Botanischer Garten Coimbra Portugal ((c) Frank Uekoetter)

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Eigentlich ist Technik- und Umweltgeschichte ein unmögliches Fach. Das Spektrum der einschlägigen Themen und Methoden läuft auf eine chronische intellektuelle Überforderung hinaus: Die technische Welt birgt eine schier überwältigende Vielfalt und die natürliche Umwelt erst recht. Vermutlich gibt es uns nur deshalb, weil Historiker sich weiterhin – um ein vielzitiertes Bonmot Marc Blochs zu paraphrasieren – wie die mythenhaften Menschenfresser gerieren: Sie nehmen Witterung auf, wenn sie menschliches Fleisch riechen1. Da braucht es Leute, die sich um den ganzen verwirrenden Rest kümmern. So geht es im Kern darum, ein riesiges Loch in unserer historischen Imagination zu flicken, ohne an der Aufgabe zu verzweifeln.

Die Vielfalt der Technik- und Umweltgeschichte ist Übrigens eine fachdisziplinäre Errungenschaft. Noch in den 1980er Jahren kreiste das Fach um einen harten thematischen Kern: Kohle und Stahl, Industriechemie, Elektrotechnik, Maschinenbau, alles im Wesentlichen produktionszentriert. Dann kamen neue Themen, der Konsument kam in den Blick und auch der Rest der Gesellschaft, das Fach lernte das Leben mit Multiperspektivität. All das bekommt man wohl nicht mehr in die Flasche zurück, und das ist auch gut so. Wer heute in der Technik- und Umweltgeschichte noch mit einer Hierarchie der Themen oder Perspektiven operiert, diskreditiert sich nur selbst.

Bei aller Vielfalt gibt es jedoch eine zentrale Herausforderung: Man braucht ein Gespür für die Eigenlogik der technischen und ökologischen Sphäre. Nur wer die Funktionsweise einer Maschine oder das Miteinander von Arten in einem Ökosystem versteht, kann sie kompetent in eine historische Analyse integrieren. Das erfordert eine Menge Zeit und Energie, aber letztlich steckt in der Störrigkeit der nichtmenschlichen Sphäre die Existenzberechtigung unseres Faches. Wenn sich Technik und natürliche Umwelten allein nach dem menschlichen Wünschen und Wollen richten würden, bräuchte es keine Technik- und Umweltgeschichte.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die wichtigste Rahmenbedingung ist wohl der Geschichtsunterricht in der Schule. Da kommen technik- und umwelthistorische Themen kaum vor, auch weil das im Zweifelsfall der Kollege von der Erdkunde übernimmt. So entscheidet sich kaum jemand für ein Studium der Geschichtswissenschaft, weil sie/er sich für technische oder ökologische Fragen interessiert. Und wenn sie dem Fach dann an der Universität begegnen, bleibt eine gewisse Fremdheit: Ist das denn eigentlich richtige Geschichte? Als Technik- und Umwelthistoriker lebt man in einer Nische, die eigentlich gar keine Nische sein sollte, sondern selbstverständlicher Teil der Geschichte in ihrer ganzen grandiosen Vielfalt.

Ein positiver Impuls entspringt seit einigen Jahren dem wachsenden Interesse an transnationaler und globaler Geschichte. Da kann die Technik- und Umweltgeschichte einen großen Vorteil ausspielen: Sie kann Weltgeschichte einfacher machen, einfach deshalb, weil die Naturgesetze überall gelten. Deshalb gibt es frappierende Ähnlichkeiten im Umgang mit ökologischen und technologischen Herausforderungen, die ein solides Rückgrat für globalhistorische Höhenflüge bieten. Bei anderen Zweigen der historischen Forschung endet derlei nur zu leicht in einem Kataklysmus von Komplikationen.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Die Technikgeschichte konkurriert auf vielen Feldern mit einer Liebhaberliteratur, die bei manchen Themen – Stichwort Eisenbahn – kaum zu überschauen ist. Das ist zum Teil durchaus kenntnisreich, aber bei Fragen nach Kontext und Methodik stößt dieses Genre regelmäßig an Grenzen. Es gibt vieles, was sich durch eine rein internalistische, also auf das Artefaktische beschränkte Betrachtungsweise nicht verstehen lässt. Hinzu kommt das süße Gift der Nostalgie, das häufig alle kritischen Ambitionen abwürgt. Da braucht es clevere, bisweilen auch subversive Strategien, um als Fach sichtbar zu sein.

Ein großes Problem ist die neuere High-Tech-Euphorie, paradigmatisch zu sehen in der Computerbranche und der Gentechnologie. Da scheint alles zu verblassen, was wir in den siebziger und achtziger Jahren über Risiken und Nebenwirkungen großtechnischer Systeme gelernt haben, und leider spricht daraus nicht nur Ahnungslosigkeit, sondern auch das richtig große Geld. Im Rattenrennen um die Gunst der Investoren gewinnt, wer alle Ambivalenzen ausblendet: fake it 'til you make it! Geradezu putzig wirkt da im Vergleich der neue Glaube an naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf der Linken, mustergültig zu sehen im Kult um das Anthropozän. Dahinter steckt anscheinend die Enttäuschung über das revolutionäre Subjekt. Wenn die Arbeiterklasse den Rechtspopulisten auf den Leim geht, gibt es immer noch den Klimawandel. Der soll dann Kapitalismus, Kolonialismus und menschliche Hybris in einem Rutsch abservieren – tja, was man halt so hofft, wenn die Revolution einfach nicht kommen will. In beiden Fällen kann man als Technik- und Umwelthistoriker nur ratlos mit den Schultern zucken. Wir waren da schon mal weiter.

Bei der Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit gibt es jedoch einen Aktivposten: die Museen! Es gibt das Deutsche Museum in München und das Deutsche Technikmuseum in Berlin, aber neben den großen Tankern gibt es vor allem eine grandiose Vielfalt von Spezialmuseen für Glocken, Schweine, Papier, Erdöl und vieles mehr. Dort sind schon viele StudentInnen der Technikgeschichte gelandet, und das hat dazu beigetragen, dass viele Museen mit einem gewissen Anspruch geleitet werden. Es ist schon beeindruckend, was pfiffige Museen mit überschaubaren Etats auf die Beine stellen können. Viel Geld haben solche Museen eigentlich nur dann, wenn sie der Markenpflege dienen. Schöne Grüße nach Stuttgart ans Mercedes-Benz Museum!

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Wahrscheinlich gibt es keinen Zweig der Geschichtswissenschaft, der mit so vielen Fächern kooperieren kann. Für viele Technologien gibt es eigene Fachwissenschaften, und wer ökologische Prozesse studiert, braucht naturwissenschaftliche Expertise. Die große Frage ist, wann dabei ein Mehrwert entsteht. Nichts gegen gemeinsames Fachsimpeln, aber auf Dauer braucht eine produktive Kooperation klare Leitfragen.

Aus meiner Sicht lohnt die Vernetzung besonders dann, wenn natur- oder ingenieurwissenschaftliche Fächer auf Probleme stoßen, die sich mit den spezifischen Instrumenten der jeweiligen Disziplin nicht beantworten lassen. Solche Situationen gibt es gegenwärtig ziemlich oft: Energiewende, Ernährung, Corona – immer wieder stehen Fächer mit ihrem Wissen und ihren Denkweisen ziemlich ratlos vor einer Gesellschaft, die irgendwie anders tickt. Da kommt man weiter, wenn man historisch ansetzt, so nach dem Motto: Schauen wir doch mal nach, auf welchem Weg wir eigentlich in dieses Schlamassel geraten sind. Im Idealfall erweisen sich dabei historische und andere Fachinteressen als komplementär.

Nach meiner Erfahrung kommt es dabei weniger auf ausgeklügelte Kooperationsformen an als auf eine gewisse Charakterfestigkeit. Man sollte nicht gleich einschnappen, wenn ein Experte erst mal prüft, ob dieser Historiker denn auch das nötige Grundwissen hat. Weil viele technische Disziplinen immer noch arg testosteronlastig sind, fällt diese Kompetenzprüfung bei Frauen gerne mal besonders gründlich aus. Es hilft, die jeweiligen Codes eines Faches zu kennen. Der Blutdruck eines Forstexperten steigt meist weniger rasch, wenn man erst mal von Reinkulturen spricht und nicht gleich von Monokulturen. Für andere Fächer wirken Technik- und Umweltgeschichte bei solchen Kooperationen wie eine Art Entsorgungsdienstleister mit allen Vor- und Nachteilen. Es ist erst mal befremdlich, wenn sich da jemand durch den eigenen Müll wühlt, aber kluge Experten sind unheimlich dankbar, wenn sie am Ende besser durchblicken, wie sich das alles sortiert und wo die toxischen Bestandteile sind.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Die Vielfalt der Themen läuft auf eine riesige Zahl von Instituten hinaus, die Relevanz für technik- und umwelthistorische Projekte haben. Meist ist es eine gute Idee, den Kontakt zu einem thematisch einschlägigen Museum zu pflegen. Die haben oft eigene Bibliotheken, Quellen und Objekte sowie hilfreiche Netzwerke. Grundsätzlich gilt: Man muss sich Partner suchen, ab und zu in die jeweilige Fachpresse schauen oder auch mal auf Fachveranstaltungen gehen und dumme Fragen stellen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Manchmal frage ich mich, wie die Geschichte unserer Zeit in 100 oder 200 Jahren geschrieben wird. Da bin ich mir ziemlich sicher, dass zukünftige Menschen über Umwelt reden werden – einfach deshalb, weil die Folgen unseres ökologischen Fußabdrucks in kommenden Lebenswelten unübersehbar sein werden. In der außereuropäischen Geschichte war die Ausgrenzung des Technischen und Ökologischen ohnehin nie wirklich plausibel, da kann man auch schon den Tonfall einer künftigen Geschichte probehören. Lesen Sie mal Eduardo Galeanos Die offenen Adern Lateinamerikas: eine bittere Anklage der Ausbeutung eines Kontinents über 500 Jahre hinweg. Ob moralische Empörung analytisch weiterführt, ist durchaus diskutabel, aber das Buch vermittelt eine Ahnung davon, wie eine Geschichtswissenschaft ohne Technik und natürliche Umwelten auf diesem Planeten langsam lächerlich wird.

Im kommoden Mitteleuropa könnte es allerdings noch etwas dauern, bis sich Technik- und Umweltgeschichte auf ähnliche Weise aufdrängt. Bis dahin sollte das Fach vielleicht eher auf produktive Irritationen setzen. Es gibt zahlreiche umwelt- und technikhistorische Bücher, die die mentalen Innenwelten ihrer LeserInnen regelrecht erschütterten: Plötzlich sah die Welt anders aus. Technik- und Umweltgeschichte ist kein Fach für Leute, die Wert darauflegen, ihre eigenen Erwartungen bestätigen zu lassen.


1Marc Bloch, Apologie der Geschichte oder Der Beruf des Historikers. Herausgegeben von Lucien Febvre, München 1985, S. 25.

Frank Uekötter hat seit dem Jahr 2023 den Lehrstuhl für Technik- und Umweltgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum inne. Zu den vorherigen Stationen seiner akademischen Laufbahn zählen unter anderem die Universität Bielefeld, die Ludwig-Maximilians-Universität München und die University of Birmingham in Großbritannien. Im Zentrum seiner vielfältigen Forschungen stehen aktuell insbesondere die Geschichte der Kernenergie in Deutschland sowie die Globalgeschichte der Monokultur. Zum letztgenannten Thema leitet Professor Uekötter seit 2021 ein vom European Research Council gefördertes Forschungsprojekt. 2023 erschien sein Opus magnum „The Vortex: An Environmental History of the Modern World” bei University of Pittsburgh Press. Weitere Informationen finden Sie hier und hier.