Druckfarben ((c) Oliver M. Reuter privat)
Die Disziplin der Kunstpädagogik erforscht Wege zur ästhetischen Bildung über das ästhetische Verhalten des Menschen sowie über den Bildumgang. Eine zentrale Fragestellung der Kunstpädagogik bezieht sich auf das Machen ästhetischer Erfahrungen im Zuge einer bildnerischen Produktion oder einer Rezeption von Bildern. Hierzu erforscht sie Prozesse ästhetischer Praxis von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sowie Wege des Umgangs mit Bildern im Allgemeinen sowie mit Kunstwerken im Speziellen. Sie entwirft und erprobt Konzepte der Vermittlung, um den Adressierten ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen. Eine Teildisziplin der Kunstpädagogik ist die Kunstdidaktik. Diese fokussiert die Relation von Lehren und Lernen in schulischen und außerschulischen Settings.
An meinem Standort wird das Fach in seiner umfassenden Breite durch eine einzige Stelle auf Ebene der Professorinnen und Professoren vertreten. Diese Marginalität setzt sich im Bereich des Mittelbaus fort. Nach Streichung zahlreicher Möglichkeiten der Finanzierung ist die finanzielle Situation an die prekäre personelle Situation angepasst. Die hohe Zahl Studierender macht in einem Fach mit praktischen Anteilen eine hohe logistische Leistung notwendig. In einigen Bereichen wäre eine größere Tiefe zu lehrender Inhalte wünschenswert. Vermittlungsformate im Theoriebereich sind von einer Seminarstruktur auf Vorlesungsformate umgestellt. Ein wirklicher inhaltlicher Diskurs mit den Studierenden ist in diesem Fall im Grunde unmöglich.
Eine Folge der hohen Belastung durch Verwaltung und Organisation ist, dass Forschung nur am Rande stattfinden kann. Schon für die Antragstellung von Fördermitteln stehen kaum ausreichend Stunden in der Arbeitszeit zur Verfügung. Daraus resultiert, dass dem Fach wenig Mittel aus universitätsexternen Töpfen wie beispielsweise vom BMBF zur Verfügung stehen. Inhaltlich ist es bedauernswert, dass qualifizierte Forschung in der Kunstpädagogik nicht über Strukturen an Hochschulen ermöglicht wird.
Sicher hat das Fach ein Problem, seinen Wert der Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar zu machen. Zahlreiche Publikationen wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zeigen hier im Grunde kaum Wirkung.
Welch hohen Stellenwert das Fach in der Schule und in außerschulischen Institutionen hat, ist kaum zu transportieren. Die starke Fokussierung auf abprüfbares und generalisierbares Wissen in Schulen, die permanente Betonung der Relevanz von MINT-Fächern, der unabdingbare Wille, Schule als Instrument zur Selektion zu sehen, sind nur einige Aspekte, die letztlich dazu führen, dass die Chancen des Faches unbeachtet bleiben. Selbst das Sekundieren der Neurowissenschaften und anderer Disziplinen, die die enorme Relevanz des Kunstunterrichts für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ausdrücklich betonen, bleibt ergebnislos.
Die Kunstpädagogik an Hochschulen sowie das Fach Kunst in Schulen sind die einzigen Disziplinen, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen fundierten Umgang mit Bildern ermöglichen können. Die Kompetenzen am Bild von Kunstpädagoginnen und Kunstpädagogen sowie entsprechenden Lehrkräften in den Schulen sind eine zentrale Bedingung für eine Schulung am Bild, die über die Entwicklung der digitalen Medien und der sozialen Plattformen überaus wichtig geworden ist. Die Verführung und die Manipulation durch Bilder in Medien und auf sozialen Plattformen machen zwingend notwendig, vor allen Dingen Kinder und Jugendliche auch über selbst zu erstellende bildnerische Produkte an die Möglichkeiten des digitalen Bildes heranzuführen. Dem Fach gelingt es jedoch nicht, dass die Öffentlichkeit sowie die Bildungspolitik diese zentralen Inhalte mit dem Fach Kunst und der Disziplin der Kunstpädagogik verbinden.
