Palastanlage in Ihwa-dong, Seoul ((c) Bundo Kim)
Koreastudien ist ein Fach der Regionalstudien und gut vergleichbar mit Japanologie und Sinologie. Jedoch ist die Geschichte der Koreastudien in Deutschland etwa 50 Jahre jünger als die der anderen beiden ostasiatischen Regionalstudien, die Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts begründet wurden. Entsprechend gering ist die Zahl der Universitäten und Lehrstühle, an denen man Lehrveranstaltungen besuchen bzw. ein Studium absolvieren kann. Insgesamt gibt es bisher nur 5 Standorte und 7 Professuren, auch wenn an weiteren Universitäten durchaus vereinzelt einschlägige Lehrveranstaltungen angeboten und entsprechende Forschungen betrieben werden. Im Vergleich dazu kann man derzeit Japanologie an 14 Standorten bei 34 Professor:innen und Sinologie an 20 Standorten bei 48 Professor:innen studieren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass trotz steigender Nachfrage die Studierendenzahlen vergleichsweise gering und die Quantität sowie die Diversität der Forschung weitaus mäßiger ausfallen.
Traditionell beschäftigt sich ein überwiegender Teil der Lehre und Forschung in den Koreastudien in Deutschland mit der koreanischen Sprache und geisteswissenschaftlichen bzw. historisch-philologischen Bereichen wie Literatur-, Religions-, Kultur- und Geschichtswissenschaft. In den vergangenen Dekaden sind Soziologie und Politikwissenschaften sukzessive hinzugekommen. Der sozialwissenschaftliche Anteil an den Koreastudien in Deutschland ist jedoch noch vergleichsweise gering. Einen eigenen Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften in den Koreastudien gibt es bisher noch nicht - an der Universität Duisburg-Essen ist jedoch einer für die nahe Zukunft vorgesehen.
Im Zusammenhang insbesondere mit diesen neueren Entwicklungen ist eine der größten Herausforderungen in Forschung und Lehre, eine Balance herzustellen zwischen Sprachfähigkeiten, Landes- bzw. Regionalwissen und Anwendung von wissenschaftlichen Theorien und Methoden. Primäres Merkmal der Koreastudien ist der Forschungsgegenstand, die Menschen, Kulturen, Institutionen und Ereignisse rund um die koreanische Halbinsel. Das Fachwissen darüber kann man sich weder ohne ein gewisses Maß an Sprachfähigkeiten noch ohne einen wissenschaftlich fundierten Zugang sinnvoll erschließen. Wenn dieses Trilemma einigermaßen gemeistert wird, können die Koreastudien einen wesentlichen Beitrag sowohl zur übrigen Wissenschaftslandschaft leisten als auch zum Bildungsanspruch der deutschen Gesellschaft allgemein sowie zur Politik im Speziellen.
Sozialwissenschaftliche Koreastudien, so wie sie an der Universität Duisburg-Essen (UDE) und speziell dem Institut für Ostasienwissenschaften (IN-EAST) betrieben werden, befassen sich in Forschung und Lehre mit Phänomenen der Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in und um Nord- und Südkorea. Die Studierenden erhalten vom ersten Semester an neben dem Sprachunterricht in Koreanisch eine sozialwissenschaftliche Grundausbildung in einer der drei Sozialwissenschaften - Politikwissenschaft, Soziologie oder Ökonomie -, die ihnen dann als Handwerkszeug dient, wenn sie sich mit Themen rund um die koreanische Halbinsel befassen, ohne dabei die regionalen Zusammenhänge innerhalb Ostasiens aus dem Blick zu verlieren. Die Forschung am Lehrstuhl befasst sich mit Themen wie Wahlen, politischen Parteien, Verfassung, politische Bildung, Populismus, internationalen Beziehungen und politische Erinnerung in Korea und im Vergleich.
