Die Public History in Deutschland beinhaltet Elemente aus der Geschichtswissenschaft, der Geschichtsdidaktik und den historisch arbeitenden Kulturwissenschaften. Ihre Vertreterinnen und Vertreter widmen sich in Forschung und Lehre sowohl den unzähligen (medialen) Manifestationen von Geschichte im öffentlichen Raum als auch den Vermittlungsstrategien von Geschichte und historischem Wissen, die diesen jeweils zugrunde liegen. Im Unterschied zu anderen Arbeitsfeldern der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik versteht sich die Public History erstens als eine Unternehmung, in der Expertinnen und Experten ganz unterschiedlicher Disziplinen sowie außerwissenschaftlicher Arbeitsfelder wie zum Beispiel Museen gleichberechtigt miteinander kooperieren. Diese Kooperation schließt idealerweise Studierende und Teile der breiteren Öffentlichkeit mit ein. Zweitens bildet die Praxis, das heißt sowohl ein individueller als auch ein gruppenbezogener Prozess des "Machens von Geschichte" ("doing history"), eine wichtige Herangehensweise der Public History.
Neben einzelnen zeithistorischen und geschichtsdidaktischen Entwicklungssträngen hat vor allem die US-amerikanische Public History ein wichtiges Vorbild für die Entwicklungen in Deutschland ab den 2010er Jahren abgegeben. In den USA hat sich Public History als eine eigenständige Disziplin in den 1980er Jahren herausgebildet und verortet sich dort bis heute zwischen traditioneller Geschichtswissenschaft und Public Policy. Über die Etablierung im angelsächsischen Hochschulsystem (neben den USA vor allem Kanada, Australien und Neuseeland) hinaus hat die Public History in den letzten 10 bis 15 Jahren ihren Siegeszug sowohl auf dem europäischen Kontinent als zuletzt auch in den Staaten Mittel- und Südamerikas angetreten. Die "International Federation for Public History" als Fachvertretung gründete sich 2010. In Deutschland wurde die erste Professur für Public History 2012 mit zeithistorischem Schwerpunkt an der Universität Heidelberg eingerichtet. Seitdem sind sechs weitere Professuren an den Universitäten in Bochum, Flensburg, Hamburg, Köln, München (LMU) und Tübingen hinzugekommen. Vier der aktuell sieben Professuren (Stand 2020) verfügen aber nur über den Status einer Juniorprofessur (ohne Tenure Track). Die Zuordnung der Professuren zur Geschichtswissenschaft (1/1) beziehungsweise zur Geschichtsdidaktik (2/3) verdeutlicht dabei den speziellen Entstehungshintergrund im deutschen Wissenschaftssystem, der eng an Arbeitsfelder wie die Geschichtskultur, die Erinnerungskultur oder die Geschichtspolitik anschließt. An der FU Berlin sowie in Bochum, Köln und Regensburg ist die Public History zudem mit einem eigenen Masterstudiengang vertreten. Seit 2012 hat sie sich auch im Rahmen einer Arbeitsgruppe "Angewandte Geschichte/Public History" im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands institutionalisiert.