Kunstunterricht sowie Kurse zur künstlerischen Praxis an den Hochschulen bieten die Chancen eines analogen Umgangs mit Material. Über hochwertige Vermittlungsprozesse von ästhetischer und künstlerischer Praxis können Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein positives Selbstbild formen. Betrachtet man die immer größer werdenden sozialen Probleme, die zum Alltag in Schulen geworden sind, wird es immer wichtiger, ein positives Selbstbild auch in Verbindung mit Schule und Hochschule zu initiieren. Auch dieser letztgenannte Aspekt ist in Zeiten, in denen Digitalisierung als Allheilmittel betrachtet wird, der Gesellschaft in der aktuellen Relevanz kaum präsent. Zudem ist der Öffentlichkeit kaum bekannt, wie schlecht es um die soziale Situation in Schulen sowie die psychosoziale Situation von Kindern und Jugendlichen steht.
Im Hochschulsystem ist die Relevanz des Faches abhängig vom Standort. In Hochschulen, in denen Mittel und Personalstellen durch eine heterogene Verwaltungsstruktur verteilt werden, ist Entscheidungstragenden ihr eigenes Fach am nächsten. Die Hoheit der Hochschulen, die zunehmend mehr Eigenständigkeit auch in der Verwaltung der Finanzen erhalten, führt ohne auferlegte Rahmenbedingungen zur Verteilung von Mitteln zu starken Ungleichgewichten innerhalb von Universitäten, innerhalb von Fakultäten sowie innerhalb von Instituten. Dies führt dazu, dass selbst aus der Wahrnehmung der Relevanz des Faches in der jeweiligen Hochschule nicht resultiert, dass dieses Fach auch mit entsprechenden Mitteln ausgestattet wird.
Es ist niemanden vorzuwerfen, dass sich der Blick auf die Disziplin der Kunstpädagogik an Hochschulen vor allen Dingen aus den eigenen Erfahrungen aus der Schulzeit im Fach Kunst speist. Vielfach machen sich auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fächern keine erweiterte Vorstellung über die Kunstpädagogik, die über das Malen von Bildern hinausreichte. Eine Präsenz an Hochschulen über Ausstellungen, Performances und Vernissagen bestätigt letztlich diesen Blick auf das Fach. Dass es sich bei der Kunstpädagogik um eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin handelt, ist selbst bei einer ausreichend langen Publikationsliste im Fach, Vorträgen in Ringvorlesungen etc. bei Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer kaum bekannt. Realistisch betrachtet sind die Professorinnen und Professoren an Hochschulen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer. Der Weg auf eine Professur entspricht Menschen mit entsprechendem Persönlichkeitsprofil. Ein Interesse an anderen Fächern, dass sich Kooperationen auch sinnvoll auf das eigene Fach sowie auf die Lehre für die Studierenden auswirken könnte, wird meist erst entwickelt, wenn Forschungsanträge eine Forschung im Verbund zwingend vorschreiben.
Die Vernetzung mit anderen Disziplinen ist unabdingbar. Die Kunstpädagogik setzt mit ihrer Forschung und mit ihren Vermittlungskonzepten am Menschen an. Jede Disziplin, die hier fundiert forscht - Pädagogik, Psychologie, Sonderpädagogik etc.- ist besonders wertvoll als Partnerin.
Einer meiner Forschungsschwerpunkte sind ästhetische Bildungsprozesse bei Kindern und Jugendlichen in sozial anspruchsvollen Konstellationen. Hier ist die Kooperation mit dem Fach der Sonderpädagogik besonders fruchtbar.
Auch Disziplinen wie die Empirische Bildungsforschung sind als Partnerin interessant. Die Kunstpädagogik kann hier ganz außerordentlich von Kompetenzen empirischer Forschung profitieren, um die eigene Methodik weiterzuentwickeln. Ein Fach, in dem ein signifikanter Teil der empirischen Forschungsarbeit in den Promotionen liegt, ist nicht allein in der Lage, seine Methodenrepertoire zu einer ausreichenden Güte zu entwickeln. Es ist auf die Entwicklung in anderen Disziplinen angewiesen. Einzelne Bereiche qualitativer und quantitativer Methoden empirischer Forschung sind ohne weiteres sogar ohne Anpassung an Fachspezifika in der Kunstpädagogik anzuwenden.
Auf der Seite der Kooperationsdisziplin liegt der Profit im Kompetenzprofil der Kunstpädagogik im Bereich bildgestützter Forschung. Nicht zuletzt durch die Entwicklung digitaler Medien, die ganz maßgeblich die Erhebung von Daten in Form von Bildern erleichtert hat, wird Bildmaterial zunehmend in der empirischen Forschung erhoben. Für die weiteren Schritte bis hin zur Auswertung ist es wichtig, über Kompetenzen am Bild zu verfügen. Diese bietet die Kunstpädagogik.
Außeruniversitäre (Forschungs-)Institute spielen nur im Ausnahmefall eine Rolle. Gelegentlich sind Institute zur Sicherung empirischen Datenmaterials relevant.
Schon in den letzten 20 Jahren zeichnete sich ab, was sich auch weiterhin so entwickeln wird: die Digitalisierung von Prozessen wird fortgesetzt in verschiedene Bereiche des alltäglichen Lebens. Auch Prozesse der Vermittlung in Schulen sowie an Hochschulen werden in Zukunft wesentlich größere Anteile in digitaler Form haben. Die Kunstpädagogik wird sich fragen müssen, wie weit sie diese Prozesse mitgehen möchte. Macht es Sinn, in schulischen Vermittlungssettings Bilder über eine künstliche Intelligenz generieren zu lassen? Wo bleibt der Anteil der Schülerinnen und Schüler? Wo bleibt der Profit der Schülerinnen und Schüler, die sich ja eigentlich an einer Bildungsinstitution befinden.
Das Fach Kunstpädagogik hat eine sehr große Chance in der Zukunft, sobald die Einsicht besteht, dass die eigenständige Arbeit mit analogem Material in Form von Plastizieren, Malen, Zeichnen etc. einen überaus wichtigen Gegenpol zum Arbeiten im Digitalen darstellt. Ästhetische Praxis mit Material ist weitgehend körpergebunden und ermöglicht es, dass Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene überhaupt zu einem körperlichen Selbstbild finden. Zudem schulen diese ihre motorischen, ihre sensomotorische und ihre feinmotorischen Kompetenzen.
Soziale Prozesse im Zuge ästhetischer Praxis sind in der Lage, auch gesellschaftlich relevante Kompetenzen zu schulen und gegen die Vereinzelung, wie sie digitale Medien derzeit verursachen, anzugehen. Vermittlungsprozesse ästhetischer Praxis können in weiten Teilen partizipativ angelegt werden. Über derartige Erfahrungen gelingt es, dass sich Kinder und Jugendliche als Teil von Gruppen und somit letztlich als Teil der Gesellschaft sehen. Kunstunterricht wird perspektivisch wichtig sein, um Menschen aus den Transitzonen der Gesellschaft wieder zu integrieren.
Nur, wenn ein ehrlicher Blick auf die Situationen von Kindern und Jugendlichen sowie auf die Lage in den Schulen und in den Hochschulen geworfen wird, wird erkannt werden, dass gehandelt werden muss. Eine zentrale Herausforderung wird sein, die Relevanz des Faches in der Öffentlichkeit und bei Vertreterinnen und Vertretern der Bildungspolitik unermüdlich deutlich zu machen.
Für die positive Entwicklung der Kunstpädagogik an Hochschulen ist es wichtig, dass diese Disziplin mit ausreichend personellen sowie finanziellen Ressourcen ausgestattet wird. Es dient der Entwicklung des Faches, wenn die wenigen Vertreterinnen und Vertreter des Faches nicht unter Aufgaben der Organisation sowie der Verwaltung begraben werden.
Oliver M. Reuter lehrte nach seinem Studium an der Universität Eichstätt sowie an der Akademie der Bildenden Künste München an den Universitäten in Augsburg und Bielefeld. Er ist Professor für Kunstpädagogik an der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg. Dort forscht er zu ästhetischen Bildungsprozessen bei Kindern und Jugendlichen in schwierigen sozialen Konstellationen sowie zu erfahrungsgenerierenden Prozessen im Zuge ästhetischer Praxis.
Weitere Informationen: https://kunst-paedagogik.com/