Klaus-Groth-Denkmal in Kiel

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Das Niederdeutsch-Studium umfasst sämtliche Aspekte der niederdeutschen Philologie. Die niederdeutsche Sprache steht dabei ebenso im Fokus wie die niederdeutsche Literatur, wobei die wissenschaftliche Beschäftigung sowohl aus einer sprach- und literaturhistorischen als auch einer gegenwartsprachlich bezogenen Perspektive erfolgt. An den Universitätsstandorten Hamburg, Kiel, Oldenburg und Rostock sind die germanistischen Institute mit spezifischen Niederdeutsch-Professuren ausgestattet; an insgesamt sechs weiteren norddeutschen Universitäten wurden teilweise Niederdeutschzentren (mit unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen) bzw. feste Mitarbeiterstellen eingerichtet oder es werden zumindest Lehrveranstaltungen zu Themen der niederdeutschen Philologie angeboten.

In Forschung und Lehre findet z. B. eine Beschäftigung mit den älteren Sprachstufen des Niederdeutschen (Altsächsisch, Mittelniederdeutsch), mit niederdeutscher Literatur des 19. Jahrhunderts (z. B. Klaus Groth, Fritz Reuter) bis zur Gegenwart sowie mit dialektologischen, kontaktlinguistischen, sprachsoziologischen, medienwissenschaftlichen, sprachpolitischen und didaktischen Fragestellungen statt. Es werden auch Seminare zum Spracherwerb angeboten. Das Seminarangebot insgesamt spielt eine große Rolle für die universitäre Ausbildung zukünftiger (Deutsch-)Lehrer*innen, die in verschiedenen norddeutschen Bundesländern - gestützt durch die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen von 1992 - das Niederdeutsche schulisch vermitteln werden.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Für die Forschung und den Lehrbetrieb ist die Existenz einer umfassenden Bibliothek unabdingbar. Die Kieler Fachbibliothek Germanistik ist im Bereich der niederdeutschen Sprach- und Literaturwissenschaft sowie auch in Bezug auf niederdeutsche Primärliteratur sehr gut ausgestattet und wird laufend erweitert, was auch umfangreiche Sammlungen von Audiomaterialien (Schallplatten, Tonbänder) einschließt. Darüber hinaus steht mit dem Klaus-Groth-Archiv ein Sonderbestand zu einem der bedeutendsten niederdeutschen Autoren für Forschungszwecke zur Verfügung.

Gute Rahmenbedingungen bietet die besondere Fächervielfalt der Philosophischen Fakultät an der CAU Kiel. Hier sind insbesondere die Fächer Frisistik und Skandinavistik hervorzuheben, mit denen die niederdeutsche Abteilung in engem Austausch steht, um Zusammenhänge zwischen dem Niederdeutschen und den anderen nordeuropäischen Sprachen und Dialekten zu untersuchen. Darüber hinaus ist die niederdeutsche Philologie gemeinsam mit den anderen Sprachwissenschaften der Philosophischen Fakultät in dem Forschungszentrum "Arealität und Sozialität in der Sprache" organisiert, was einen wissenschaftlichen Austausch auch über den nordeuropäischen Kontext hinaus begünstigt.

Niederdeutsch ist infolge der Verpflichtungen des Landes aus der "Charta der Regional- oder Minderheitensprachen" seit 2014 Unterrichtsfach in Schleswig-Holstein (sowie seit 2010 in Hamburg, seit 2014 in Bremen und seit 2016 in Mecklenburg-Vorpommern). Hieraus ergibt sich für die norddeutschen Universitäten die Aufgabe, neben der fachwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte und Struktur des Niederdeutschen auch Angebote zum Spracherwerb (Niederdeutschkurse) und zur Didaktik des Niederdeutschen vorzuhalten und weiterzuentwickeln.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Für eine angemessene Wahrnehmung des Faches in der Öffentlichkeit ist ein adäquater Wissenschaftstransfer von besonderer Wichtigkeit. Hierbei geht es einerseits darum, Forschungsergebnisse in verständlicher Form bekannt zu machen, was wir an der CAU Kiel durch die Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen (Kieler Woche, Schleswig-Holstein-Tag, Night of the Profs usw.), durch allgemeinverständliche Darstellungen (Webseiten, Flyer) oder durch Vorträge für die breitere Öffentlichkeit umzusetzen versuchen. Andererseits kann die Wahrnehmung und Akzeptanz des Faches durch Projekte erhöht werden, bei denen die Mitglieder der niederdeutschen Sprachgemeinschaft explizit zur Mitarbeit aufgefordert sind, etwa indem sie zur Einsendung von Sprachaufnahmen (Projekt "Äsop op Platt") aufgefordert oder an Fragebogenerhebungen ("Plattdüütsch hüüt") beteiligt werden. Hier wäre im Rahmen der Möglichkeiten ein weiterer Ausbau, etwa im Sinne der "Citizen Science"-Idee, vorstellbar. Für ein kleines Fach wie Niederdeutsch ist der Kontakt zur Sprachgemeinschaft von besonderer Relevanz, was die Mitarbeit in regionalen sprachpolitischen Institutionen (in Schleswig-Holstein z.B. dem Beirat für Niederdeutsch des Landtags oder dem Schleswig-Holsteinischen Heimatbund) ebenso einschließt wie die Bereitschaft zur Beantwortung von Anfragen aus der Bevölkerung zu Themen der niederdeutschen Sprache und ihrer Geschichte.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Eine Vernetzung mit anderen Fächern ist gleichermaßen notwendig wie bereichernd.

