In an underground surgery room, behind the front lines on Bougainville, an American Army doctor operates on a U.S. soldier wounded by a Japanese sniper 1943. ((c)National Archives and Records Administration USA (531177))

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

In der Geschichte der Medizin beforschen, unterrichten und vermitteln engagierte Mediziner*innen und Geisteswissenschaftler*innen die Historizität der Medizin. Ihre Bezugsdisziplinen sind gleichzeitig die Medizin und die Geschichtswissenschaft (in deren beider schwer zu überblickenden Vielfalt). Im Methodenset der Medizingeschichte finden sich Instrumente, Perspektiven und Modelle der Anthropologie, der Sprach-, Sozial- und Kulturwissenschaften in medizinischen Verwendungszusammenhängen. Medizingeschichte kann entweder als Geschichte der Medizin oder Geschichte in der Medizin betrachtet und betrieben werden. Denn als institutionalisiertes Fach hat sie ihren Ort in der Medizin, zumeist konkret in der Form von Instituten innerhalb Medizinischer Fakultäten. Für diese stellen die Einrichtungen den medizinhistorischen und medizinethischen Unterricht sowie die Lehre von Medizinischer Terminologie sicher. Medizingeschichte zielt in diesem Rahmen auf die Ausbildung einer reflexiven und kritischen Haltung der Tätigen im Gesundheitsbereich, diesem sozialen Feld mit hohen ethischen Herausforderungen und einer gleichsam breiten wie tiefen Geschichte der Berufsentwicklung. Medizinhistorische Vermittlungsziele finden sich auch im Nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM), der für Medizinstudiengänge in Deutschland maßgeblich ist. In dessen Kapitel Professionelles Handeln spiegelt sich auch heute noch zu einem gewissen Teil der Institutionalisierungszusammenhang der Medizingeschichte um 1900: Die Unzufriedenheit mit einer rein labor- und naturwissenschaftlich orientierten Medizin einerseits, die Notwendigkeit einer professionell reflektierten Erinnerungskultur der Medizin andererseits. So diente die professionelle Medizingeschichte an Medizinischen Fakultäten als Gegengewicht zur zunehmenden Zukunftsorientierung einer sich empirisch-experimentell aufgestellten Medizin, in der vormaliges Handlungswissen rasch als veraltet wahrgenommen und aus der Praxis verdrängt wurde.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Institutionell ist das Fach Medizingeschichte in der Medizin zu Hause, intellektuell als methodisch orientiertes Analysieren der Historizität medizinischen Denkens, Sprechens und Handelns in der Geschichtswissenschaft. Das führt zu einem doppelten Legitimationsdruck zwischen der notwendigen Anschlussfähigkeit an die Medizin (und ihrer spezifischen, den Geisteswissenschaften fremden Publikationskultur) sowie der Demonstration einer praktischen Nützlichkeit für die Medizin einerseits. Andererseits muss medizinhistorisches Arbeiten den fachlichen Qualitäts- und Reflexionskriterien der Geschichtswissenschaft genügen. Daher bestehen bisweilen Spannungen; gleichwohl hat sich in diesen ein Arbeitsfeld für spezialisierte Medizinhistoriker*innen herausentwickelt.

Prinzipiell fungiert die Medizingeschichte damit nicht nur als ein „Brückenfach“ zwischen Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaft, sondern auch als Bestandteil eines interdisziplinären Lehrzusammenhangs der Humanwissenschaften innerhalb der Medizin. Mit dieser Funktion wurde Medizingeschichte im Studium der Humanmedizin 1939 im Rahmen einer ideologisch geprägten ärztlichen Rechts- und Standeskunde curricular. Nach ihrem Boom zwischen 1950 und 1990 – der sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR mit einer Hochphase einer theoretischen bzw. psychosozialen Medizin einherging – wurde das Fach Medizingeschichte 2002 zu einem Teil des Querschnittsbereichs „Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin“ (GTE) in der Ärztlichen Approbationsordnung. In diesem Prozess der Verdichtung geisteswissenschaftlicher Perspektiven in der medizinischen Ausbildung verlor die Medizingeschichte zunächst Professuren und Standorte an die sich in den 1980er Jahren etablierenden Medizinethik.

Mittlerweile scheint sich diese Krisenphase nicht nur abgeschwächt zu haben und ein konstruktives – gleichsam nicht spannungsloses – Miteinander zwischen Ethik und Geschichte der Medizin entstanden zu sein. Es macht bisweilen sogar den Eindruck, die institutionalisierte Medizingeschichte sei wieder in eine Wachstumsphase übergegangen. Ein Ausdruck davon ist die Nennung von GTE als Pflicht- und Prüfungsfach in der Approbationsordnung für Zahnärzte und Zahnärztinnen* 2021, ein Grund die Akademisierung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe. Im Zuge dieser Entwicklungen eröffnen sich für die Medizingeschichte zusammen mit der Medizinethik neue Chancen für die Verankerung in der Pflichtlehre der Medizinischen Fakultäten.