Das Studienprogramm erlaubt den Studierenden, sich mit einer soliden Ausbildung in einer der drei sozialwissenschaftlichen Disziplinen das nötige Werkzeug anzueignen, mit dem sie sich einer Bearbeitung ihrer Themen widmen können. Das Programm sieht darüber hinaus vor, dass die Studierenden auch Lehrveranstaltungen außerhalb ihres Länderschwerpunktes (Korea, Japan, China) und ihrer Heimatdisziplin belegen und somit sowohl interdisziplinär als auch transnational zu denken und forschen lernen können. Den Zugang zu ihrem Fokusland vertiefen sie durch die Ausbildung in einer der ostasiatischen Sprachen (Koreanisch, Japanisch, Chinesisch). Insgesamt sind die Rahmenbedingungen - auch in Hinsicht auf die vorgesehenen Stellen für Lehrkräfte am IN-EAST - prinzipiell sinnvoll und zielführend. In der praktischen Umsetzung gibt es jedoch immer wieder Schwierigkeiten, die vorgesehenen Stellen zu besetzen und den ambitionierten Lehrplan auch effektiv umzusetzen. Für die Forschenden bietet die systematische Einbettung in die Disziplinen eine solide Grundlage für Forschungsaustausch und Kooperationen.
Koreastudien in Deutschland sind zu vergleichbaren Regionalstudienfächern wie Japanologie und Sinologie noch ein Mikrofach, das gerade bei der Personaldecke noch großen Nachholbedarf hat. Insbesondere angesichts der stark steigenden Nachfrage von Seiten der Studierenden stellt dies eine Herausforderung dar. Dies macht jedoch auch deutlich, dass es schwer ist, zu erwarten, dass das Fach im deutschen Hochschulsystem angemessen wahrgenommen wird. Es liegt in der Natur des spezialisierten Faches, dass hier ein großes Wachstum weder sinnvoll noch zu erwarten ist, da der potentielle (akademische) Arbeitsmarkt für Koreanist:innen im engen Sinne begrenzt ist. (Nichtsdestotrotz stehen unseren Absolvent:innen nach ihrer Ausbildung eine große Vielzahl an möglichen Tätigkeitsbereichen im weiteren Sinne offen.)
Ein nachhaltiges Wachstum ist jedoch möglich und wünschenswert. Wenn sich die Koreastudien in der Zukunft konsolidieren, was neben dem nötigen Personal vor allem auch die Stärkung sozialwissenschaftlich ausgerichteter Standorte einschließen muss (siehe unten), ist anzunehmen, dass sie auch entsprechend stärker wahrgenommen werden. Es wäre jedoch unrealistisch zu erwarten, dass Koreastudien eine vergleichbare Aufmerksamkeit erhalten wie etwa die großen Disziplinen. Die Studierenden und Forschenden der Koreastudien sind Teil der Disziplinen und können und sollten in einem gegenseitig befruchtenden Austausch mit ihnen stehen - nicht in Konkurrenz. Eine angemessene Wahrnehmung der Koreastudien wird sich mit der weiteren positiven Entwicklung des Faches (s.u.) einstellen.
Für die Koreastudien gibt es viele Vorteile bei fächerübergreifenden Kooperationen. Da sich Koreastudien im Allgemeinen in erster Linie über die Lehre und Forschung zu Korea auszeichnen, ist eine Vernetzung - explizit oder implizit - mit anderen Fächern in seiner Identität angelegt. Prinzipiell stehen die Koreastudien - je nach Ausrichtung des Standorts bzw. Lehrstuhls -mindestens allen sozialwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Forschungsrichtungen aufgeschlossen und interessiert gegenüber, auch wenn sich in manchen Fällen eher direkte und in anderen Fällen indirekte Möglichkeiten der Zusammenarbeit anbieten. Selbst Vernetzung mit naturwissenschaftlichen Fächern müssen nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Die Entscheidung für oder gegen die Vernetzung und Kooperation kann hier nur von Fall zu Fall sinnvoll entschieden werden.