Die Universität Heidelberg versteht sich im traditionellen Sinne als Volluniversität. Sowohl im Historischen Seminar, im Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie im Heidelberg Center for Cultural Heritage ergeben sich unzählige Möglichkeiten der inhaltlichen Verflechtung auf Basis trans- und/oder interdisziplinärer Forschungsprojekte. Zu dieser im Bereich der Forschung günstigen Umgebung für die Public History hat nicht zuletzt auch die Entscheidung beigetragen, im Rahmen der Exzellenzstrategie in Heidelberg eine Flagship-Initiative zum Themenfeld "Transforming Cultural Heritage" zu etablieren. Eine ähnlich positive Situation ergibt sich auch für die Lehre: Veranstaltungen der Public History zählen nicht nur zum Portfolio des Historischen Seminars, sondern fließen zugleich in das Angebot weiterer Studiengänge wie beispielsweise den neuen Master Cultural Heritage und Kulturgüterschutz oder den Master of Education ein. Der entscheidende Vorteil, als sogenannte Kleines Fach an einer Volluniversität mit einem breiten inhaltlichen Angebot angesiedelt zu sein, liegt aber nicht zuletzt darin, dass es einen Pool an Kolleginnen und Kollegen gibt, die potenziell für die Tandemlehre angesprochen werden können. Diese ist deshalb besonders wichtig, da eine der übergreifenden Gemeinsamkeiten der Public History darin besteht, an den verschiedenen Universitätsstandorten innovative Lehr- und Lernformate durchzuführen. Projektseminare die von mindestens zwei oder mehreren Lehrenden aus unterschiedlichen Fächern verantwortet und aktiv geleitet werden, haben sich als eine gute Lösung erwiesen, den Praxisbezug sowie die Wissensvermittlung und den Wissenstransfer auch in der Lehre und damit insgesamt die Ausbildung von Studierenden in historisch ausgerichteten Studiengängen zu stärken.
Die Geschichtswissenschaft wird, nicht zuletzt im Vergleich mit anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, in einem hohen Maße öffentlich wahrgenommen. Da sich die Public History mit der Analyse materieller sowie medialer Repräsentationen von Geschichte und den sie begleitenden öffentlichen Diskussionen und Kontroversen vor allem im Rahmen der zeitgenössischen Geschichts- und Erinnerungskultur beschäftigt, sind ihre Vertreterinnen und Vertreter vor unterschiedlichen Publika präsent. Neben den Vorteilen, die diese thematisch-inhaltliche Nähe zur Geschichtswissenschaft und hier hauptsächlich zur Zeitgeschichte mit sich bringt, lassen sich an der Öffentlichkeitswirksamkeit zugleich aber auch deren Nachteile festmachen: Vertreterinnen und Vertreter der Public History werden zwar als Historikerinnen und Historiker oder als Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler wahrgenommen, bislang aber kaum oder gar nicht als Vertreterinnen und Vertreter eines neuen Arbeitsfeldes, das heißt als Public Historians. Eine weitere Schwierigkeit bei der Wahrnehmung als eigenes Kleines Fach liegt in der Nähe zur Fach- respektive zur Geschichtsdidaktik. Nicht zuletzt mit ihrem aus der englischen Sprache übernommenen Namen erweist sich die Public History auf den ersten Blick noch als eine erklärungsbedürftige Disziplin. Zwar tragen die neu eingerichteten Masterstudiengänge seit kurzer Zeit dazu bei, das Profil von Public Historians zu schärfen und die Public History als eigenständiges Fach öffentlich wahrnehmbar(er) zu machen. An ihrer Sichtbarkeit müssen die Vertreterinnen und Vertreter des Faches beziehungsweise die in diesem Feld Lehrenden in der Zukunft sicher noch weiterarbeiten. Erste wichtige Schritte sind bereits getan - und auch die offizielle Aufnahme in die Liste der Kleinen Fächer hat zur öffentlichen Wahrnehmung und darüber hinaus zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Public History innerhalb der Universitäten beigetragen.
