als Beispiel stelle eine Dateninfrastruktur für Kulturgüter bereit, die im engen Austausch mit zahlreichen Partnerinstitutionen und Fachgesellschaften bedarfsorientiert entwickelt werde. Es zeige eine hohe Repräsentanz kleiner Fächer und böte diesen somit eine hohe Einflussnahme hinsichtlich der Ausgestaltung der digitalen Infrastrukturen.

Kleine Fächer, so das Fazit, könnten in hohem Maße von übergreifenden Infrastrukturen und Kompetenznetzwerken profitieren. Aufgrund ihrer spezifischen Anwendungsbereiche könnten sie gleichzeitig besondere Beiträge zu einer vielfältigen digitalen Forschungslandschaft leisten.

Best Practice-Beispiele zur Digitalisierung in Forschung und Lehre kleiner Fächer 

Die Vorstellungen der Best Practice-Digitalisierungsbeispiele aus Forschung und Lehre kleiner Fächer erfolgten in parallelen Sektionen.

Im digitalen Raum Lehre stellte Anja Ute Blode (Institut für Skandinavistik/Fennistik, Universität zu Köln) das digitale Projekt "j o l n e s - Joint Learning in Northern European Studies" vor. Um die Attraktivität der Masterstudiengänge Skandinavistik/Fennistik zu steigern, sei bereits 2013 der Aufbau eines skandinavistisch-fennistischen Kooperationsnetzwerks auf bundesdeutscher und internationaler Ebene mit einem digitalen Lehraustausch als ergänzendem Lehrangebot initiiert worden. Im Netzwerk seien mittlerweile sieben europäische Institute vertreten. Die Kooperationspartner seien verpflichtet, mindestens eine digitale Lehrveranstaltung für das Netzwerk zu konzipieren, auf der Studienplattform des Netzwerks bereitzustellen und mindestens einmal für das Netzwerk zu unterrichten. Im Rahmen der Präsentation und der anschließenden Diskussion standen Chancen, Herausforderungen und Gelingensbedingungen sowie Möglichkeiten der Übertragbarkeit im Fokus. Studierende profitierten von einem umfangreichen Lehrangebot und einer höheren Interdisziplinarität durch die verschiedenen Schwerpunkte der Dozent*innen. Zudem erführen sie eine Flexibilisierung, Individualisierung und Internationalisierung ihres Studiums. Berufsrelevante Kompetenzen würden geschult. Lehrende profitierten von einer Schonung der eigenen Ressourcen bei einer höheren Sichtbarkeit der Fächer. Als wichtige Gelingensbedingung wurde die Finanzierung einer koordinierenden Stelle zur Bewältigung der administrativen, mediatorischen, fachlichen und technischen Aufgaben hervorgehoben. Auch ein Kooperationsvertrag, der Rechte und Pflichten der Teilnehmenden festhält, sei zentral. Profitiert habe das Netzwerk von den persönlichen Kontakten der kleinen Fachcommunity. Herausforderungen lägen in der Überzeugungsarbeit: Vorbehalte bei der Etablierung des Netzwerks, insbesondere eine befürchtete Mehrarbeit durch Kooperation, konnten sich nicht bewahrheiten, so Blode, da die koordinierende Stelle viel Aufwand abfedere. Auch Ängste vor rückläufigen Präsenzstudierenden an den einzelnen Standorten hätten sich nicht bestätigt. Weitere Herausforderungen lägen in einer generellen Skepsis Studierender und Lehrender gegenüber digitaler Formate. Formelle Hürden und abweichende Gegebenheiten an Hochschulen - wie z.B. abweichende Semesterzeiten und eine unterschiedliche Handhabung bei der Vergabe von Credits - stellten weitere Herausforderungen dar. Mit Blick auf Möglichkeiten einer Übertragung verweist die Referentin auf ein Handbuch, das Antworten auf viele organisatorische Fragen gebe wie etwa zur Anrechnung erbrachter Leistung der Studierenden oder zur Prüfungsverwaltung. Insgesamt zeige das Projekt, dass mithilfe von digitalen Formaten typische strukturelle Herausforderungen kleiner Fächer - hier der Umgang mit geringen Personalressourcen im Bereich Lehre - kompensiert werden könnten.

