Sozioökonomie ((c) Institut für Ernährung Konsum und Gesundheit)

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Haushaltswissenschaft ist eine inter- und transdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit der Alltagsversorgung der Menschen unter Einbeziehung entsprechender Fachdisziplinen beschäftigt. Insbesondere wird die Haushaltswissenschaft durch die Sozial-, Wirtschafts- und Technikwissenschaften sowie durch Familien- und Frauenforschung geprägt. Als Teil der Oecotrophologie - Ernährungs- und Haushaltswissenschaften - steht die griechische Bezeichnung "Oikos" für "das ganze Haus" und wird übersetzt als "Unterhalten". "Oikos" bildet den Wortstamm für Ökologie und Ökonomie, wobei letzteres die Haushaltsführung bzw. die Lehre vom zweckmäßigen Haushalten umfasst (von Schweitzer 1991, S.16). Die Haushaltswissenschaft versteht sich somit als Wirtschaftslehre des Haushalts.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die Haushaltswissenschaft wird an der Universität Paderborn als Disziplin innerhalb der Lehrer*innenausbildung angeboten. Dies hat den Vorteil eines engen Bezugs und Austauschs zum Themengebiet der Bildung, z. B. der Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie den Bezug zur Praxis. Allerdings kommt es durch die Einbettung ins Lehramt zu erheblichen Nachwuchsproblemen für die Haushaltswissenschaft, da die Absolvierenden nach ihrer akademischen Ausbildung kaum für den relativ unsicheren Arbeitsplatz im Wissenschaftssystem gewonnen werden können, wenn eine Verbeamtung als Lehrer*in greifbar ist. Hier ist es mein Ziel, in naher Zukunft einen eigenen Masterstudiengang zu etablieren, um eigenen Nachwuchs zu generieren. Dafür ist natürlich die Stärkung der Haushaltswissenschaft am Standort Paderborn, aber auch generell in Deutschland, zum Beispiel durch mehr wissenschaftliche Mitarbeitende, aber auch Professuren, wünschenswert. Darüber hinaus empfinde ich die Zusammenarbeit innerhalb des Instituts für Ernährung, Gesundheit, Konsum als sehr wertschätzend und kooperativ. Die Verbindung der Bereiche "alltägliche Lebensführung", "Lebenslagen" und "Ernährung", "Public Health" sowie "Bildung" am Standort ermöglicht eine umfassende Bearbeitung von Themen an der Schnittstelle der Human-, Natur- und Bildungswissenschaften.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Eigentlich müsste die Haushaltswissenschaft viel stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, da die Versorgung von Menschen alle betrifft. Insbesondere durch diverse Krisen (Covid-19-Pandemie, Ukraine Krieg, gestiegene Inflation, Care- und Klimakrise etc.) rücken die Lebenslagen und die Lebensführung von privaten Haushalten mehr in den öffentlichen Diskurs. Allerdings gibt es auf universitärer Ebene nur noch wenige Vertreter*innen des Fachs und die Pädagogischen Hochschulen sowie die Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben teilweise andere spezifische Schwerpunkte, wenngleich sie auch immer forschungsstärker werden. Dabei existieren deutlich drittmittelstärkere Disziplinen - möglicherweise ein Grund, weshalb die Haushaltswissenschaft auf universitärer Ebene so geschrumpft ist.

Ein weiterer Aspekt für die fehlende Sichtbarkeit und fehlende Drittmittel in unserem Bereich ist sicherlich, dass das Private lange Zeit als Privatsache behandelt wurde und die Haushaltswissenschaft als Disziplin, deren Erkenntnisinteresse auf Alltagsphänomene ausgerichtet ist, trivialisiert. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem privaten Haushalt findet vorrangig dort statt, wo aus privaten Haushalte Konsumenten*innen am Markt, Arbeitnehmende oder Patient*innen werden. Forschung und Forschungsmittel sind auf den Bereich konzentriert, der den Haushalt als System der Gesellschaft und Wirtschaft betrachtet. Die Betrachtung der privaten Haushalte auf der Mikroebene und die Untersuchung ihrer Handlungen sowie der dahinterliegenden Begründungen werden vernachlässigt. Beispielsweise betrachtet die Haushaltswissenschaft im Zusammenhang mit Zeitverwendungsdaten nicht allein die Ressourcenverwendung und Fragen der Verteilung und ihrer Optimierung, sondern reflektiert die dahinterliegenden Begründungen, sinnstiftenden Ziele und Wirkung auf das familiäre Zusammenleben.