Die Vernetzung mit anderen Fächern ist für die Public History, die ja von ihrer Struktur her bereits interdisziplinär beziehungsweise fächerübergreifend angelegt ist, ein hohes Gut. Schwierigkeiten im wissenschaftlichen Alltag ergeben sich in der Regel durch die Größe des Faches, die wiederum mit einer zumeist auch schwächer ausgeprägten Infrastruktur einhergeht. Hiermit sind sowohl die Repräsentation und Positionierung in Fachverbänden als auch die Möglichkeiten der Vertretung in den Gutachtergremien der großen deutschen Institutionen der Forschungsförderung angesprochen. Umso wichtiger ist es, von Kooperationen wechselseitig zu profitieren. Da sich die Public History den Geschichtsrepräsentationen und damit auch dem Kulturellen Erbe - gleich ob im nationalen oder internationalen Zuschnitt - widmet, ist sie von ihrem Gegenstand her ein in vielerlei Richtungen anschlussfähiges Fach. Hier ergeben sich viele Synergien aus der Zusammenarbeit mit anderen Kleinen Fächern, die inhaltlich ebenfalls auf dem weiten Feld des Kulturerbes angesiedelt sind und in denen neben der Forschung auch der Präsentation der Forschungsergebnisse eine große Bedeutung zukommt, beispielsweise in (realen wie virtuellen) Ausstellungen. Gerade mit virtuellen Ausstellungen ist ein Bereich angesprochen, der in der unmittelbaren Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen wird, nämlich die Digitalität. Die Analysen der Public History zielen bereits heute zu großen Teilen auf mediale Repräsentationen von Geschichte, und auch in Projektseminaren stellen digitale Produkte zunehmend eine (echte) Alternative zur traditionellen Hausarbeit dar. Gerade auf diesem sich rasch weiterentwickelnden Feld tragen Kooperationen dazu bei, dass die benötigte Expertise nicht in allen beteiligten Fächern jeweils einzeln eingeholt oder erarbeitet werden muss. Durch einen solchen Austausch - den es heute auch mit Blick auf ökonomische und juristische Konsequenzen abzusichern gilt - könnten viele der Kleinen Fächer profitieren.
Auch wenn mit der Besetzung erster Professuren, der Einrichtung von Masterstudiengängen sowie der Gründung von Verbänden zur Interessenvertretung der Public Historians auf nationaler wie internationaler Ebene bereits Erfolge dabei erzielt werden konnten, die Public History als eigenständiges Fach in der deutschen Hochschullandschaft zu etablieren und zu institutionalisieren, so ist deren Zukunft doch als offen zu beschreiben: Einer der Gründe hierfür liegt im Status der Professuren: Bei der Mehrheit der aktuell vorhandenen Professuren für Public History handelt es sich um Juniorprofessuren ohne Tenure Track. In allen vier Fällen ist die generelle Weiterführung fraglich oder ein Wechsel in der Denomination nach Ablauf von sechs Jahren (ja nach Finanzierungsgrundlage der Juniorprofessuren) nicht auszuschließen. Eine weitere Herausforderung liegt zudem darin, dass neue Mitarbeiterstellen und (Junior-)Professuren in der Mehrzahl der Fälle im Bereich der Didaktik angesiedelt sind und ihren inhaltlichen Schwerpunkt in der Praxis auch auf diesem Feld innehaben. Die großen Chancen der Public History liegen indessen in ihrer genuin neuen Ausrichtung; diese verläuft quer zu den traditionellen Grenzen der Disziplinen und macht die Public History mit Blick auf neue Formate kollaborativen wissenschaftlichen Arbeitens zu einem interessanten Ansprechpartner für andere, vor allem historisch und kulturwissenschaftlich arbeitende Fächer. Zu einer positiven Entwicklung des Faches kann auch beitragen, dass durch die speziellen Forschungsinhalte in der Regel bereits ein starker Bezug zu gesellschaftlichen Problemlagen und somit ein öffentliches Interesse gegeben ist und der Einbezug digitaler Aspekte von Beginn an zur Arbeitsweise des Faches gezählt hat.
Cord Arendes ist seit 2012 Professor für Angewandte Geschichtswissenschaft - Public History am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er ist unter anderem Sprecher des Promotionskollegs "Kunst, Kultur und Märkte. Geschichte der europäischen Kulturwirtschaft vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart", Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der virtuellen Ausstellung "L'Histoire du Luxembourg pendant la Seconde Guerre Mondiale" (2021-2023), der International Federation for Public History sowie der AG "Angewandte Geschichte/Public History" im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands. Zu seinen Schwerpunkten in Forschung und Lehre zählen (audio-)visuelle Aspekte der Geschichtswissenschaft, Historische Ausstellungen und andere Formen der öffentlichen Präsentation und Vermittlung von Geschichte und kulturellem Erbe sowie die politisch- justizielle Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Deutschland und Europa. Weitere Informationen