Im Raum Forschung präsentierte Cyrus Samimi (Sprecher des Instituts für Afrikastudien, Universität Bayreuth) unter der Fragestellung "Sind kleine Fächer klein im Kontext interdisziplinärer Digitalisierung?" seine Erfahrungen interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit im Rahmen des Bayreuther Exzellenzclusters "Africa Multiple", in dem er als Vize Dean for Digital Solutions ist. Im Rahmen des Exzellenzclusters werde eine virtuelle Forschungsumgebung für die zahlreichen beteiligten kleinen und größeren Disziplinen der Universität Bayreuth und die gleichberechtigten afrikanischen und internationalen Partnerinstitutionen aufgebaut. Die mitwirkenden Forscher*innen würden (perspektivisch) vom Sammeln, Verknüpfen und Teilen von Forschungsdaten und der daraus resultierenden Wissensgenerierung profitieren. Herausforderungen bei der Kooperation und Koordination ergäben sich zunächst durch die unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, abweichende Ontologien sowie differierende gesetzliche und ethische Vorgaben und Vorstellungen. Weitere Herausforderungen lägen in heterogenen technischen Voraussetzungen und den unterschiedlichen Datenmanagementfähigkeiten der Beteiligten. Sensibel reagieren müsse das Projekt zudem auf Befürchtungen im Hinblick auf eine mögliche "Rekolonialisierung der Daten" und teilweise politische Hürden in den Partnerländern. Auch bestünden z.T. Vorbehalte bzgl. des Teilens eigener Forschungsdaten und mit Blick auf die Datensicherheit. Für das Gelingen des Projektes als förderlich habe sich die Einrichtung von Arbeitsgruppen erwiesen, die sich mit zentralen Herausforderungen in den Bereichen "Datenmanagement/Metadaten", "Copyright/Datenrecht/Ethik", "Technisches Regelwerk" sowie "Taxonomien und Ontologien" befassten.

Im Rahmen der Diskussion wurde zunächst bekräftigt, dass die interdisziplinäre Vernetzung im Kontext gemeinsamer Digitalisierungsprojekte nicht zur Auflösung von Fachgrenzen beitrage und Fachidentitäten erhalten blieben. Zudem wurde herausgestellt, dass die jeweilige Universitätskultur bzw. die Politik der Universitätsleitung auf das Zusammenspiel und Kräfteverhältnis zwischen den Disziplinen einen maßgeblichen Einfluss habe. Dies werde auch hinsichtlich des Spannungsfeldes von Kooperation und Wettbewerb deutlich, in dem sich Wissenschaft stets bewege. Am Beispiel des Exzellenzclusters "Africa Multiple" wurde erläutert, dass die Zusammenarbeit im Rahmen der digitalen Forschungsumgebung einerseits eine Enthierarchisierung und Öffnung der Diskurse ermögliche, den Wettbewerb um Ressourcen und Reputation gleichzeitig aber nicht gänzlich zurückdränge. Als weitere Herausforderung wurde die Frage adressiert, wie gemeinsame Repositorien eine hohe Standardisierung der Daten gewährleisten könnten, ohne hinter das Potenzial von individuellen und maßgeschneiderten digitalen Lösungen zurückzufallen, die in spezifischen Projektkontexten entstünden. Trotz der ausführlichen Diskussion diverser Herausforderungen wurde zusammenfassend das hohe Potenzial gemeinsamer Digitalisierungsprojekte für die Stärkung der Forschung kleiner Fächer hervorgehoben. So eröffne sie neue Dimensionen der interdisziplinären und internationalen Kooperation und Vernetzung, die kleine Fächer groß machen könnten. Darüber hinaus sei auch die Relevanz der Mitwirkung kleiner Fächer an strukturierten Programmen zum Forschungsdatenmanagement nicht zu unterschätzen, um kleine Fächer und ihre spezifischen Bedarfe und Perspektiven zu positionieren.

