Blick von der Burg auf die typischen Steingebäude Gjirokastras in Südalbanien (@ Demiraj 2014)

1. Die Albanologie gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Fachrichtung Albanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) fungiert seit 1961 als einziger nördlich der Alpen aktiver Studienschwerpunkt, dessen Hauptziel Kompetenzvermittlung für den gesamtalbanischen Sprach- und Kulturraum in wechselseitiger Beziehung zu den anderen national bezogenen Sprach- und Kulturräumen auf dem West- und Zentralbalkan ist. Der seit WS 2019/20 neu gegründete Masterstudiengang Albanologie (https://www.albanologie.uni-muenchen.de/) bietet ein umfangreiches interdisziplinäres Studienprofil an, in dem Studierende die Möglichkeit haben, fundierte Kenntnisse mit direkter Forschungsanbindung über die sprachlichen, historischen und kulturellen Besonderheiten zu erlangen, durch die sich der albanischsprachige Raum auf dem Westbalkan sowie die albanische Diaspora in Europa auszeichnet. Die Basis bilden fachspezifische Kenntnisse aus den Bereichen der albanischen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft, vertiefte Kenntnisse im Albanischen in dessen vielfältigen, landschaftlich bezogenen Varietäten sowie in den älteren Stufen der albanischen Schriftkultur (XV. - XIX. Jh.). Parallel dazu wird großes Gewicht auf die sprachpraktische Ausbildung im Standard-Albanischen mit Kompetenzen in Textverständnis und -produktion und Grammatik gelegt.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

München hat sich seit den 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts als Zentrum für albanologische Lehre und Forschung etabliert. 1971-1990 hielt der Albanologe und Schriftsteller Martin Camaj die Professur inne, danach war mit Wilfried Fiedler eine weitere Koryphäe der Albanologie mit der Professur betraut. Auch außerhalb des Fachs wurde in München zur albanischen Kultur geforscht, so hat etwa Peter Bartl einige Standardwerke zur Geschichte Albaniens veröffentlicht. Ein Großteil der Absolvent*innen der Münchner Albanologie hat in fachnahen Bereichen beruflichen Anschluss gefunden. Die Bayerische Staatsbibliothek hat in ihrem Bestand auch einen Schwerpunkt auf albanischen Veröffentlichungen. Fast jeder wichtige albanische Titel ist darin aufgenommen, was ideale Forschungsbedingungen am Standort München ermöglicht, neben den albanologischen Beständen innerhalb des Philologicums. Auch geographisch liegt München günstig. So konnten Feldforschungsreisen ins nahe Italien organisiert werden, bei denen einerseits Kontakte zu italienischen Universitäten mit Lehrstühlen für Albanologie (Cosenza, Palermo, Neapel) geknüpft wurden, andererseits auch Ortschaften besucht wurden, in denen die Arbëresh leben, Albaner*innen, die seit dem 15. Jahrhundert nach Italien ausgewandert sind. Auch Besuche und Feldforschungen in den albanischsprachigen Gebieten des Westbalkans sind von München aus gut möglich. So haben viele Studierende die Möglichkeit wahrgenommen, Tagungen oder Sprachkurse in Prishtina und Tirana zu besuchen, des Weiteren Feldforschungen durchzuführen.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass die Albanologie in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Mit der politischen Öffnung und allmählichen Stabilisierung des albanischsprachigen Raums hat auch das Interesse am Land und an der Kultur zugenommen; zudem hat sich die Wahrnehmung im Westen positiv verbessert. Dies zeigt sich beispielsweise an den hohen Teilnehmerzahlen in den Albanischsprachkursen. Nachdem sich Albanien nicht wie früher unter der Diktatur selbst isoliert, liegt es auch wesentlich am europäischen Ausland, zu einer Wahrnehmung des Balkanstaates beizutragen. Wie andere geisteswissenschaftliche Fächer steht auch die Albanologie oftmals unter einem Rechtfertigungsdruck, zumal sich die öffentliche Wahrnehmung häufig auf Konflikte in der Region beschränkt. Andererseits spricht allein die hohe Zahl der im deutschsprachigen Raum lebenden Albanerinnen und Albaner für eine feste Verankerung des Studienfachs. Zahlreiche Studierende stehen zwischen zwei Kulturen; ihnen wird durch das Studium der Albanologie ermöglicht, dies als Chance wahrzunehmen. Als Beispiel kann hier die Übersetzungspraxis erwähnt werden, die in verschiedenen Kursen gelehrt wird. Während einst etwa die Werke des Nobelpreisanwärters Ismail Kadare über den Umweg des Französischen übersetzt wurden, stehen heute fachkundige Übersetzer*innen zur Verfügung, die sowohl in der Ausgangs- als auch in der Zielsprache beheimatet sind. Hier leistet auch die Albanologie ihren Beitrag.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihre eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Es bieten sich zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten zwischen der Albanologie und anderen Disziplinen an, so u. a. mit der Linguistik, der Romanistik, der Slawistik, der Ost- und Südosteuropa Geschichte, der Ethnologie und der Komparatistik. Das Studium der Albanologie ist an der LMU von vornherein auf Vernetzung angelegt, da von den Studierenden zum Beispiel auch der Erwerb einer Nachbarsprache gefordert wird. In Bezug auf die gegenseitige Kooperation spricht auch die Beteiligung des Faches am Gemeinsamen Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Profilbereich (www.profilbereich-gs.uni-muenchen.de) sowie als Nebenfach an dem Elite-Masterstudiengang Geschichte Osteuropas und Südosteuropas (www.gose.geschichte.uni-muenchen.de) für sich.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Faches hilfreich?