Im medizinhistorischen Unterricht für nicht-ärztliche Berufe geht es ebenfalls um die Reflexion der eigenen Professionalität und ihrer Grundlage: das je spezifische Wissen, die eigenen Praktiken und die jeweiligen soziale Einbettungen im historischen Wandel. Zum je eigenen Professionsverständnis vermag eine medizinhistorische Perspektive ein Verständnis für die Kontingenz des Berufsstatus und damit zur ethisch reflektierten Politisierung heute beizutragen. Entscheidend dafür, wie diese Möglichkeiten sich in eine Stabilisierung des Faches umsetzen lassen, sind nicht nur (fach-)politische Entscheidungen, welche die Lehre in der Medizin festlegen; entscheidend ist vor allem, wie die jeweiligen lokalen Gegebenheiten vor Ort es den Fachvertreter*innen ermöglichen, in der Forschung, Lehre und Verwaltung Brücken zwischen den Disziplinen, Fachkulturen und Öffentlichkeiten zu bauen.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Die Chancen und Risiken der Medizingeschichte liegen in dem gleichen Umstand begründet: Als Brückenfach zwischen den Stühlen fällt es den Vertreter*innen des Fachs Medizingeschichte mitunter nicht leicht, die intellektuelle Anerkennung aller Bezugsdisziplinen und Kommunikationspartner*innen zu finden. Medizingeschichte wird von einigen als Exotin innerhalb der Medizin, von anderen als Fremde innerhalb der Geschichtswissenschaften wahrgenommen. Für manche ist sie ein Orchideenfach, für andere reichen ihre Forschungsarbeiten nicht an den methodisch kritischen Stand des eigenen Feldes heran. Letzteres beruht zumeist auf einem veralteten Verständnis der Medizingeschichte als einer naiven Geschichtsschreibung des medizinischen Fortschritts und vermeintlicher Heroen.

Gleichzeitig hat die nicht weit zurückliegende Pandemie die gesellschaftliche Nachfrage nach medizinhistorischem Orientierungswissen aufgezeigt. Auch der Themenkomplex der Medizin im Nationalsozialismus ist von außergewöhnlich hohem innerfachlichen wie öffentlichen Interesse. Überdies haben ihre Vertreter*innen die nötigen intensiven und extensiven Erfahrungen in der gelebten Interdisziplinarität und der Kommunikation mit fachfremden Publika in allen erdenklichen Medienformaten.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Auf der Ebene der Fachgesellschaften vertritt seit 1978 der Fachverband Medizingeschichte die Berufsinteressen der Medizinhistoriker*innen. Durch die Mitgliedschaft des Verbands in der Arbeitsgemeinschaft medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften (AWMF) ist das Fach in die (fach)politische Arbeit der Medizin eingebunden. Vernetzungen innerhalb der Geisteswissenschaften bestehen durch eine gemeinsame deutsche Fachgesellschaft mit der Wissenschafts- und Technikgeschichte, auf europäischer Ebene durch die European Association for the History of Medicine and Health und international in Form der International Union of History and Philosophy of Science. Als Brückenfach zwischen den Wissenschaftskulturen lebt die Medizingeschichte aber nicht nur von der interdisziplinären Vernetzung in den Fachgesellschaften, sondern vor allem vom interdisziplinären Leben vor Ort: Dieses erstreckt sich von Lehrexporten in philosophische Fakultäten und Studiengänge, in Heidelberg beispielsweise durch Lehre im Historischen Seminar, über gemeinsame Lehr- und Forschungsprojekte hin zu interdisziplinären Forschungsprojekten und -verbünden. Als ein junges Beispiel kann der Sonderforschungsbereich Sexdiversity gelten, in dem die Thematik der Geschlechtervielfalt sowohl medizinisch als auch geistes- wie naturwissenschaftlich erforscht wird. In Bonn und Berlin beispielsweise kommt dieser Brückenschlag zwischen den Geisteswissenschaften und der Medizin mit der Etablierung der Medical Humanities zum Ausdruck.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Durch die Verankerung der Medizingeschichte in das universitäre Curriculum Medizinischer Fakultäten im deutschsprachigen Raum ist die Disziplin vor allem dort gefordert und heimisch. Nichtsdestotrotz besteht ein wichtiger Ankerpunkt der Medizingeschichte außerhalb der Universitäten: Vom Institut für Geschichte der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart gingen in der jüngsten Vergangenheit immer wieder thematische und methodische Impulse für die Medizingeschichte aus. Darüber hinaus haben auch viele der heute in der Medizingeschichte lehrenden und forschenden Personen eine Verbindung zu diesem Institut hinsichtlich der eigenen Forschungsförderung, Aus- oder Fortbildung. Als historisch arbeitende Disziplin bestehen darüber hinaus enge Verbindungen zu den Orten, die die weitere Infrastruktur für die Medizingeschichte bilden: staatliche, regionale, kommunale sowie private Archive und solche von Organisation mit gesundheitspolitischen oder medizinischen Beständen als auch medizinhistorische Sammlungen. Medizinhistorisch relevante Artefakte bzw. Überreste finden sich nicht nur in universitären Instituten (vorrangig hier solche für Geschichte und Ethik der Medizin, Anatomie, Pathologie) oder (Universitäts-)Klinika, sondern auch in thematisch ähnlich fokussierten Museen. Der Fachverband Medizingeschichte führt von diesen Sammlungen und Museen eine aktuell gehaltene Liste auf seiner Homepage. Besonders hervorzuheben, angesichts von Größe, Ausstellungsbetrieb und Sammlungsumfang, sind das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Deutsche Medizinhistorische Museum in Ingolstadt sowie das Medizinhistorische Museum Hamburg des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.