Strukturierte Plenumsdiskussion "Digitalisierung in Lehre und Forschung kleiner Fächer - Herausforderungen, Potenziale, Gelingensbedingungen" mit einführendem Podium

Auf dem abschließenden, virtuellen Podium diskutierten Peter-André Alt (Präsident der Hochschulrektorenkonferenz), Georg Krausch (Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Vorstandsvorsitzender der German U15), Andrea Rapp (ehemalige Vizepräsidentin für wissenschaftliche Infrastruktur der TU Darmstadt und Professorin für Germanistik - Computerphilologie und Mediävistik an der TU Darmstadt) sowie Ute Verstegen (Professorin für Christliche Archäologie, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg) über Herausforderungen, Potenziale und Gelingensbedingungen der Digitalisierung in den kleinen Fächern.

Eingangsstatements

In seinem Eingangsstatement hob Peter-André Alt die Bedeutung kleiner Fächer als Innovationsmotoren hervor. Ihr innovativer Charakter entfalte sich aufgrund ihrer seltenen Expertise, ihrer starken disziplinenübergreifenden Perspektive sowie ihres Methodenreichtums. Hinsichtlich der Frage, inwieweit die Digitalität kleinen Fächern helfen könne, merkte Peter-André Alt zunächst an, dass die Digitalisierung gerade in den kleinen Fächer sehr voraussetzungsreich sei, da die Methodenvielfalt der kleinen Fächer auch eine Vielfalt hinsichtlich der technischen Umsetzung erfordere, und auf einem anspruchsvollen Niveau gedacht werden müsse. Dennoch seien die sich für die kleinen Fächer eröffnenden Chancen nicht zu unterschätzen. Insbesondere plädierte Peter-André Alt für eine stärkere digitale Vernetzung von Fachstandorten hinsichtlich der Lehre in den kleinen Fächern. So beförderten digitale Formate den Austausch zwischen den wenigen Standorten kleiner Fächer und ermöglichten den Studierenden den Zugang zu unterschiedlichen fachlichen Schwerpunktsetzungen. Zudem müssten die Studierenden in die Lage versetzt werden, entsprechende digitale Angebote auch zu nutzen. Gerade in den kleinen Fächern sei es wichtig, junge Menschen für sie zu begeistern, sonst seien kleine Fächer über kurz oder lang vom Aussterben bedroht.

Georg Krausch betonte, dass kleine Fächer in besonderer Weise auf standortübergreifende Kooperationen in Lehre und Forschung angewiesen seien und Digitalisierung ein Instrument darstelle, das ihnen dabei helfen könne. Dabei stellte er heraus, dass die standortübergreifende digitale Vernetzung nicht nur die interdisziplinäre Zusammenarbeit befördere, sondern auch eine zentrale Chance hinsichtlich der fachlichen Vertiefung biete, welche Voraussetzung für eine gelungene Interdisziplinarität sei. Am Bespiel des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (Universität Mainz, Universität Frankfurt und TU Darmstadt) erläuterte er, wie Studiengänge im Verbund realisiert werden könnten; mit Blick auf den Bereich Forschung verwies er auf den Zusammenschluss altertumswissenschaftlicher Institutionen in der Region Mainz. Als einen Vorteil der kleinen Fächer hinsichtlich der Digitalisierung der Lehre brachte Georg Krausch die oftmals geringen Studierendenzahlen kleiner Fächer ins Gespräch, welche die Durchführung digitaler Lehrformate erleichterten. Zudem könnten die sich durch gute Betreuungsrelationen ergebenden Freiräume genutzt werden, um die Digitalisierung in den kleinen Fächern weiter voranzutreiben.