Der Standort der Münchner Albanologie ermöglicht es, dass die Erforschung der albanischen Kultur nicht einigen engagierten Einzelpersonen vorbehalten bleibt, sondern für alle Interessierten zugänglich ist. Wie andere geisteswissenschaftliche Disziplinen hat auch die Albanologie mit einem Rückgang an Studierenden zu kämpfen. Gleichzeitig ist das Fach in München in Bezug auf die Forschung sehr aktiv: So sind u.a. seit 2003 6 internationale kulturwissenschaftliche Tagungen organisiert, woran renommierte Forscher aus 12 verschiedenen Ländern aus Europa und USA teilgenommen haben. Es besteht ein großangelegtes Projekt zum digitalen philologisch-etymologischen Wörterbuch des Altalbanischen (www.dpwa.gwi.uni-muenchen.de) und es werden laufend Projekte von Masterstudierenden und Promovenden betreut. In diesem Zusammenhang ließe sich die Beurteilung als "exotisches" oder "Orchideenfach" auch für unser Fach nur polemisch als koloniale Rhetorik bewerten. In Zeiten, wo von einer vermeintlichen "deutschen Leitkultur" die Rede ist, sollte sich Deutschland auf seine wissenschaftliche Tradition besinnen, die unabhängig von ökonomischen Gesichtspunkten besteht.

Bardhyl Demiraj

Bardhyl Demiraj hat seit 2001 die deutschlandweit einzige Professur für Albanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen a) im Bereich der Albanologie: Albanisch aus der Perspektive der historisch-vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft; Albanisch aus der Perspektive der Areallinguistik und Sprachkontaktforschung; Albanische Etymologie; Altalbanische Philologie und Schriftkultur (XV.-XIX. Jh.); und b) im Bereich der Balkanlinguistik und Substratforschung: Albanisch-rumänischer Sprach- und Kulturkontakt und Altbalkansprachbund. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften Albaniens und Mitherausgeber mehrerer kultur-wissenschaftlicher Reihen und Zeitschriften in Deutschland, Italien, Russland und im albanischsprachigen Raum. Weitere Informationen