(Quelle: Lehrstuhl für Musiktherapie, Universität Augsburg)

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Musiktherapie gehört als überwiegend klinisches Fachgebiet zu den sog. künstlerischen Therapien und beruht auf einem Psychotherapieverständnis. In der klinischen Praxis werden den Patient*innen das gemeinsame Musikhören oder aktives Musizieren angeboten, um mittels Anregung von sinnlich-ästhetischen sowie semiotischen Fähigkeiten jene affektiven, kommunikativen, (ko-)kreativen und reflexiven Prozesse in Gang zu setzen, die zur Verbesserung psychischer, psychosomatischer, rein somatischer oder auch psychosozialer Störungen beitragen. Dadurch wird das therapeutische Gespräch um eine Dimension erweitert, manchmal wird es auch ersetzt, was im Falle von Patient*innen, die sich verbal nicht ausdrücken können, besonders zum Tragen kommt. Die Fachbezeichnung Musiktherapie umfasst unterschiedliche Konzeptionen, so dass das Erscheinungsbild stark variieren kann. Die wesentlichen Referenzwissenschaften sind neben Psychologie, Pädagogik und Medizin die Sozial- und Kulturwissenschaften, besonders die Musikwissenschaft.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

An der Universität Augsburg ist das Fach Musiktherapie an einem Institut für Musik, dem Leopold-Mozart-Zentrum, angesiedelt und gehört zur Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Diese Konstellation ist einmalig in Deutschland, denn das Fach gibt es sonst nur an Musik- oder Fachhochschulen. Die Bedingungen für die Lehre sind an der Universität Augsburg vor allem aufgrund der verhältnismäßig kleinen Studiengruppen im Masterstudiengang ausgezeichnet, um eine fachgerechte und personenzentrierte individuelle Ausbildung zu gewährleisten. Die Kooperationsmöglichkeiten mit der neugegründeten Medizinischen Fakultät an der Universität Augsburg prädestinieren das Fach Musiktherapie trotz seiner Kleinheit als Brückenfach mit einer integrativen Funktion. Dieses Potential kommt bereits jetzt durch die Mitgliedschaft und Mitarbeit am Zentrum für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung der Universität Augsburg zum Ausdruck. Mit anderthalb Professorenstellen und einer halben wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle ist eine minimale personelle Ausstattung gesichert, müsste aber ausgebaut werden, um die Potentiale in Lehre und Forschung auszufüllen. So fehlt bisher ein BA Musiktherapie an einer deutschsprachigen Universität. Für die Einwerbung von Drittmitteln gibt es zwar Unterstützung seitens der Fakultät, aber die geringe Sichtbarkeit als kleines Fach (im Sinne der akademischen Bedeutung) bei Drittmittelgebern erschwert Antragsstellungen erheblich.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

An Hochschulen fällt die disziplinäre Einordnung aufgrund des oben skizzierten interdisziplinären Charakters nicht leicht. Die Musiktherapie ist zwischen gegensätzlichen Wissensbereichen angesiedelt, die im anglophonen Bereich begrifflich sehr geschickt auseinandergehalten werden: 'sciences' auf der einen, 'humanities' oder auch 'arts' auf der anderen Seite. Dies bedeutet - positiv gewendet -, dass es innerhalb des musiktherapeutischen Fachgebietes einer erhöhten Toleranz gegenüber dem zwischen diesen Wissensbereichen liegenden und häufig hervorgehobenen Dissens bedarf. Eine wirklich befriedigende professionelle und wissenschaftliche musiktherapeutische Identifikation liegt nur in einer gelungenen Integration beider Ansätze, die freilich auch sehr verschieden ausfallen kann. Anzumerken ist, dass die Leistungen im Gesundheitswesen im wesentlichen durch die großen Fächer Medizin und ärztliche/psychologische Psychotherapie erbracht werden. Als kleines und vergleichsweise junges Fach, ist die Musiktherapie in besonderer Weise gefordert, mittels wissenschaftlicher Forschung für die eigene Sichtbarkeit und weitere interdisziplinäre Vernetzung zu sorgen.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Persönlich finde ich die projektorientierte Zusammenarbeit mit Vertreter*innen anderer Fächer sehr bereichernd. Aber die Vernetzung ist darüber hinaus conditio sine qua non im Gesundheitswesen. Es gibt bereits zahlreiche interdisziplinäre Forschungskooperationen mit den medizinischen, psychologischen, pädagogischen und neuerdings auch technischen Fächern. Hinzu kommt die Vernetzung mit den anderen künstlerischen Therapien (wie Kunst- oder Tanztherapie). Es wurde kürzlich eine wissenschaftliche Fachgesellschaft gegründet, die die Gemeinsamkeiten in theoretischer und forschungsmethodischer Hinsicht bearbeitet und damit die Voraussetzungen z.B. für Meta-Analysen schafft, die wiederum als Evidenznachweise für nationale Behandlungsleitlinien erforderlich sind. Was wir dringend benötigen, sind Kooperationen zur Durchführung groß angelegter Multicenter- und Longitudinalstudien. An der Universität Augsburg sind solche Studien in Vorbereitung.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Bedingt durch die Tatsache, dass Musiktherapie in einer Reihe von anderen Ländern längst einen anderen Stellenwert erlangt hat, was sich an der Anzahl von Studiengängen und dem Umfang der Forschungsaktivitäten und der dazu notwendigen finanziellen Förderung ablesen lässt, dürfen wir bedingt optimistisch sein, dass auch in Deutschland wieder ein Bewusstsein dafür wächst, dass nur eine Vielfalt der Behandlungsangebote im Gesundheitswesen der Versorgung der Bevölkerung gerecht werden kann. Es ist eine Frage der Bildungs- und der Gesundheitspolitik und dabei auch nicht nur Angelegenheit von einzelnen Bundesländern. Gerade von einem kleinen Fach wie der Musiktherapie können nämlich innovative Impulse bei schwer behandelbaren Krankheiten wie chronischem Schmerz, Demenz oder Schizophrenie ausgehen. Das Bewusstsein dafür wächst in Deutschland aber gemessen an der dynamischen professionellen und wissenschaftlichen Entwicklung des Fachgebietes Musiktherapie doch zu langsam. 

Dr. Susanne Metzner ist seit Mai 2016 hauptamtliche Professorin für Musiktherapie an der Universität Augsburg. Zuvor war sie Professorin für Musiktherapie an der Hochschule Magdeburg-Stendal (2001-2016) und Teilzeitprofessorin am Institut für Musiktherapie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (1991-2002). 2011 wurde sie von der Hochschule Magdeburg-Stendal für das kooperative Forschungsprojekt mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zum Thema: „The influence of music and music therapy on pain induced neuronal oscillations measured by MEG“ mit einem Forschungspreis ausgezeichnet. Susanne Metzner ist Mitglied in zahlreichen Gremien, wissenschaftlichen Beiräten und Verbänden. Zu den Mitarbeiter*innen des Leopold-Mozart-Zentrums gehören neben Prof. Dr. Susanne Metzner noch Prof. Dr. med. Hans Ulrich Schmidt, Stellvertr. Wiss. Leitung MA Musiktherapie, Beate Haugwitz M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin (beurlaubt) sowie Brigitte Meier-Sprinz M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin (Vertretung). Weitere Infos finden sich auf susannemetzner.de oder auf der Webseite des Leopold-Mozart-Zentrums der Universität Augsburg