Zu Beginn ihres Statements verwies Andrea Rapp mit Bezug auf Georg Krauschs Stellungnahme darauf, dass auch in den kleinen Fächern die Lehrbelastung sehr hoch ausfallen könne. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Lehre von nur wenigen Kolleg*innen bestritten werde oder Lehrleistung im Rahmen von Studiengängen anderer Fächer erbracht werden müssten. Darüber hinaus betonte Andrea Rapp, dass sie die Digital Humanities nicht als ein eigenständiges Fach verstehe, sondern Digitalität aus der Fachlichkeit heraus gedacht und an den Bedarfen der einzelnen Fächer entlang entwickelt werden müsse. Sie verwies in diesem Kontext auf die Besonderheit der TU Darmstadt, in den Denominationen der Professuren die jeweilige fachliche Ausrichtung mit einer digitalen Komponente zu verbinden. Näher charakterisierte sie Digitalität als eine gemeinsame Sprache, die der interdisziplinären Verständigung diene und neue Möglichkeiten der disziplinären als auch interdisziplinären Zusammenarbeit eröffne. Dabei sei es jedoch entscheidend, dass sich die kleinen Fächer nicht auf ihren interdisziplinären Beitrag reduzieren ließen und ihr fachliches Erkenntnisinteresse behaupteten. Nicht zuletzt für die Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei die fachliche Heimat zentral. Als einen wesentlichen Punkt hinsichtlich der Weiterentwicklung von Forschung und Lehre in den kleinen geisteswissenschaftlichen Fächern sprach Andrea Rapp schließlich noch den freien Zugang zum kulturellen Erbe an, der auch bei der Entwicklung digitaler Projekte eine große Rolle spiele und für den sich die Fachvertreter*innen nachhaltig engagieren sollten.

Ute Verstegen hob in ihrer Stellungnahme die Potenziale der Digitalisierung für die kleinen Fächer hervor und verwies zunächst auf die Möglichkeit, schwache personelle Ressourcen über digitale Lehrformate auszugleichen. Ein positiver Nebeneffekt digitaler Formate liege zudem in der Möglichkeit, die Sichtbarkeit des eigenen Faches in der Öffentlichkeit und in der Hochschule zu steigern. Als Hürde hinsichtlich der Digitalisierung nannte Ute Verstegen den Umgang mit Urheber- und Bildrechten. So beobachte sie, dass diesbezügliche Unsicherheiten Fachvertreter*innen davon abhielten, Forschungsergebnisse und Materialien digital zu publizieren. Zudem erweise sich die Produktion und Bereitstellung eigener digitaler Materialien und Formate als äußerst zeitaufwendig. Abschließend betonte Ute Verstegen, dass kleine Fächer hinsichtlich digitaler Kooperationen den Vorteil besäßen, dass sich die Angehörigen der Community in der Regel sehr gut kennten und damit gute Voraussetzungen besäßen, um digitale Vorlesungen untereinander auszutauschen. Dadurch hätten auch die aktuellen Herausforderungen im Kontext von Corona leichter angegangen und beispielsweise im Sommersemester eine digitale Ringvorlesung ermöglicht werden können. Verbesserungsbedarf sehe sie in diesem Zusammenhang hingegen mit Blick auf die Deputatsregelungen einzelner Hochschulen. Hier seien deutlich mehr Flexibilität und Anpassungen erforderlich, die digitale Lehrformate angemessen berücksichtigten und Kooperationen beförderten. Zudem wünsche sie sich Förderprogramme, die nicht nur Forschungsverbünde, sondern ebenso (digitale) Lehrverbünde adressierten.

