1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Industriearchäologie beschäftigt sich mit der Erfassung, Dokumentation, Analyse, Bewertung, Bewahrung und Nachnutzung von gegenständlichen Quellen (Werkzeuge, Maschinen, Anlagen, Systeme und Landschaften) der gewerblichen und industriellen Produktion sowie ihren sozialen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Kontexten. Ihr zeitlicher Schwerpunkt liegt im Industriezeitalter vom 18. bis in das 21. Jahrhundert, wobei sie jedoch vorindustrielle Themenbereiche von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Frühen Neuzeit nicht ausschließt.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die TU Bergakademie Freiberg bietet als einzige deutsche Hochschule ein Bachelorprogramm für Industriearchäologie sowie ein Masterprogramm für Industriekultur an. Sachsen bietet als eines der führenden Länder im deutschen Industrialisierungsprozess und mit seinen zahlreichen technischen und industriellen Denkmälern und Sachzeugen aus der Gewerbe- und Industriegeschichte für eine praxisbezogene Lehre und Forschung eine ausgezeichnete Basis. Darüber ist unser Fach national und international bestens vernetzt. Das Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte (IWTG) gehört national und international zu den führenden Lehr- und Forschungseinrichtungen.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Der Begriff "Industriearchäologie" ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Als kleines Fach, das zudem sehr interdisziplinär orientiert ist, kann es sich in der öffentlichen und hochschulinternen Wahrnehmung nur schwer gegen benachbarte Disziplinen wie Technik-, Wirtschafts- und Umweltgeschichte oder Architektur, Denkmalschutz, Museumskunde oder Archäologie durchsetzen. Gleiches gilt für die noch immer stark disziplinär orientierte öffentliche Forschungsförderung etwa durch die DFG oder das BMBF.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Die Vernetzung mit anderen Fächern (siehe oben) ist für uns von herausragender Bedeutung, da industriearchäologische oder industriekulturelle Projekte praktisch immer die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen erfordern. Unsere Forschungsprojekte sind daher in der Regel Gemeinschaftsprojekte mit anderen Fachdisziplinen und Partnerinstitutionen. Unser Studium bereitet auf eine derart interdisziplinäre Zusammenarbeit gezielt vor.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Im Rahmen der sich gerade erst entwickelnden Archäologie der Moderne sowie der weltweit zunehmenden Zahl von technischen und industriellen Denkmalen kommt der Industriearchäologie eine wachsende Bedeutung zu. Als kleines Fachgebiet steht sie allerdings auch verstärkt unter dem Druck einer am Mainstream ausgerichteten Politik der Forschungsförderung, die vor allem technische, naturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Disziplinen an den Hochschulen begünstigt. Sie teilt damit das gegenwärtige Schicksal vieler kleiner sog. exotischer Fächer. Hinzu kommt, dass für das Studium der Industriearchäologie neben einem historisch-denkmalpflegerischen Interesse auch die Bereitschaft für die Erlernung natur- und ingenieurwissenschaftlicher Grundlagenkenntnisse notwendig ist. Für eine derart interdisziplinäre Ausbildung finden sich nur relativ wenige Interessenten unter den Schulabgängern, was eine sehr breit angelegte (nationale und internationale) Studienwerbung erforderlich macht, die von uns kaum zu leisten ist. Im Gegensatz dazu stehen die durchaus guten Berufsaussichten unserer Absolventen/innen.

Helmuth Albrecht ist seit 1997 Professor für Technikgeschichte und Industriearchäologie an der TU Bergakademie Freiberg. Von 2000 bis 2003 war er Vorsitzender Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. Darüber hinaus ist seit 2011 Mitglied im Sächsischen Kultursenat, seit 2012 Vorsitzender der Georg-Agricola-Gesellschaft für Technikgeschichte und Industriekultur e.V. und seit 2013 Mitglied im International Council on Monuments and Sites (ICOMOS). Weitere Infos finden sich auf https://tu-freiberg.de/fakult6/technikgeschichte-und-industriearchaeologie/team/helmuth-albrecht