Studierende des Erdöl-Ingenieurwesens der TU Bergakademie Freiberg

Ob wir es wollen oder nicht: gut zwei Drittel unseres weltweiten Energiebedarfs werden durch Kohle, Erdöl und Erdgas gedeckt. Zwar sind die regenerativen Energien wie Wind, Biomasse oder Photovoltaik auf dem Vormarsch, aber die Weltbevölkerung wächst immer noch so rasant an, dass fossile Energiequellen auch in vielen Jahrzehnten noch den Energiemarkt beherrschen werden. Aber wenn wir noch mindestens für eine Generation auf fossile Energieträger angewiesen sind, dann sollen diese bitte so aufgesucht, erschlossen und gefördert werden, dass die Umwelt dabei so wenig wie möglich belastet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Bergleute und Erdöl-Ingenieure gebraucht. 

Auch in Deutschland gibt es eine kleine, aber was den Umweltschutz betrifft weltweit führende Erdöl- und Erdgasindustrie. Wir betreiben beispielsweise eine der sichersten Offshore-Bohrinseln der Welt. Sie befindet sich im hoch sensiblen Wattenmeer und wird seit bereits über 30 Jahren ohne Zwischenfälle betrieben. Gleichzeitig führen vom Festland aus sieben Kilometer lange Richtbohrungen unter dem Wattenmeer entlang und durch einen mächtigen Salzstock hindurch in die Mittelplate Lagerstätte – auch das ist Weltspitze.

Möglich sind solche technischen Höchstleistungen nur durch das intensive Zusammenspiel von hoch spezialisierten Lagerstätten-, Bohrtechnik- und Fördertechnik-Ingenieuren. Diese werden im Rahmen des Studiums des Erdöl-Ingenieurwesens zielgerichtet für den deutschen aber auch internationalen Markt ausgebildet.

In Deutschland findet diese Ausbildung nur an den Technischen Universitäten in Freiberg (Sachsen) und Clausthal (Niedersachsen) statt. An beiden Standorten erfolgt die Lehre überwiegend in Schulklassenstärke. Dadurch ist ein sehr enger Kontakt zwischen den Studierenden und den Dozierenden gegeben. An beiden Standorten können die Professoren durchweg auf einschlägige Karrieren in der Erdöl- und Erdgasindustrie verweisen. Sie kennen das Geschäft aus der Praxis und wissen, welche Anforderungen die Industrie an die Absolvent*innen stellt. Aufgrund der übersichtlichen Größe der deutschen Öl- und Gasindustrie besteht ohnehin ein stetiger enger Austausch zwischen den Universitäten und den potenziellen Abnehmern der Absolvent*innen, der sich auch in zahlreichen Gastvorlesungen, gemeinsamen Tagungen und Exkursionen zeigt. Die meisten Studierenden schreiben ihre Abschlussarbeiten bereits in dem Unternehmen, in dem sie später ihre Berufskarriere beginnen.

Leider ist das Fach des Erdöl-Ingenieurs in der breiten Bevölkerung relativ unbekannt. Der „normale Mensch“ hat kaum eine Vorstellung davon, woher das Benzin in den Zapfsäulen eigentlich stammt und auch in der schulischen Lehre kommt dieser Themenbereich kaum vor. Wenn überhaupt, wird die Erdölindustrie einseitig mit Umweltschäden in Verbindung gebracht ohne gleichzeitig auch auf den Wert fossiler Rohstoffe für unseren Lebensstandard und unseren Wohlstand hinzuweisen. Deshalb haben die Universitäten das chronische Problem, nicht genügend Absolvent*innen für die Industrie bereitzustellen.

Das Erdöl-Ingenieurwesen ist vom Grundsatz her eng mit dem Bergbau verknüpft, da beide sich mit der Gewinnung von Rohstoffen in der Erdkruste befassen. Im Detail unterscheiden sie sich jedoch auch stark voneinander, da sich der Bergbau mit dem Abbau mineralischer, fester Rohstoffe durch Auffahren von Hohlräumen befasst, während sich das Erdöl-Ingenieurwesen auf die Förderung fließfähiger Substanzen (Erdöl, Erdgas, Trink- und Thermalwasser) aus den Poren des Gesteins konzentriert. Folgerichtig werden die Bergleute und Erdöl-Ingenieure im Rahmen eines gemeinsamen Grundstudiums ausgebildet, das Hauptstudium findet aber in getrennten Vertiefungen statt. In Freiberg hat sich zudem die enge Verflechtung mit der Geotechnik und dem Spezialtiefbau bewährt.

Das Fachstudium des Erdöl-Ingenieurs steht auf mehreren Säulen.