Diskussion

Im Anschluss an die Eingangsstatements der Podiumsgäste diskutierten die Anwesenden Spezifika und Auswirkungen der Digitalisierung mit Blick auf die kleinen Fächer. Die zentralen Ergebnisse der Diskussion sind im Folgenden entlang zentraler Themenfelder zusammengefasst:

Strukturelle Bedeutung der Digitalisierung - Disziplinarität und Interdisziplinarität

  • Digitalisierungsprojekte in der Wissenschaft beförderten einerseits die interdisziplinäre Zusammen­arbeit und rückten problemorientierte Forschung in den Fokus, andererseits werde durch sie in entscheidendem Maße die Disziplinarität gestärkt. Digitalisierung mache die Eigenheiten und originären Problemstellungen der Fächer sichtbar und führe zu einer Reflexion der Gegenstände und Methoden.
  • Da Bedarfe im Rahmen der Digitalisierung stets von spezifischen Gegenständen und Methoden abhingen, müsse Digitalität auf Disziplinarität reagieren. Zugleich stelle sie die Fächer vor die Herausforderung eine gemeinsame Sprache zu finden und eröffne so neue Möglichkeiten der interdisziplinären Verständigung und Zusammenarbeit.

Spezifika kleiner Fächer im Rahmen von Digitalisierungsaktivitäten

  • In der Abschlussdiskussion wurde nochmals der Punkt aufgegriffen, dass die gängigen digitalen Werkzeuge häufig nicht den spezifischen Anforderungen kleiner Fächer genügten. So würden beispielsweise die Tools der Computerlinguistik in der Regel am Englischen entwickelt, wodurch ihre Anwendung auf andere Sprachen in mancherlei Hinsicht Probleme nach sich ziehe. Daher bestehe ein großer Bedarf in einer variantenreicheren Weiterentwicklung digitaler Werkzeuge.
  • Hinsichtlich der Anwendung von KI-Methoden wurde herausgestellt, dass für deren Entwicklung große Datenmengen (Big Data) als Trainingsdaten erforderlich seien. Dies erweise sich für kleine Fächer gegebenenfalls als problematisch, da die Menge der von ihnen vorgehaltenen Daten oftmals zu gering ausfalle. Dennoch sei eine Beschäftigung kleiner Fächer mit KI-Methoden wünschenswert, da die Zusammenarbeit zwischen Vertreter*innen kleiner Fächer und der KI-Forschung - und somit bspw. der Dialog zwischen hermeneutischen und KI-Methoden - zu hoch interessanten Ergebnissen führen könne, die auch für die Weiterentwicklung von "Mainstream-Tools" bedeutsam seien.

Gefahren und Chancen der Digitalisierung

  • Da viele kleine Fächer materielle Kulturgüter erforschen, wurde auf die Gefahr der Annahme verwiesen, digitale Objekte könnten die ihnen zugrundeliegenden materiellen Objekte substituieren. Hier dürfe nicht übersehen werden, dass bestimmte objektspezifische Eigenschaften, etwa haptische, durch die Digitalisierung verloren gingen. Zugleich könne die Digitalisierung von Forschungsgegenständen Eigenschaften zutage fördern, die vorher nicht wahrnehmbar gewesen seien und so das Wissen über die Objekte erweitern. Darüber hinaus beförderten entsprechende Einsichten die Reflexion über die eigenen Forschungsgegenstände, bspw. über die Bedeutung von Materialität.
  • Die besondere Leistung von Digitalität wurde zudem darin gesehen, dass Begriffe expliziter ausgehandelt und transparenter gemacht würden. Da der Umgang mit Daten härtere Kategorien erfordere, ziehe dies auch explizitere Aushandlungsprozesse nach sich.
  • Gerade mit Blick auf die Entwicklung der Lehre kleiner Fächer eröffne die Digitalisierung besondere Chancen. So hätten kleine Fächer mit wenigen Standorten die Möglichkeit, ihr Wissen breiter zu streuen und ihre Inhalte auch Studierenden von Hochschulen zugänglich zu machen, an denen das jeweilige Fach nicht vertreten sei. Dies sei als ein enormer Zugewinn für die Hochschul­landschaft zu werten.

