Fatehpur Sikri, 16. Jhd (Quelle: Walter Slaje)

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Das Fach Indologie gehört zu den grundlagenforschenden Disziplinen der Geisteswissenschaft. Die Schwerpunktbildung ist hierbei kulturhistorischer, respektive kulturwissenschaftlicher Natur. Den Gegenstand bildet der Kulturraum Indiens, der fachlich als abstrakte geistige Größe anzusehen ist, also ohne die Einengung auf die politisch erst nach 1947 gezogenen Grenzen der modernen Republik gleichen Namens. Die Grenzmarken dieses historischen Kulturraums entsprechen in etwa jenen des indischen Subkontinents in geographischer Betrachtungsweise, wobei sich die zeitliche Tiefe vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis in die Gegenwart erstrecken kann. Mittels speziell für indische Textüberlieferungssituationen entwickelten Methoden erschließt und analysiert das Fach die in den genannten geographischen und zeitlichen Räumen entstandenen Quellen sprachlicher Natur und nutzt sie zur Beantwortung von Fragestellungen, die keinen Bereich der indisch geprägten Humanitas ausschließt. Umfassend auf alle Aspekte der indischen Kultur-, Geistes-, und Religionsgeschichte, der Schönen Literatur und der einheimischen Wissenschaften, aber eben auch auf die Erschließung der Sozial- und politischen Geschichte und der diese steuernde Ideengeschichte ausgerichtet, betreibt Indologie Grundlagenforschung mit der Primärmethode der historisch-kritisch verfahrenden indischen Philologie. Mittels empirisch‐analytischer Arbeitsweisen werden darüber hinaus in der Vergangenheit verankerte Muster des Denkens und Handelns sowie ererbte Normen- und Glaubensgerüste ermittelt und in ihren inneren, auf die Gegenwart einwirkenden Zusammenhängen beschrieben. Indologie betreibt ergebnisoffene Forschung und kennt, weil die in zeitlicher, räumlicher und systematischer Hinsicht gewaltigen Dimensionen des indischen Kulturraums nicht annähernd ausgeforscht sind, auch keinen abgeschlossenen Lehr‐ und Wissenskanon.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Am Standort der Universität Halle-Wittenberg herrschen aufgrund der exzellenten Bibliotheksbestände geradezu ideale Lehr- und Forschungsbedingungen.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Von den Bedingungen der komplexen Ausbildungsvoraussetzungen her gesehen - darunter das zeitraubende Erlernen außereuropäischer, z. T. paläographischer Schriftsysteme sowie von alten Sprachen, die zu den komplexesten der Welt zählen - ist Indologie nach der inneren Anlage keineswegs massenfachtauglich. Nur Wenige bringen das erforderliche intrinsische Interesse mit, und auch die Ausdauer auf, sich auf ein schwieriges Universitätsfach einzulassen, dem die Parameter herkömmlicher akademischer Brotberufe fehlen. Die Bologna-induzierte Hinwendung der Universitäten zur ausschließlich berufsbezogenen Ausbildung in der Bachelorphase und eine damit einhergehende veränderte Sozialisierung angehender Universitätsabsolventen läßt das rein akademische Interesse an einem Gegenstand wie dem der historisch akzentuierten Indienforschung gegenüber den an Universitäten gesuchten und dort verheißenen ökonomischen Vorteilen vermehrt in den Hintergrund treten. Absolventen der Indologie müssen vor allem und schon frühzeitig solide für die Forschung ausgebildet werden, um sich im internationalen Wettbewerb auf entsprechendem Niveau behaupten zu können. Diese als erschwerend und beruflich als wenig aussichtsreich empfundenen Bedingungen sind dem Studienfach abträglich. Der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit abträglich ist sicher auch die Tatsache, daß gewesene Bildungsgüter, wie etwa die Literaturen und andere kulturelle Errungenschaften außereuropäischer Völker und Kulturen, heute kaum noch gesellschaftlichen Stellenwert besitzen und daß die Fokussierung derzeit einseitig auf Politik und Religion gelegt wird, insbesondere, wenn sich damit tagespolitisches Krisenpotential verbindet. Die ahistorische und anachronistische Verzerrung Indiens durch exotistische Bewegungen (Stichworte: Yoga, Ayurveda, Tantra), ist dem Ansehen des Universitätsfaches Indologie, das von esoterischen Sinnsuchern nicht selten mit einer im bekenntnisorientierten Sinne sinnstiftenden Einrichtung verwechselt wird, ebenfalls sehr abträglich.