Bülent Uçar (Quelle: Universität Osnabrück / Elena Scholz)

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Unsere Wissenschaftsdisziplin stellt ein neues Fach in der deutschen Hochschullandschaft dar. Es umfasst die wichtigen Teildisziplinen der Islamischen Theologie sowie anwendungsbezogene Fächer wie Religionspädagogik, Religionsdidaktik, Gemeindepädagogik, muslimische Seelsorge sowie weitere Bezugswissenschaften. Es ist eine gewaltige Herausforderung, eine islamische Theologie im Kontext von Forschung und Lehre in Deutschland zu konstituieren und neu zu denken.

2. Bei der Islamischen Theologie handelt es sich um ein relativ junges Fach. Bitte skizzieren Sie den Hintergrund der Etablierung des Fachs an Ihrer Universität oder deutschlandweit.

Nach einem halben Jahrhundert hat die Politik die Notwendigkeit erkannt und richtige Entscheidungen getroffen, um die Religion der muslimischen Arbeitsmigranten in Kontexten von Lehre und Forschung neu zu etablieren. Dies hilft insbesondere dabei, Muslime in der Bundesrepublik stärker zu beheimaten und ihnen schließlich im Kontext von Art. 7.3. des Grundgesetzes die ihnen zustehenden Rechte zu gewähren. Unser Fach hat sich an der Universität Osnabrück sehr gut entwickelt und ist mehrdimensional aufgestellt. Aber auch hier gilt, dass dieser Prozess Zeit benötigt. Wir haben daher sehr viel Bedarf in den Bereichen Forschung, Nachwuchsförderung, wie auch in Ebenen universitärer Bildungsprozesse, die ja gerade auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie durchaus als Herausforderung zu bewerten sind.

3. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Osnabrück als historische Friedensstadt ist sensibel für Pluralität und pflegt eine vielfältige Kultur in der gegenwärtigen Migrationsgesellschaft. Lehre und Forschung im Kontext der islamischen Theologie profitieren stark von der Fächersituation an der Universität Osnabrück. Wir finden hier beide christliche Theologien sowie namhafte Vertreter der Migrationsforschung. Darüber hinaus besteht an unserer Universität ein gutes Netzwerk vor dem Hintergrund der Lehrerbildung, in das wir sehr gut integriert sind. Besonders die Nähe zu den beiden christlichen Theologien bedeutet für uns einen Mehrwert im Kontext von Lehre und Forschung und hat direkte Auswirkungen beispielsweise im Kontext gemeinsamer Lehrveranstaltungen sowie eines gemeinsam verantworteten Graduiertenkollegs. Wir konnten die vom Landtag etatisierten und dem Institut für Islamische Theologie 2016-2017 zur Verfügung gestellten Professuren immer noch nicht dauerhaft ausschreiben und besetzen. Dies wirkt sich momentan in Forschung und Lehre nachteilig auf unseren Standort aus.

4. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Unser Fach besitzt gewissermaßen eine permanente Aktualität, die beispielsweise aus den Medien nicht mehr wegzudenken ist. Fragen nach Integration und Prävention prägen die Diskurse. Aber auch grundsätzliche Fragen nach Grundlagen, Prägung, Ausrichtung und dem Woher und Wohin einer islamischen Theologie werden ständig bearbeitet. Diese Punkte sprechen sehr wohl für eine angemessene Wahrnehmung unseres Faches in Öffentlichkeit und Hochschulsystemen.

5. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Ohne Vernetzung und Kooperationen mit anderen Fächern funktioniert unser Verständnis von Wissenschaft nicht. Wir sind von Anfang an diesen Weg gegangen, gemeinsam mit anderen Fächern über diese neue Disziplin im Austausch zu stehen und gleichzeitig von den Erfahrungen der anderen Fächer zu lernen. Dies bedeutet beispielsweise im Bereich von Religionspädagogik und Religionsdidaktik eine gewisse Adaption, um im Bereich der Lehrerbildung gut aufgestellt zu sein. Aber auch in fachwissenschaftlichen Fragestellungen standen und stehen wir in einem intensiven Austausch mit anderen Fächern, anderen Universitäten und anderen Einrichtungen im In- und Ausland.

6. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Muslime gehören mittlerweile unstreitig zu Deutschland. Daraus ergeben sich umfangreiche Anfragen an die Islamische Theologie. Diese Anfragen gilt es gezielt im akademischen Diskurs zu beantworten, um Lösungsmöglichkeiten für das Miteinander in der Gesellschaft zu finden. Aber auch Muslime selbst benötigen Orientierung durch Antworten auf ihre Fragen, die im Kontext akademischer Lehre und Forschung diskutiert und beantwortet werden müssen. Unser Fach wird auf vielen Ebenen einen wichtigen Beitrag zu den Fragen der Zeit leisten können, sei es in den Schulen, den Gemeinden, gesellschaftlichen Kontexten wie auch Bedürfnissen in sozialen und seelsorgerischen Ebenen der Muslime selbst.

Bülent Uçar hat seit 2008 die Professur für Islamische Theologie und Religionspädagoik an der Universität Osnabrück inne. Der Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück ist Gründungsvorsitzender und -mitglied des Avicenna Studienwerks und war Mitglied der Deutschen Islam Konferenz. Für seine Verdienste im Bereich der Islamischen Theologie in Deutschland wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Weitere Informationen