Das Fach Niederdeutsch ist an allen Universitätsstandorten in die Strukturen der germanistischen Institute eingebunden. Die inhaltlichen und methodischen Schnittmengen mit der (hoch-)deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft sind natürlicherweise groß, so dass eine Untersuchung von Bezügen aus beiderlei Perspektiven gewinnbringend sein kann. Die Nutzung der vorhandenen Infrastruktur in den germanistischen Instituten erweist sich vielfach als unerlässlich. Darüber hinaus werden Seminare zu niederdeutschen Inhalten überwiegend von Studierenden des Faches Deutsch besucht. Durch die dadurch stets gute Kursauslastung kann ein fortwährend umfassendes Seminarangebot gewährleistet werden.

Ferner findet ein fruchtbarer Austausch mit Teilbereichen anderer Philologien statt. Dies gilt insbesondere für die Nachbarsprachen Friesisch, Dänisch und Niederländisch.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Eine außeruniversitäre Beschäftigung mit dem Niederdeutschen findet mit sehr unterschiedlichen Intentionen auf verschiedenen Ebenen statt. Als zentrale Institution für den wissenschaftlichen Austausch muss der Verein für niederdeutsche Sprachforschung (VndS) genannt werden, der zwei Zeitschriften zur niederdeutschen Philologie herausgibt und auf den jährlichen Tagungen Raum für aktuelle Diskussionen unter den Fachvertreter*innen gibt.

Weitere Institutionen wie z. B. das "Länderzentrum für Niederdeutsch" in Bremen, das Niederdeutschsekretariat in Hamburg und der Bundesraat för Nedderdüütsch halten ein breites, weitgehend wissenschaftlich gestütztes Informations- bzw. Weiterbildungsangebot zum Niederdeutschen vor, das sich überwiegend an interessierte Laien und Lehrkräfte an Schulen richtet. Dieser extensive Wissenstransfer wirkt insofern auf die universitäre Niederdeutschforschung zurück, als die wissenschaftliche Arbeit in der breiteren Öffentlichkeit interessiert verfolgt wird und z. B. empirische Untersuchungen engagiert unterstützt werden.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Angesichts der rückläufigen Sprecher*innenzahlen - nicht nur in den seit längerem eher dialektschwächeren Bundesländern (wie Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg), sondern auch in den noch vergleichsweise dialektstarken Ländern (wie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) - stellt der Ausbau von Niederdeutsch als Unterrichtsfach momentan wohl die größte sprachpolitische Herausforderung dar. Hier sind die norddeutschen Universitäten aufgerufen, tragfähige Konzepte für eine aktuelle Niederdeutschdidaktik zu entwickeln, wobei das "Zentrum für Niederdeutschdidaktik" an der Universität Greifswald eine führende Rolle spielt. Dabei gilt es nicht nur, geeignete Lehrmaterialien und Unterrichtskonzepte für den Schulunterricht zu erarbeiten, sondern auch neue Ideen für die Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte an den Universitäten zu entwickeln.

Im Bereich der Forschung ist die Dokumentation des aktuellen Standes der niederdeutschen Sprache ein dringendes Desiderat. Mit Projekten wie "Sprachvariation in Norddeutschland" mit dem "Norddeutschen Sprachatlas" (NOSA) oder "Plattdüütsch hüüt" wird aktuell versucht, ein adäquates Bild von der grammatischen und phonologischen Struktur der gegenwärtigen niederdeutschen Dialekte zu erhalten, um eine Grundlage zu schaffen für sprachliche Normierungen, wie sie für die Sprachvermittlung in Bildungsinstitutionen notwendig sind.

Michael Elmentaler und Viola Wilcken (Copyright privat)

Michael Elmentaler hat seit 2006 die Professur für deutsche Sprachwissenschaft mit dem Schwerpunkt Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel inne. Er ist Vorsitzender des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung (VndS), Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) und Sprecher des Forschungszentrums "Arealität und Sozialität in der Sprache". Seine Forschungsschwerpunkte liegen - neben der Niederdeutschen Sprachwissenschaft - in der Dialektologie und Substandardforschung, der Historischen Graphematik (Schreibsprachforschung) und Historiographie der Sprachwissenschaft. Weitere Informationen

Viola Wilcken ist seit 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Niederdeutschen Abteilung des Germanistischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel tätig. Sie forscht und lehrt zu verschiedenen Themen der niederdeutschen Philologie. Im Rahmen ihrer Dissertation widmete sie sich "Formen, Funktionen und Entwicklungslinien des 'Missingsch'". Seit 2017 ist sie Vorstandsmitglied des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung (VndS). Weitere Informationen