Am IN-EAST der Universität Duisburg-Essen zum Beispiel wird eine Art Grundstock der Vernetzung bereits durch die Programmstruktur vorgegeben und automatisch gefördert. Für den IN-EAST-Lehrstuhl für Politik und Gesellschaft Koreas bieten sich Vernetzungen mit den Disziplinen der Politikwissenschaft und Soziologie sowie Ökonomie an, aber auch mit anderen Regionalstudienfächern wie Japanologie und Sinologie. Auch Vernetzungen mit sowohl Koreastudien als auch Deutschlandstudien in Südkorea haben sich bereits als gegenseitig stimulierend herausgestellt.
Außeruniversitäre Forschungsinstitute sind dann für das Fach interessant, wenn sie sich mit einem relevanten Themenbereich auseinandersetzen. Auch in Korea selbst gibt es zahlreiche Institutionen mit diversen inhaltlichen Ausrichtungen, die mal mehr und mal weniger für unser Fach interessant sind, und mit denen wir von Zeit zu Zeit punktuell oder individuell auch mittel- und langfristig zusammenarbeiten (würden). Auch Forschungsinstitute in Deutschland, Europa oder anderen Regionen können potentiell interessante Kooperationspartner sein, wenn der thematische Fokus Synergieeffekte bei einer Zusammenarbeit verspricht.
Zum Beispiel kann die Zusammenarbeit mit außeruniversitären (Forschungs-)Instituten wie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) oder der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sinnvoll sein. In verschiedenen Fällen haben sich bereits Kooperationen mit Institutionen wie dem Auswärtigen Amt (AA), der deutschen Botschaft in Nord- und Südkorea und politische Stiftungen für beide Seiten als fruchtbar erwiesen. Andere Kooperations-Beispiele sind die diplomatischen Vertretungen Südkoreas in Deutschland, die Korea Democracy Foundation (KDF), das Korea Development Institute (KDI) oder die Kim Dae-Jung Academy.
Die Koreastudien in Deutschland insgesamt sind noch nicht ausreichend entwickelt. Trotz der sehr großen und stetig wachsenden Nachfrage von Seiten der Studierenden und dem ebenso stark wachsenden Informationsbedarf der Gesellschaft sowie in Teilen der Politik gibt es vergleichsweise nur wenige Standorte, an denen man Koreastudien studieren und eine entsprechende Expertise ausbilden kann. Ebenso ist die personelle Ausstattung für die große Nachfrage noch sehr weit unter ihrem Optimum im Vergleich zu anderen Fachbereichen wie Japanologie und Sinologie. Innerhalb der Koreastudien ist darüber hinaus der Bereich, der sich auf sozialwissenschaftlicher Basis mit den Lehr- und Forschungsgegenstand Korea auseinandersetzt, noch unterentwickelt. Daher ist die zentrale Herausforderung erstens, die derzeitigen Standorte der Koreastudien in Deutschland zu konsolidieren und personell und institutionell zu stärken. Zweitens ist der Ausbau von sozialwissenschaftlichen Koreastudien eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Konsolidierung und ein nachhaltiges Wachstum des Faches nötig.
Für die Ermöglichung und Sicherstellung einer solchen positiven Entwicklung der Koreastudien sind zu einem Teil die Lehrenden, Forschenden und Studierenden verantwortlich. Die Unterstützung der Entscheidungsträger:innen auf der Ebene der Hochschulleitungen sowie der Bildungspolitik ist jedoch ebenso unabdinglich.
Hannes B. Mosler hat seit dem Jahr 2020 den Lehrstuhl für Sozialwissenschaftliche Ostasienstudien mit dem Schwerpunkt Korea an der Universität Duisburg-Essen inne. Zuvor lehrte er elf Jahre lang an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. politische und soziale Fragen des modernen Koreas, politische Bildung, Geschichtspolitik und politische Erinnerung sowie Verfassungsgerichtsbarkeit. Er fungiert als stellvertretender Direktor des IN-EAST (Institute of East Asian Studies), Vorsitzender der Vereinigung für Koreastudien im deutschsprachigen Raum (VfK), Mitglied des Steering Committees von EastAsiaNet und im Editorial Board von Pacific Affairs. Weitere Informationen