Bedarfe und strategische Empfehlungen im Kontext der Digitalisierung

  • Mit Blick auf die weitere Digitalisierung der Hochschullandschaft wurde die Empfehlung ausgesprochen, nicht nur auf den Ausbau von KI-Forschung zu setzen, sondern die in den einzelnen Fächern vorhandene und aufzubauende digitale Kompetenz stärker zu fokussieren und anzuerkennen. Diesbezüglich sei es wichtig, den Kern der fachspezifischen Digitalkompetenzen näher zu formulieren.
  • Des Weiteren wurde herausgestellt, dass die Vertreter*innen der kleinen Fächer selbstbewusst auftreten und zeigen sollten, welchen Beitrag sie leisteten. So könnten gerade im Bereich der Digitalisierung größere Fächer von den kleinen Fächern - bspw. in puncto digitale Lehrkooperationen - lernen. Die Vertreter*innen kleiner Fächer wiederum sollten lernen, ihre spezifischen Bedarfe an möglichst konkreten Beispielen zu vermitteln, um von Seiten der Hochschulsteuerung, -politik und -förderung Gehör zu finden.
  • Gleichzeitig wurde auf Probleme verwiesen, die sich aus einer schwerpunktmäßigen Förderung von digitalen und interdisziplinären Forschungsprojekten ergäben. So bestehe gerade hinsichtlich der Entwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Bedarf, Grundlagenforschung und die Behandlung von fachlichen Kernthemen zu ermöglichen und in Förderlinien zu berücksichtigen.
  • Als weiterer Bedarf wurde die Eröffnung einer nachhaltigen Perspektive hinsichtlich des Aufbaus von Repositorien in der Lehre formuliert.
  • Wiederholt wurde festgehalten, wie wichtig es sei, dass kleine Fächer sich sowohl in Verbünden zur Digitalisierung von Forschung - wie etwa den NFDI-Konsortien - engagierten als auch ihre Perspektive in den Digital Humanities einbrächten. Einschränkend wurde darauf verwiesen, dass die knappen personellen Ressourcen in den kleinen Fächern eine entsprechende Mitwirkung oftmals erschwerten. Zudem würden kleine Fächer aufgrund ihrer Methodenvielfalt oftmals zur Mitarbeit in unterschiedlichen Konsortien eingeladen. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass die Vertreter*innen eines kleinen Fachs koordiniert und strategisch agierten.

Abschließende Zusammenfassung

Abschließend wurde resümiert, dass sich kleine Fächer durch die Digitalisierung in einem Spannungsfeld von Disziplinarität und Interdisziplinarität bewegten. Es bestand Konsens, dass die disziplinäre Verankerung an erster Stelle zu stehen habe, insbesondere mit Blick auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Kleine Fächer stellten aufgrund ihrer spezifischen Gegenstände besondere Herausforderungen an die Digitalisierung. Gleichzeitig profitierten sie von der Digitalisierung in besonderer Weise. Hier wurde insbesondere die Schaffung digitaler Strukturen in der Lehre kleiner Fächer als eine große Chance gesehen. Ihre spezifischen Bedarfe sollten kleine Fächer insgesamt stärker in den Aushandlungsprozess und in politische Diskurse einbringen.

Veranstaltungsmaterialien

Programm und Dokumentation

Download des Programms "Digitalisierung in Lehre und Forschung kleiner Fächer"

Download der Dokumentation "Digitalisierung in Lehre und Forschung kleiner Fächer" 

Vorträge

Vorstellung der aktuellen BMBF-Förderrichtlinie "Kleine Fächer - Zusammen stark", Annette Steinich (BMBF) und Alla Nevshupa (DLR Projektträger)

Eröffnender Vortrag: "Digitalisierung, Daten, digitale Methoden. Zu den Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation im Bereich kleiner Fächer", Anna Neovesky und Frederic von Vlahovits (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz)

Best Practice-Beipiel Lehre "j o l n e s - Joint Learning in Northern European Studies", Anja Ute Blode (Institut für Skandinavistik/Fennistik, Universität zu Köln)

Best Practice-Beispiel Forschung "Sind kleine Fächer klein im Kontext interdisziplinärer Digitalisierung?", Prof. Dr. Cyrus Samimi (Sprecher des Instituts für Afrikastudien, Universität Bayreuth)