((c) Gerd Altmann)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Sprachlehr- und -lernforschung beschäftigt sich stark vereinfacht dargestellt mit den institutionellen Bedingungen des Sprachenlehrens, -lernens und -beurteilens, in der Regel außerhalb des schulischen Kontexts; sie möchte dabei die Komplexität des gesamten Lehr- und Lernprozesses in den Blick nehmen. Historisch grenzte sich die Sprachlehr- und -lernforschung einerseits von der (Fremd)Sprachendidaktik ab, die schulspezifische Kontexte für bestimmte (Fremd)Sprachen des Schulkanons in den Blick nimmt, und andererseits von der Zweitsprachenerwerbsforschung, welche den ungesteuerten Spracherwerb außerhalb des institutionellen „gesteuerten“ Kontexts untersucht. Heutzutage jedoch sind die Übergänge zwischen diesen Fächern je nach Standort und Ausrichtung fließend. Bei der Sprachlehr- und -lernforschung können spezifische Einzelsprachen in den Fokus rücken, es gibt aber auch Standorte, die sprachübergreifend arbeiten oder Mehrsprachigkeitsforschung einschließen. Sprachlehr- und -lernforschung arbeitet Empirie-geleitet und umschließt qualitative wie quantitative Forschungszugänge und Methoden. Sie zeichnet sich durch hohe Praxisorientierung aus und umfasst je nach Standort auch die Lehrer:innenbildung.

Hier in Bremen beschäftigen wir uns in der Sprachlehr- und -lernforschung sprachübergreifend mit Sprachen und ihren Vermittlungs-, Erwerbs- und Kommunikationsbedingungen, vorwiegend in Kontexten der Hochschule wie auch der außerschulischen Erwachsenenbildung. Wir untersuchen unterrichtliche Aspekte ebenso wie gesellschaftliche und (bildungs-)politische Aspekte der Sprach(en)- und Kultur(en)-Vermittlung und der Mehrsprachigkeit. Ein Schwerpunkt meiner Forschung liegt auf Sprachbeurteilung und Sprachtests, insbesondere auf den Auswirkungen von Sprachtests auf Lernende und ihre Lebenswelt. Die Forschung und Lehre meines Arbeitsbereiches wie die des Fachs generell ist geprägt durch Interdisziplinarität: es fließen Perspektiven der Angewandten Linguistik, Sprachdidaktik, Mehrsprachigkeitsforschung, Spracherwerbsforschung, Soziolinguistik, Soziologie, Psychometrie, Kommunikations- und Medienwissenschaften, Erziehungswissenschaften, der empirischen Bildungsforschung und zunehmend auch der Computerlinguistik und des Natural Language Processing mit ein.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Hier in Bremen ist eine der Besonderheiten, dass die Professur für Sprachlehr- und -lernforschung in Personalunion mit der akademischen Leitung des Sprachenzentrums der vier Hochschulen im Land Bremen (SZHB) einhergeht und den Auftrag hat, das Sprachenzentrum durch Forschung weiterzuentwickeln. Am Sprachenzentrum bieten wir um die 20 verschiedene Sprachen in Kursen auf verschiedenen Niveaus an, welche jährlich von über 6000 Studierenden besucht werden. Dazu kommen vielfältige Angebote im Bereich des autonomen, selbstgesteuerten Lernens, welche in den Selbstlernzentren an unseren verschiedenen Standorten angeboten werden; so etwa gibt es Sprachcafés, Workshops zu autonomen Lernstrategien, Tandemvermittlung, oder ein Tutorenprogramm, in welchem geschulte studentische Tutor:innen zu eigenverantwortlichem Sprachenlernen anleiten.

Somit steht uns ein vielfältiges Angebot an Sprachlern- und -lehrsituationen und Kontexten offen, um unterschiedliche Konstellationen, Perspektiven und Gelingensbedingungen des Sprachenerwerbs zu untersuchen. Unsere Studierenden und Lehrenden sind offen für kooperative Forschungsprojekte, welche wir auf unserer Internetseite www.lab.uni-bremen.de der Öffentlichkeit vorstellen.

Am Standort Bremen sind die Bedingungen erstklassig, denn meine Forschungsgruppe, angesiedelt am Fachbereich 10 Sprach- und Literaturwissenschaften, kooperiert sehr eng mit den Lehrenden und Mitarbeitenden des SZHB. Zudem stehen uns Unterstützungsmöglichkeiten durch die Zentrale Forschungsförderung der Uni Bremen zur Verfügung, und wir kooperieren mit angrenzenden Fächern ebenso wie mit den in Bremen ansässigen Kulturinstituten und außeruniversitären Bildungseinrichtungen.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Innerhalb des deutschsprachigen Hochschulsystem dürfte die Heterogenität der Ausrichtung an den verschiedenen Standorten (unterschiedliche Einzelsprachen, teils der Schuldidaktik und Lehrer:innenausbildung sehr nahe oder zugeordnet, unterschiedliche Selbstverständnisse) eine Wahrnehmung als eigenständiges Fach erschweren. Dies ist im internationalen Kontext noch schwerer, zumal sich gerade im angelsächsischen Kontext die Sprachlehr- und -lernforschung nicht leicht von der Angewandten Linguistik (Applied Linguistics) und der Zweitspracherwerbsforschung (Second Language Acquisition SLA) abgrenzen lässt.

