((c) Elf Moondance).

Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Die Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik (auch: Hörgeschädigten-/Hörbehindertenpädagogik) ist heute ein vorwiegend sonderpädagogisches Handlungsfeld mit einer langen und nicht immer unproblematischen Geschichte: Die ersten schulischen Einrichtungen für taube und schwerhörige Kinder wurden in Deutschland im 18. Jahrhundert gegründet. Damit gehörten Kinder mit Hörbeeinträchtigungen – analog zu denen mit Sehbeeinträchtigungen – zu den ersten Menschen, die eine schulische Bildung trotz ihrer Behinderung erhielten – wohlgemerkt in einer Zeit, in der Hörhilfen noch gar nicht existierten. Das Alter des Fachs hat auch Begriffe wie „Taubstumme“ für die Personengruppe oder „Anstalten“ für schulische Einrichtungen/Internate geprägt, die wir heute als ausgesprochen problematisch ansehen. Auch Entwicklungen wie die sogenannte „Deutsche Methode“, bei der taube/gehörlose Kinder und Erwachsene dazu angeleitet wurden, Lautsprache zu verwenden und auf Gebärdensprache zu verzichten, prägen das Fach bis heute. Nach einer langen Zeit der Unterdrückung der Gebärdensprache und ausschließlichen Förderung der Lautsprache bei Menschen mit Hörbeeinträchtigungen sind heute verschiedene Entwicklungen sichtbar: Einerseits wird der Gebärdensprache insbesondere auch nach ihrer Anerkennung als vollwertige Sprache im Jahr 2002 eine immer größere Bedeutung bei der Frühförderung und in der Bildung tauber und schwerhöriger Kinder zuerkannt (z. B.  auch in der neueren Entwicklung der Deutschen Gebärdensprache als Unterrichtsfach), und auf der anderen Seite hat die technische Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte dazu beigetragen, dass Hörgeräte immer leistungsfähiger wurden und dass Innovationen wie Cochlea Implantate geschaffen wurden, die die Funktion des Sinnesorgans der Hörschnecke (Innenohr) ersetzen können und bei Kindern und Erwachsenen zu immer besseren Hör- und Lautsprachergebnissen geführt haben. Diese Entwicklung ist ausgesprochen dynamisch und spannend sowie bis heute geprägt durch viele ethische und emotionale Diskussionen.

Eine neuere Entwicklung ist sicherlich auch die Erweiterung des Blickwinkels von einer ursprünglich ausschließlich schulischen Förderung auf die gesamte Lebensspanne: Beginnend bei der Frühförderung hörgeschädigter Kinder bis hin zur Ausbildung/zum Beruf und zur Thematik der Zunahme erworbener Hörstörungen im Alter. Außerdem bewegte sich das Fach weg von der reinen Beschäftigung mit peripheren Hörstörungen hin zu einer Erweiterung um zentrale Hörstörungen (Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen) sowie weg von der ausschließlich spezifischen Förderung und Beschulung hörgeschädigter Kinder in Sondereinrichtungen hin zu Fragen der zunehmenden (schulischen) Inklusion, Partizipation und Teilhabe von Menschen mit Taubheit/Hörbeeinträchtigung über die gesamte Lebensspanne.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Die Universität zu Köln integriert die Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik vor allem in die sonderpädagogische LehrerInnenbildung. In den letzten Jahren ist viel dafür getan worden, die Ausbildung um den Erwerb von Gebärdensprachkenntnissen für die Studierenden zu erweitern. Es wird mit zwei Professuren für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik weiterhin zwischen den Schwerpunkten Hören/Lautsprache sowie Gebärdensprache unterschieden, wobei die Personengruppe hörbehinderter Menschen ausgesprochen heterogen ist und Kommunikationsmodalitäten immer breiter und offener werden. Die Trennung der Bereiche in verschiedene, sich vermeintlich gegenüberstehende Bereiche finde ich persönlich nicht günstig.

Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik wird in der Gesellschaft vermutlich nur wenig wahrgenommen, weil die Personengruppe der Kinder und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen des Hörens verhältnismäßig klein ist. Schaut man in den Erwachsenenbereich und bezieht die erworbenen Hörstörungen mit ein, so wird die Zielgruppe jedoch plötzlich riesengroß. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird außerdem von einer Zunahme erworbener Hörstörungen weltweit ausgegangen, nicht zuletzt durch die steigende Lebenserwartung und Lärmdisposition auch schon im Jugendalter. Das Thema hat also eine große gesellschaftliche Relevanz, auch aufgrund neuerer Forschungserkenntnisse, die einen Zusammenhang zwischen unversorgten Hörverlusten im Alter und den Erwerb von dementiellen Erkrankungen feststellen konnten. Im Kindesalter gilt die Devise: Je früher, desto besser. Daher sollen Hörstörungen im Kindesalter möglichst früh identifiziert, versorgt und einer frühen Förderung zugeführt werden – dies gilt für Hör- und Kommunikationsförderung in Laut- und Gebärdensprache (bimodale Bilingualität) gleichermaßen. Obwohl es mittlerweile in Deutschland flächendeckende Möglichkeiten der Erfassung von Hörstörungen im Kindesalter zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt gibt (Stichwort: Neugeborenenhörscreening), gibt es leider immer noch viele spät erkannte Hörstörungen, ebenso wie Hörstörungen, die nicht ab dem Zeitpunkt der Geburt vorhanden sind, sondern sich erst später im Entwicklungsverlauf manifestieren. Ich denke, das wird der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sein, es ist aber in der frühkindlichen Bildung und Beschulung immer wieder Thema.