Die Medizingeschichte pflegt nicht nur methodische und materiale Bezüge zur Geschichtswissenschaft auf die Gegenstände Medizin, Gesundheit, Krankheit und Körper blickend; sie richtet sich auch innerhalb der Medizin an Tätige in Gesundheitsberufen und zielt auf die historische Reflexion ihrer Berufsidentität. Insofern sind Verbände der organisierten Gesundheitsberufe genauso wie medizinische Fachgesellschaften wichtige Kommunikationspartner für die Medizingeschichte. Aber nicht zuletzt die Corona-Pandemie vom Anfang der 2020er-Jahre hat gezeigt, dass die interessierte Öffentlichkeit für die Medizingeschichte einen zentralen Bezugspunkt darstellt – und zwar nicht nur dann, wenn (immer politische) Fragen der medizinischen Versorgung von besonderer Brisanz sind.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Prognosen sind schwierig, weil die Geschichte lehrt – abgesehen davon, dass sie sich aufgrund jeweils spezifischer Kontexte nur an der Oberfläche wiederholt –, dass das Wohl der Medizingeschichte ein scheues Reh ist. Eine gute Ausgangslage stellt sicherlich die institutionelle Verankerung dar, die Ausdruck einer Fachidentität ist, wie sie diese auch festigt und vermittelt. Die Medizingeschichte bietet ein breites Spektrum an Betätigungsmöglichkeiten in vielschichtigen Wissensfeldern: Zeitlich und methodisch wird in der Medizingeschichte eigentlich alles mit Bezug zu Körper, Heilen und Erkrankung erforscht bzw. verwendet, in der Moderne erscheint dieses soziale System darüber strukturell vielfach verkoppelt. Insofern ist die Geschichte der Medizin selten eine, die sich „nur“ auf die medizinischen Disziplinen begrenzen lässt. Ihre Kommunikationsarbeit ist vielschichtig und reicht von klassischer Forschung bis hin zur Gestaltung von Ausstellungen; sie ist pädagogisch wie didaktisch anspruchsvoll. Die Themen der Medizingeschichte „ziehen“ – gerade dort, wo es um eine kritische Reflexivität über die (Re-)Produktionen sozialer Ungleichheit durch die Medizin geht. Hier ist die Medizingeschichte am Puls der Zeit. Das Interesse am Fach besteht vielleicht mehr denn je, gerade bei Studierenden und „Early Careers“.

Gleichwohl werden neue Wege nötig sein, junge Generationen in die Medizingeschichte zu ziehen und dort nachhaltig zu halten, stehen der primären angesprochenen Gruppe der Medizinstudierenden doch andere, perspektivisch attraktivere Karrierewege offen. Zugleich vollzieht sich aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und der demografischen Entwicklung ein Wandel zum Arbeitnehmer*innenmarkt. So positiv dies prinzipiell einzuschätzen ist, so notwendig wird ein aktives Eintreten für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft allgemein sowie ein aktives und kreatives Umgehen mit den Herausforderungen gerade für ein kleines Fach wie die Medizingeschichte. Hier wird es zum einen wichtig werden, die Medizingeschichte als Fach in den relevanten Approbationsordnungen für akademische Heilberufe zu verankern. Das Gleiche gilt für die kompetenzbasierten Lernzielkataloge der medizinischen Studiengänge. Auch hierüber kann sich die Medizingeschichte als kleines Exotenfach in die Medizinischen Fakultäten einbringen und damit absichern. Entscheidend ist mit Bezug auf die Lehre und die „Third Mission“ das Engagement vor Ort; mit Bezug auf die Forschung die themenspezifische lokale, nationale und internationale Kooperation. Kurzum: Vernetzung auf allen Ebenen ist „key“, wobei es immer wieder von neuem eine Herausforderung darstellt, eigene Perspektiven einzubringen und die eigene Fachidentität zu wahren.

Christian Sammer ((c) Universitätsklinikum Heidelberg.)

Christian Sammer studierte Neuere und Neueste Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaften. In die Medizingeschichte brachte ihn die Arbeit an seiner Dissertation zur deutsch-deutschen Geschichte der Gesundheitsaufklärung. Mittlerweile ist er Akademischer Rat am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Heidelberg sowie Schriftführer des Fachverbands Medizingeschichte. Weitere Informationen