Diese Vielfalt des Fachs, die Breite der möglichen Schwerpunkte, die fließenden Übergänge zu den o.g. Fächern der Sprachdidaktik und Spracherwerbsforschung, ebenso wie die wenigen Standorte, die es noch gibt, machen es auch in der Öffentlichkeit schwer, als Fach wahrgenommen zu werden.

Für das Selbstverständnis als eigenständiges Fach sprechen die gemeinsamen Konzepte, die wir erforschen, wie etwa die Struktur der kommunikativen, plurilingualen oder plurikulturellen Kompetenzen; die Zentralität, die Interaktionen zwischen Lernenden, Lehrenden als Sprachverwendende in unserer Forschung einnehmen; die Tatsache, dass wir Sprachlernen und Sprachnutzung als situiert in bestimmten sozialen Kontexten sehen und somit Sprachverwendung als soziales Handeln konzeptualisieren; oder ein gemeinsamer Fokus auf handlungsorientierte Ansätze, um die o.g. Kompetenzen zu vermitteln. Zentral für das Selbstverständnis der Sprachlehr- und -lernforschung dürften auch die empirischen Forschungszugänge und der vermehrte Einsatz von mixed-methods Studien sein. Zumindest meines Erachtens nach verbindend sind die außerschulischen Kontexte, die in keinem anderen Fach im Fokus stehen; dies schließt selbstredend nicht aus, dass die Sprachlehr- und -lernforschung auch schulische Kontexte forschend mit einbeziehen kann.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Auf alle Fälle stellt die Vernetzung und Interdisziplinarität einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert dar, denn die Sprachlehr- und -lernforschung grenzt an sehr viele, oben bereits genannte Fächer an und wird durch die Kooperation mit diesen um wertvolle Blickwinkel, Zugänge und Forschungsansätze komplementiert. Aus meiner Sicht sollte die Abgrenzung von den angrenzenden Fächern nicht im Fokus stehen, da alle Seiten von einer Kooperation nur profitieren können.

In meinem Fall sind Kooperationen mit Bildungsforscher:innen und Psychometriker:innen sehr interessant, wie beispielsweise im DFG-geförderten Projekt zur Modellierung akademisch-sprachlicher Kompetenzen bei Studienanfänger:innen. Hier steuern wir inhaltliche Expertise zur Konstruktdefinition und zur Entwicklung von Bewertungsinstrumenten bei, wohingegen die Kolleg:innen am Leibnitz-Institut für empirische Bildungsforschung (DIPF Frankfurt) Expertise zur psychometrischen Modellierung der erfassten Kompetenzen beitragen.

Auch haben wir in meiner Forschungsgruppe enge Anknüpfpunkte zum Fach Deutsch als Fremd-/Zweitsprache, wenn es etwa um die Begleitforschung der sprachlichen Vorbereitetheit von internationalen Studierenden geht; darüber hinaus arbeiten wir eng mit den lehrerbildenden Fächern zur Frage der durchgängigen Sprachbildung. Derzeit nehmen wir soziologische Aspekte mit auf, etwa bei der Untersuchung der Wahrnehmung von (sprachlicher) agency bei internationalen Studierenden, oder bei der Analyse sozialer Praktiken im Tutorenprogramm. Ein weiterer aktueller Berührungsunkt ist in der Mehrsprachigkeitsforschung zu finden, da wir zurzeit am Sprachenzentrum eine Arbeitsgruppe zur Umsetzung von Mehrsprachigkeitsansätzen in unseren Sprachkursen forschend begleiten.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Bei meinen Forschungsschwerpunkten bieten sich natürlich Kooperationen mit außeruniversitären Testinstituten an, beispielsweise wenn es um die Validierung neuer Testformate geht oder wenn ein Test und seine Ergebnisse an die Kompetenzniveaus des Europäischen Referenzrahmens angebunden werden sollen. Die oben genannte Kooperation mit dem Leibnitz-Institut für empirische Bildungsforschung ist ebenfalls hochrelevant. Ebenso relevant sind kooperative Projekte mit Sprachinstituten wie dem Institut für Niederdeutsche Sprache oder den in Bremen ansässigen Kulturinstituten. Wir haben auch immer wieder Kontakt zu Instituten zur schulischen Qualitätsentwicklung, wie etwa dem IQB Berlin oder dem LIS hier in Bremen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie etwa zunehmende Migration, Zugang zu sprachlicher und gesellschaftlicher Teilhabe und damit verbundenes lebenslanges Sprachenlernen stellen an unser Fach interessante Herausforderungen mit gesellschaftlicher Bedeutung. Es geht etwa um die Frage, wie wir gegenseitige sprachlich-kommunikativ-kulturelle Zugänge auf Augenhöhe schaffen, um Parallelgesellschaften zu überwinden und miteinander die gesellschaftliche Zukunft zu gestalten Auch wird uns in Zukunft noch mehr die Herausforderung beschäftigen, wie wir plurilinguale und plurikulturelle Kompetenzen bei allen hier lebenden Menschen fördern können.