Innerhalb des deutschen Hochschulsystems ist das Fach Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik nur an wenigen Standorten in Deutschland etabliert. Man könnte also meinen, dass die Bedarfe der Zielgruppe nicht so groß sind, was allerdings nicht der Fall ist. Diese Zentrierung auf wenige Universitätsstandorte führt auch zu einer Unterversorgung von Fachkräften in bestimmten Regionen in Deutschland, in denen das kleine Fach nicht existiert.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Die Vernetzung ist in einem Fach wie der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik essentiell, da es sich um ein interdisziplinäres Handlungsfeld handelt. Fachdisziplinen, mit denen regelmäßiger Austausch enorm wichtig ist, sind u. a. die Medizin, Audiologie, Akustik, Psychologie, Soziologie, Sprachtherapie, Linguistik und Versorgungsforschung. Es bestehen außerdem eine enge Zusammenarbeit mit den Fachbereichen der Deaf und Disability Studies sowie der Studiengänge Dolmetschen für Gebärdensprachen. Da viele Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen des Hörens Zusatzbeeinträchtigungen haben, gibt es einen regen Austausch mit anderen sonderpädagogischen Handlungsfeldern wie den Bereichen geistige und körperlich-motorische Beeinträchtigungen, Sprache sowie Lernen und emotional-soziale Entwicklung. Zahlreiche Anknüpfungspunkte bestehen außerdem zur Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, mit der die Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik auch aufgrund ihrer Geschichte traditionell stark verbunden ist. Der Bereich der Taubblinden- und Hörsehbehindertenpädagogik stellt allerdings ein wiederum eigenes Handlungsfeld dar, das über das Zusammenbringen beider Sinnesbereiche hinausgeht. Die Zusammenarbeit im Verbund und der Austausch mit anderen Disziplinen stellen eine Bereicherung dar, die ich persönlich nicht missen möchte.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Institute für Ihr Fach?

Forschung zu den Bereich Hören, Hörsysteme und Kommunikation finden nicht allein an Universitäten statt. Es gibt einerseits starke Bewegungen aus den Betroffenen-, Selbsthilfe- und Elternverbänden, die für die Zukunft des Fachs enorm wichtig und bereichernd sind. Dabei handelt es sich nicht um wissenschaftliche Einrichtungen oder Institute, aber um Personenkreise, die die Perspektiven von Selbstbetroffenen vertreten. Partizipative Forschung ist ein wichtiges Standbein der Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik.

Aus der Hörgeräte- und Implantatindustrie gibt es viele Impulse zu pädagogischen Zusammenarbeiten, die ich sehr innovativ und interessant finde, da sie über die Themen wie Hör- und Sprachleistungen von Betroffenen deutlich hinausgehen. Dazu gehören Fragen zur hörbezogenen Lebensqualität, zur psychosozialen Gesundheit und Eltern-Kind-Kommunikation. Auch Einrichtungen wie die Cochlear Implant Centren sind meist sehr forschungsstark und interessiert an der Kooperation mit den Universitäten, die pädagogische Fragestellungen verfolgen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Faches? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Eine große Herausforderung ist – wie auch in anderen Bereichen – der Fachkräftemangel. Die Lehrberufe sind momentan besonders betroffen und dies hat große Auswirkungen auf den Schulalltag von Kindern und Jugendlichen mit Hörbeeinträchtigung. Die Betroffenen dürfen nicht alleine gelassen werden, weder in Fördereinrichtungen, noch in inklusiven Settings, aber auch nicht in Ausbildung und Beruf. Die Zukunft des Fachs muss darin liegen, die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte zu meistern. Dazu könnte auch die Dezentralisierung einiger weniger Universitätsstandorte hin zu einer breiteren Verteilung von Standorten gehören – immer mit dem Ziel, die Qualität von Lehre und Forschung auf einem hohen Level zu halten. Obwohl viele Kinder und Jugendliche mit Hörbeeinträchtigung heute inklusiv und wohnortnah beschult werden, tragen auch die Einrichtungen mit dem Förderschwerpunkt Hören und zur Inklusion hörbehinderter Menschen in Gesellschaft und Beruf bei und bieten Möglichkeiten für peer-Kontakte unter den Betroffenen. Ich persönlich würde mir wünschen, dass die Themen Laut- und Gebärdensprache in der Sonderpädagogik nicht mehr so emotional als ein „entweder-oder“ diskutiert werden, sondern selbstverständlich und gleichberechtigt in Frühförderung und Bildung hörbehinderter Menschen etabliert werden. Ich wünsche mir außerdem, dass die Perspektive der Eltern mehr Beachtung findet und dass pädagogische Maßnahmen mehr auf ihre Evidenz hin überprüft werden. Dabei soll die Heterogenität der Personengruppe stets berücksichtigt werden. Es gibt nicht „den typischen“ schwerhörigen oder gehörlosen/tauben Menschen, sondern eine große Vielfalt an Ansichten, Erfahrungen und Wünschen.

((c) Teresa Rothwangl, Universität zu Köln).

Karolin Schäfer hat eine Professur für Pädagogik und Rehabilitation lautsprachlich kommunizierender Menschen mit Hörschädigung (Audiopädagogik) an der Universität zu Köln inne. Zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem schulische Inklusion hörgeschädigter Menschen, Hör- und Sprachentwicklung bei hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen, sonderpädagogische Unterstützungsbedarfe im Förderschwerpunkt Hören, hörgeschädigtenspezifische Frühförderung sowie Früherkennung von progredienten und late-onset-Hörstörungen bei Kindern. Neben zahlreichen Mitgliedschaften, Herausgeberschaften und Review-Tätigkeiten ist Professorin Schäfer als Referentin für die Europäische Union der Hörakustiker (EUHA) engagiert. Weitere Informationen