(Copyright Franziska Frenzel)

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Sorabistik beschäftigt sich mit den Sprachen, der Literatur, Kultur und Geschichte der Sorben. Im Unterschied zu anderen Philologien sind wir auch mit Spracherhalt ganz wesentlich befasst. Die Tradition hier in Leipzig reicht über 300 Jahre zurück, zunächst als Interessengemeinschaft von sorbischen Theologiestudierenden, denen die rhetorische und grammatische Ausbildung im Sorbischen fehlte, um später kompetent als Priester in ihrer Heimat zu wirken. Heutzutage bilden wir hauptsächlich Sorbischlehrer*innen für Sachsen und Brandenburg aus, die dringend gesucht werden, aber natürlich auch den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir verbinden einerseits die historische, slawistisch orientierte Sicht auf die sorbischen Sprachen als slawische Sprachen mit einer 500-jährigen schriftlichen Tradition mit der soziolinguistischen Sicht auf eine Minderheit, die ständig von Assimilation bedroht wird und strukturell diskriminiert ist.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die Leipziger Universität mit ihrer philologischen Tradition bietet an und für sich eine sehr gute Grundlage, auch für Kooperationen. Problematisch sind die sehr starken Kürzungen, die die Universität hinnehmen musste. Die Sorabistik selbst wurde nach der Wende zu einem Torso heruntergekürzt. Es gibt nur noch eine einzige Professur. Weder Geschichte noch Literatur oder Kultur sind angemessen vertreten, was die Attraktivität des Angebots sehr beeinträchtigt und dadurch mittelbar den Sprach- und Kulturerhalt bedroht. Am einzigen Hochschulstandort sind die verfassungsmäßigen Aufgaben so nicht zu erfüllen.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Uns fehlen, was unser Fach anbelangt, zum einen die Mittel, um geeignet zu werben. Zum anderen sind die Kenntnisse über die Sorben in der Bevölkerung sehr gering. Man muss bedenken, dass das sorbische Sprachgebiet ja einst weit über Sachsen und Thüringen hinaus bis in die Oberpfalz reichte. Es wird gefordert, dass im Geschichtsunterricht Grundkenntnisse zu vermitteln sind, aber das geschieht nicht, auch nicht in historischen Ausstellungen in Museen. Wir sind nicht existent.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Ohne Vernetzung und Kooperationen könnten wir unsere Studiengänge gar nicht mehr anbieten, auch wenn das bedeutet, dass nicht-sorabistische Inhalte zunehmen, denn die Kolleg*innen anderer Institute können solche ja gar nicht vermitteln. Von besonderem Interesse sind für uns Kooperationen mit Instituten, die andere Minderheitensprachen vertreten (aufgrund der vergleichbaren soziolinguistischen Situation) und solche, die andere slawische Sprachen vertreten (aufgrund der historischen Verbindungen).

5. Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Einrichtungen / Institute für Ihr Fach?

Die Bedeutung ist sehr groß. Natürlich sind die sorbischen Schulen und die sorbischen Einrichtungen (allen voran das Sorbische Institut e.V. und das Sprachzentrum Witaj) von zentraler Wichtigkeit, weil hier die meisten unserer Absolventen später wirken. Wir haben aber z.B. seit Jahren ein von der irischen Regierung finanziertes Irisch-Lektorat, das uns gestattet, einen B.A. Europäische Minderheitensprachen anzubieten, der unsere Sichtbarkeit und die des Sorbischen auch im Ausland ein wenig erhöht. Im slavischen Ausland wäre vor allem die Společnost přátel Lužice in Prag zu nennen, die ebenfalls unsere Sichtbarkeit erhöht und unseren Studierenden die Möglichkeit für Auslandspraktika bietet. Die Stiftung für das sorbische Volk finanziert jährliche Stipendien für Studierende, insbesondere aus dem slawischen Ausland.

6. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Das Hauptproblem, das wir haben, ist das niedrige Prestige des Sorbischen, was dazu führt, dass die Sprache nach wie vor unterdrückt wird (auch wenn sich in letzter Zeit einiges gebessert hat), was einerseits dazu führt, dass sorbischsprachige Eltern mit ihren Kindern deutsch reden, und andererseits Deutsche in der Lausitz nur in Ausnahmefällen Sorbisch lernen und nur extrem selten die Sprache sehr gut erlernen. Die muttersprachlichen Studierenden haben heute einen viel schlechteren Sprachstand als vor 20 Jahren, was sehr besorgniserregend ist. Wir werden also mehr und mehr Nichtmuttersprachler*innen zu Sorbischlehrkräften und Fachlehrkräften mit Sorbischanteil ausbilden müssen (für letztere, also z.B. Mathematiklehrer*innen, die ihren Unterricht auf Sorbisch oder zweisprachig führen sollen, gibt es nicht einmal ein Konzept), deren Aufgabe darin bestehen wird, Kindergruppen mit immer höherem Anteil an deutschsprachigen Kindern das Sorbische so gut beizubringen, dass der Spracherhalt bzw. die Revitalisierung gelingen kann. Das ist eine sehr große Herausforderung, die nur gelingen kann, wenn von politischer Seite nicht nur Lippenbekenntnisse kommen und eine Förderung, die eher geeignet ist, dem Patienten ein schönes Begräbnis auszurichten, als ihn zu heilen.

Eduard Werner

Eduard Werner bekleidet seit 2003 die deutschlandweit einzige Professur für Sorabistik und Sorbische Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig. Zuvor war er in der Abteilung Sprachwissenschaft des Sorbischen Instituts in Bautzen tätig. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen im Bereich Sorbische Sprache der Gegenwart und Sorbische Sprachgeschichte. Weitere Informationen