Hier zeigen sich wieder die oben genannten Anknüpfpunkte an die lehrerbildenden Fächer, ebenso wie an das Fach DaF/DaZ und die Mehrsprachigkeitsforschung, denn in diesem Zusammenhang kommt der durchgängigen Sprachbildung und Mehrsprachigkeitsansätzen große Bedeutung zu. Während Frühbeginn und schulische Sprachbildung nicht unmittelbar in meinem Fokus stehen, berühren sie doch das Fach Sprachlehr- und -lernforschung, denn es geht um ein Aufbrechen insbesondere der traditionellen „muttersprachlichen“ Deutschdidaktik, ebenso wie der Fremdsprachendidaktiken bezogen auf Einzelsprachen, hin zu einer Öffnung zu einer Mehrsprachigkeitsdidaktik, die letztlich zu einem sprachsensiblen Unterricht in allen Fächern führen sollte. Auch ein Aufbrechen des traditionellen Kanons schulischer Fremdsprachen kann angedacht werden, ebenso wie die Ergänzung der Schulsprachen durch außerschulische Angebote, um auch jenseits der Schule lebenslange Sprachbildung in möglichst vielen der in unserer Gesellschaft gesprochenen Sprachen anbieten zu können, und dabei diese Sprachen als Ressourcen zu konzeptualisieren. Hier kann die Sprachlehr- und -lernforschung einen wertvollen Beitrag zur Erforschung der Gelingensbedingungen solcher Sprachbildung leisten.

Hochbrisant ist es auch, bildungspolitische Kontexte daraufhin zu untersuchen, welche Auswirkungen unterschiedliche sozio-kulturelle und (mehr)sprachlich-kulturelle Hintergründe auf Bildungsverläufe haben. Denkbar sind etwa kritische Diskursanalysen relevanter Dokumente und Entscheidungsprozesse, wenn es um die Vorhaltung von Unterstützungsangeboten für zugewanderte Menschen geht, oder wenn es um den Einsatz von Sprachtests als Instrumente zur Zuwanderungsregulation geht. Hier kann das Fach einen Beitrag zur Aufklärung der Entscheidungsträger:innen und der Öffentlichkeit leisten hinsichtlich der Macht von Sprachtests und des verantwortungsvollen Einsatzes derselbigen.

Selbstverständlich werden auch die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und deren Auswirkungen auf das Sprachenlernen, -lehren und auf die Kommunikation generell unser Fach beschäftigen. Hier zeichnet sich eine gesellschaftliche Brisanz ab, die momentan schwer abschätzbar ist. Wie wird sich unsere Kommunikation durch KI verändern? Welchen Einfluss haben KI-gestützte Tools bereits auf das Sprachverwenden, -lernen und -lehren, welchen Einfluss werden sie noch bekommen? Wie kann man solche Tools sinnvoll einsetzen und welchen Risiken sollten wir vorbeugen? Das sind nur einige der Fragen, mit denen sich unser Fach in der nahen Zukunft beschäftigen wird.

Hilfreich für eine positive Entwicklung des Fachs Sprachlehr- und -lernforschung wäre aus meiner Sicht, wenn wir den Trend fortsetzen weg von einer scharfen Abgrenzung und engen Definition des Fachs hin zu einer Kooperation mit den angrenzenden Fächern, um die genannten Herausforderungen der gegenwärtigen Gesellschaft und der Digitalisierung zu meistern und die Gelingensbedingungen des Erwerbs plurilingualer und plurikultureller Kompetenzen aus möglichst vielen Perspektiven zu erforschen. Die so gewonnenen Erkenntnisse können dann wiederum in die Ausbildung von Sprachlehrkräften einfließen. Eine der zukünftigen Aufgaben der Sprachlehr- und -lernforschung könnte es sein, Sprachlehrkräfte für die außerschulische Sprachbildung auszubilden, denn derzeit gibt es keine Studiengänge, die solch eine Ausbildung anbieten.

 

Claudia Harsch ((c) Matej Mezy, Universität Bremen)

Claudia Harsch hat seit dem Sommersemester 2016 eine Professur für Sprachlehr- und -lernforschung an der Universität Bremen inne. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Konzeptualisierung, Modellierung und Beurteilung sprachlich-kommunikativer Kompetenzen, Implementierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens sowie Professionalisierung von Sprachenlehrenden in Schule und Hochschule. Ihre aktuellen Forschungsprojekte widmen sich den Themen „Entwicklung von Assessment Literacy“, „Modellierung akademisch-sprachlicher Kompetenzen“ und „Vorbereitetheit internationaler Studierender auf ein Hochschulstudium“. Claudia Harsch leitet die Forschungsgruppe Language Assessment @ Bremen (L@B), amtiert zudem als wissenschaftliche Direktorin des Sprachzentrums der Hochschulen im Land Bremen (SZHB) und als Präsidentin der International Language Testing Association. Weitere Informationen