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Einer bedarfsgerechten Anwendung von Methodenverbindungen anderer Fächer hat das Fach Indologie sich nie verschlossen. Da die Indologie aber Quellen bearbeitet, die potentiell von der Bronze- bis in die Neuzeit reichen, sind Partnerschaften abhängig von - je nach Schwerpunktbildung - sinnvollen Forschungs- und Studienzusammenhängen zu suchen. Diese können von Klassischen Altertumswissenschaften über Archäologie und historische Linguistik reichen und sich dort als ebenso fruchtbar erweisen, wie etwa Kooperationen mit religionswissenschaftlich orientierten Fächern (Islamwissenschaft, Buddhologie). Aufgrund der für das Fach Indologie zentralen Befassung mit in Indiens langer Geschichte entstandenen Quellen und den über Jahrtausende hinweg hinterlassenen Spuren und Selbstreflektionen verortet das Fach sich methodologisch nicht unter den Sozialwissenschaften mit prononçiertem Gegenwartsbezug, zieht aber durchaus auch Gewinn aus kulturanthropologischen Forschungsansätzen.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Als Indologe wird man vor allem auch darin geschult, aus sprachlichen Mitteilungen, die kulturell weiten Distanzen entstammen, Denkweisen und Mentalitäten herauszulesen, die dem europäischen Kulturkreis weder eigen noch vertraut sind. Dieses Sensorium für noch ungekannte Blickwinkel ist eine Qualifikation, der im Zeitalter fortschreitender Globalisierung und fachlicher Kooperation besondere Bedeutung zukommt - doch bestimmt derlei natürlich nicht die Zukunft eines ganzen Faches. Diese Zukunft hängt vor allem davon ab, ob die Hochschulpolitik den indologischen Fachvertretern die akademische Freiheit einräumt, ihr Fach eigendynamisch weiterzuentwickeln, oder ob schleichende Forschungslenkung durch fachfremd verordnete Zwangsvernetzung betrieben wird, die sich in aller Regel an kurzlebigen wissenschaftlichen Moden orientiert. Als Kulturwissenschaft Indiens weist Indologie in einem umfassenden Sinne Anschlußfähigkeit an beinahe jede geisteswissenschaftliche Disziplin auf. Das Problem einer dauerhaften Einbindung und Verstetigung an deutschen Universitäten liegt in Wahrheit allerdings woanders, nämlich an dem mangelnden Interesse und der kaum gegebenen Bereitschaft des traditionellen Fächerkanons, sich für Außereuropäisches über ein bloßes Lippenbekenntnis hinaus zu öffnen und den eigenen Studierenden eine Horizonterweiterung in die kulturellen Räume Indiens hinein dadurch zu ermöglichen, daß man etwa das eine oder andere Modul für Indienkundliches vorhält, ganz gleich ob im Bereich von Philosophie, Geschichte, Literatur, Religion, Politik oder Gesellschaft. Statt Anschluß- sollte vielmehr Zusammenschlußfähigkeit gefordert werden. Die aber wird ohne Reziprozität nicht gelingen.

Fatehpur Sikri, 16. Jhd. (Quelle: Walter Slaje)

Walter Slaje studierte an der Universität Wien, wo er sich 1993 im Fach Indologie habilitierte. Seit 1995 ist er Professor an der Universität Halle-Wittenberg. Im Jahr 2002 wurde er zunächst zum korrespondierenden Mitglied - und ab 2010 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Seit 2012 ist er erster Vorsitzender der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG).