Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft (Quelle: Oliver Lang)

Welche Rolle spielen kleine Fächer innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft?

Die Leibniz-Gemeinschaft vereinigt eine große Vielfalt der Disziplinen. Dabei sind in den Leibniz-Einrichtungen gerade die kleinen Fächer traditionell stark vertreten - denken Sie nur an die acht Leibniz-Forschungsmuseen, in denen beispielsweise von der Archäologie, über die Biodiversität bis hin zur Restaurierungswissenschaft oder der Wissenschaftsgeschichte zahlreiche Forschungsbereiche eine wichtige Rolle spielen. Oder - um hier nur ein weiteres Beispiel zu nennen - die Osteuropawissenschaften: ein Forschungsbereich, in dem die Leibniz-Gemeinschaft die größte Expertise innerhalb der außeruniversitären Forschung beheimatet.

Diese Vielfalt der Fächer ist einer der Gründe dafür, dass Kooperation und interdisziplinäre Vernetzung in der Leibniz-Gemeinschaft einen ganz besonders hohen Stellenwert haben. Und von diesen Forschungsmodi profitieren die kleinen Fächer in besonderem Maße. Ein Beispiel dafür sind die Leibniz-Forschungsverbünde und WissenschaftsCampi zu Themen wie "Biodiversität", "Byzanz zwischen Orient und Okzident", "Empirical Linguistics and Computational Language Modeling", "Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung" und viele mehr. Hier arbeiten Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Fächer ganz natürlich und höchst innovativ an aktuellen, gesellschaftlich und wissenschaftlich hoch relevanten Fragestellungen zusammen.

Übernehmen kleine Fächer Ihrer Ansicht nach eine besondere Funktion im Rahmen interdisziplinär angelegter Forschungsverbünde, internationaler Kooperationen oder auch der Interaktion von Wissenschaft und Gesellschaft?

Austausch und der berühmte Blick über den Tellerrand sind naturgemäß in den kleinen Fächern besonders wichtig; das betrifft sowohl die Internationalität als auch die Interdisziplinarität der Forschung. Dass diese Fächer oft besonders leistungsstark (und selbstbewusst) in der internationalen ebenso wie in der interdisziplinären Kooperation sind, zeigt sich auch in der Leibniz-Gemeinschaft. Vertreterinnen und Vertreter dieser Fächer gehören häufig zu den Initiatoren von Verbundprojekten und übernehmen dabei auch die Rolle der Sprecherin oder des Sprechers. Dabei spielt es aus meiner Sicht eine wichtige Rolle, dass gerade in den bereits erwähnten Formaten der Leibniz-Verbundforschung gesellschaftlich hoch relevante Forschung mit hohem Wirkungsgrad praktiziert und die vorhandene wissenschaftliche Expertise dazu sichtbar gemacht wird. Diese öffentliche Sichtbarkeit ist bestens dazu geeignet, den hohen Wirkungsgrad und die Relevanz der kleinen Fächer zu belegen. Dieses hohe Potential, das gerade diese Disziplinen im Bereich des Wissenstransfers in die Gesellschaft hinein haben, gilt es aus meiner Sicht weiter auszubauen und sichtbar zu machen.

Welche wissenschaftspolitischen Maßnahmen würden aus Ihrer Sicht der Entwicklung kleiner Fächer zugutekommen?

Was die Existenz und die Leistungen der Arbeitsstelle "Kleine Fächer" angeht, so ist das schon ein wichtiges wissenschaftspolitisches Element, denn sie stellt die Aufmerksamkeit darauf sicher, die sich im Portfolio unserer Studienfächer in der notwendigen Breite und Vielfalt widerspiegelt. Nicht zuletzt verhindert sie den glücklicherweise fernliegenden Kurzschluss "kleines Fach = kleine Wirkung". Als Wissensgesellschaft können wir Studiengänge nicht an ihren Studierendenzahlen messen. Zugleich können kleine Fächer jeweils spezifische positive Kriterien entwickeln, an denen sie sich messen lassen können - Wissenstransfer in die Gesellschaft könnte durchaus so ein Kriterium sein! Mit nachhaltigen Modi der Förderung ließe sich künftig insbesondere Verbundforschung stärken, die kleine Fächer untereinander und mit anderen Wissenschaftszweigen eingehen.

Wie schätzen Sie, als Vertreter des kleinen Fachs Umformtechnik, die Situation Ihres Faches deutschlandweit und international ein?

Die Umformtechnik scheint mir aus Versehen in die Liste geraten zu sein. Sie ist Teil des großen fachlichen Bereiches Fertigungstechnik in der Produktionswissenschaft und wenn man etwa unser Institut IUL an der TU Dortmund sieht, kommt man allein schon wegen der Größe der Versuchshallen und der Maschinen darin nicht auf den Gedanken, dass man sich in einem kleinen Fach befindet.

Die Umformtechnik braucht Theorie und Praxis, Simulationen, Materialkunde, und sie hinterlässt in vielen Produkten und Erkenntnissen ihre Spuren im Alltag und in der Forschung. Erst wenn alles, aber wirklich alles im 3D-Druck hergestellt wird, müssen wir über neue Anwendungsfelder nachdenken.