In der Tiefbohrtechnik geht es darum zu verstehen, wie Öl- und Gaslagerstätten entstehen und wie man sie findet und bewertet. Je nach Lagerstättentyp sind unterschiedliche Herangehensweisen bei der bohrtechnischen Erschließung erforderlich. Natürlich wird die Funktion verschiedenster Bohranlagen (z.B. Land- und Offshorebohranlagen) betrachtet und erläutert, wie man kilometerlange Bohrstränge zusammenstellt, mit denen man sicher und effektiv ein vorgegebenes Ziel erreicht. Selbstverständlich muss eine Tiefbohrung dicht sein und darf keine Gefahr für die Umwelt darstellen.

In der Lagerstätten- und Fördertechnik geht es darum, die Ergiebigkeit von Tiefbohrungen zu ermitteln und zu bewerten und ggf. zu optimieren. Der Förderstrang, mit dem die Bohrung ausgekleidet wird, muss auf die sehr spezifischen Eigenschaften der Fluide abgestimmt sein, denn auf ihrem Weg von der Lagerstätte zur Oberfläche sinkt der Druck um mehrere hundert bar und die Temperatur um oft über 100°C, was zu signifikanten Zustandsänderungen der geförderten Kohlenwasserstoffe führen kann. Darüber hinaus werden immer Möglichkeiten gesucht, den Entölungsgrad einer Lagerstätte zu verbessern.

Zur Ausbildung zum Erdöl-Ingenieur gehört aber auch das weite Fachgebiet der flachen und tiefen Geothermie, die als grundlastfähige Energiequelle zur Umsetzung der Energiewende dringend benötigt wird.

Der sichere und nachhaltige Rückbau und Verschluss von Bohrungen, die nicht mehr gebraucht werden, gewinnt derzeit stark an Bedeutung, allein in Deutschland fallen mehrere Tausend Tiefbohrungen in diese Kategorie.

Die größte Herausforderung für Erdölingenieure wird in Zukunft darin bestehen, dass der Öl- und Gasmarkt aufgrund seiner immensen Bedeutung für die Weltwirtschaft sehr stark von politischen und strategischen Strömungen abhängt und sich oftmals recht unvorhersehbar entwickelt. Gelegentlich führen Zusammenbrüche des Öl- und Gaspreises zu vorübergehenden regionalen Entlassungswellen und signifikanten Veränderungen und Anpassungen der relevanten Industriezweige. Für gute, flexible, international ausgerichtete und entscheidungsfreudige Spezialist*innen und Managertypen bietet das Erdölingenieurwesen aber ein perspektivisch sicheres, extrem abwechslungsreiches und lukratives Betätigungsfeld.

Das Berufsfeld des Erdöl-Ingenieurs ist sehr breit gefächert. In den Ölfirmen besteht die Herausforderung darin, bestehende Felder effektiv zu nutzen und neue zu entdecken und zu erschließen. In den Bohrfirmen geht es darum, die erforderlichen Tiefbohrungen von aktuell bis zu 17 Kilometern Länge möglichst kosteneffektiv, aber vor allem sicher abzuteufen. Hier steht zum Beispiel die Bohrlochsicherheit und Vermeidung von Blowouts im Vordergrund. Die Servicefirmen sind für alle Spezialaufgaben rund um die Bohrtechnik zuständig. Sie sorgen unter anderem dafür, dass die Tiefbohrungen präzise in die Lagerstätte geführt werden und dort so platziert werden, dass eine nachhaltige Förderung der Rohstoffe gesichert wird. Die Berufsbilder in den verschiedenen Industriezweigen sind extrem unterschiedlich und bewegen sich zwischen typischer Bürotätigkeit und spontanen oder wochenlangen Einsätzen auf Bohrinseln, die nur per Hubschrauber erreicht werden können. Wechsel zwischen den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten im „Ölfeld“ sind nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht, die meisten erfolgreichen Manager*innen der Branche haben viele verschiedene Stationen in ihrem Berufsleben durchlaufen.

Unter dem folgenden Link sind detaillierte Informationen über den Ablauf des Diplom-Studienganges „Geotechnik und Bergbau“ an der TU Bergakademie Freiberg zu finden, in denen die Vertiefung „Tiefbohrtechnik, Erdgas- und Erdölgewinnung“ (Erdöl-Ingenieurwesen) angesiedelt ist.

tu-freiberg.de/studium/studienangebot/geotechnik-bergbau-diplom



Die TU Clausthal bietet einen Bachelor / Master-Studiengang „Energie und Rohstoffe“ an, in dem die Ausbildung zum Erdöl-Ingenieur möglich ist.

www.tu-clausthal.de/studieninteressierte/studiengaenge/bachelor-studiengaenge/energie-und-rohstoffe



Matthias Reich

Matthias Reich hat seit 2006 die Professur für Bohrtechnik, Spezialtiefbauausrüstungen und Bergbaumaschinen am Institut für Bohrtechnik und Fluidbergbau der TU Bergakademie Freiberg inne. Zudem ist er Dekan der Fakultät für Geowissenschaften, Geotechnik und Bergbau sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle e.V. Von 1990-2006 war Reich in verschiedenen Positionen eines weltweit führenden amerikanischen Serviceunternehmen der Öl- und Gasindustrie tätig. Weitere Informationen