Des Weiteren gibt es immer mal wieder, auch innerhalb der dgh (Deutsche Gesellschaft für Haus-wirtschaft e. V.), - unserem Fachverband - Diskussionen um den Namen der Haushaltswissenschaft und ob dieser noch zeitgemäß sei. Ich bin der Meinung, der Name ist zweitrangig, solange das Fach starke Verfechterinnen hat, die die Inhalte in Öffentlichkeit und Wissenschaft tragen.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehr-wert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Eine Vernetzung ist für eine inter- und transdisziplinäre Wissenschaft essentiell und die Perspektiven anderer Disziplinen sind immer bereichernd. Angrenzende Disziplinen, mit denen sich Kooperationen anbieten sind z. B. die Armuts- und Ungleichheitsforschung, BWL & VWL, Frauenforschung/Gender Studies, Public Health, Sozial- und Familienwissenschaften oder auch Verbraucherwissenschaft. Kooperationsformen können gemeinsame (Drittmittel-)Projekte, Publikationen oder die Ausrichtung von Tagungen sein. So haben wir am Institut für Ernährung, Gesundheit, Konsum bereits einen gemeinsamen Drittmittelantrag, bestehend aus der Public Health Nutrition sowie der Ernährungswissenschaft, auf den Weg gebracht. Darüber hinaus fand beispielsweise jüngst (März 2023) die gemeinsame Frühjahrstagung mit dem Titel "Familie - Oikos - Care" mit der Sektion Familiensoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie statt, die den Austausch weiter beflügelt hat.

5. Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

In außeruniversitären (Forschungs-)Instituten werden ebenfalls Fragestellungen zu den Lebenslagen privater Haushalte bearbeitet, sodass ihnen eine zentrale Bedeutung zukommt. Hier sind sowohl staatliche Institutionen wie das Statistische Bundesamt, Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) oder Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung zu nennen. Ich denke aber auch an das ISS (Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik) und das ism (Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz), bei dem ich selbst einmal Mitarbeiterin war. Oder das DJI (Deutsche Jugendinstitut), IPI (Institute für Produkt-Markt-Forschung), welche u. a. Haushaltsgerätetests durchführen und viele mehr. Dort überall bringen auch Haushaltswissenschaftler*innen ihre Expertise mit ein.

6. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Die aktuelle Lage der Haushaltswissenschaft sehe ich leider als sehr prekär an, da u. a. haushaltswissenschaftliche Inhalte auf universitärer Ebene fast gänzlich aus der Oecotrophologie verschwunden sind. Dies ist für mich unverständlich, da wir in unserer Dienstleistungsgesellschaft vor vielfältigen Herausforderungen stehen (z. B. bestehender Fachkräftemangel, demographischer Wandel und Klimakatastrophe), sodass Absolvierende mit haushaltswissenschaftlichem Schwerpunkt ein Arbeitsmarkt mit großem Wachstumspotential offen stünde. Hinzu kommt, dass die haushaltsbezogene Bildung für unterschiedlichste Zielgruppen in verschiedenen Lebenslagen wichtiger denn je ist. Dazu gehört u.a. die Stärkung von Alltagskompetenzen von Schüler*innen im Bereich der Ernährungs- und Verbraucherbildung. Weiterhin ist der Bereich der Beruflichen Bildung mit dem Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft, der (noch) an einigen Hochschul-Standorten Lehrkräfte für die Berufliche und Betriebliche Aus- und Weiterbildung qualifiziert (z. B. Münster, Kiel, Bonn, München, Gießen, Dresden, Paderborn) zu nennen.

Für die Zukunft der Haushaltswissenschaft ist die Stärkung auf universitärer Ebene essentiell. Dazu zählt auch, die haushaltswissenschaftlichen Inhalte wieder in die Oecotrophologie an den verschiedenen Standorten aufzunehmen. Darüber hinaus ist die dgh als Fachgesellschaft mit eigenem Fach-journal (Hauswirtschaft und Wissenschaft) essentiell für die Stärkung der Haushaltswissenschaft.

Ich bin froh als eine der jüngsten Professorinnen, die sich auch explizit als Haushaltswissenschaftlerin versteht, für die Professur für Lebensführung und Sozioökonomie des privaten Haushalts berufen worden zu sein, sodass ich mich mit meinem Wirken in den nächsten Jahren und Jahrzehnten explizit für die Haushaltswissenschaft einsetzen kann. Ich hoffe, dass es nicht um die Frage des Fortbestehens der noch relativ jungen Disziplin geht, sondern dass es zu einem stetigen Wachstum der Haushaltswissenschaft kommt, sodass wir bis zu meiner Pensionierung (in vrs. 34 Jahren) eine blühende Landschaft der Haushaltswissenschaft in Deutschland (und darüber hinaus) haben werden.

Nina Klünder ((c) Besim Mazhiqi)

Prof. Dr. Nina Klünder hat seit dem Jahr 2021 die Professur für Lebensführung und Sozioökonomie des privaten Haushalts an der Universität Paderborn inne. Zuvor war Prof. Klünder am Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz gGmbH sowie am Institut für Wirtschaftslehre des Haushalts und Verbrauchsforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig. Ihre Forschungs- und Publikationsschwerpunkte umfassen insbesondere Care-Arbeit, Arbeitsteilung im privaten Haushalt, Ernährungsversorgung und Zeitverwendung. Weitere Informationen