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Unter dem Titel "Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in den kleinen Fächern - bestehende Strukturen und alternative Wege" veranstaltete die Arbeitsstelle Kleine Fächer am 20. Juni 2022 im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts "Die Dynamik Kleiner Fächer" ihren vierten und letzten Informations- und Vernetzungsworkshop, der als Onlineveranstaltung stattfand. Unter den rund 50 geladenen Gästen waren Vertreter*innen kleiner Fächer, der Hochschulforschung, -administration und -politik sowie der Forschungsförderung.

Uwe Schmidt (Leiter der Arbeitsstelle Kleine Fächer) betonte in seiner Begrüßung, dass das Thema wissenschaftlicher Nachwuchs seit Jahren ein wichtiges Thema sei, welches zuletzt unter dem #ichbinHanna erneut medial präsent wurde. Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses stehe dabei im Spannungsverhältnis zwischen den strukturellen Bedingungen (Personalplanung etc.) an Universitäten und der Konfrontation des wissenschaftlichen Nachwuchses mit der Problematik beruflicher und wirtschaftlicher Abhängigkeiten und Sicherheiten.

Eröffnender Vortrag "Beschäftigungsverhältnisse von jungen Forscher*innen. Befunde und Herausforderungen"

In einem eröffnenden Vortrag widmete sich Kolja Briedis (DZHW) den aktuellen Befunden und Herausforderungen hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse junger Forscher*innen. Briedis konstatierte, dass das Thema bereits seit einigen Jahren hohe Aufmerksamkeit erfahre.

Bereits seit 2010 gebe es zahlreiche Initiativen, die eine Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals in Deutschland fordern (bspw. 2010: Templiner Manifest der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW); 2017: Departments statt Lehrstühle der Jungen Akademie; seit 2020: u.a. #95vsWissZeitVG; #Ichbinhanna über soziale Medien). Kritisiert werde u.a. die hohe Befristungsquote. Kernargumente für eine befristete Beschäftigung des wissenschaftlichen Personals seien seit den 1970er Jahren: Fluktuation und Mobilität seien notwendig, um die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten, den Kreis der Mitarbeiter*innen zu erneuern und den Ideentransfer zu fördern. Seit den 1990er Jahren begründe man Befristung darüber hinaus mit Wettbewerb und Flexibilität. Angesichts der Tatsache, dass seit 2000 die Zahl des hauptamtlichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Hochschulen um 71% angestiegen, der Anteil der Professor*innen aber um lediglich 30% gewachsen sei, habe sich der Wettbewerb um unbefristete Stellen verschärft und das Thema insgesamt an Brisanz gewonnen. Die Befristungsquote, die seit den 70er Jahren kontinuierlich und stark gestiegen sei, liege für das wissenschaftliche und künstlerische Personal (inkl. Drittmittelpersonal) in der Prä-Doc-Phase bei 97%. Auch von den Beschäftigten in der Post-Doc-Phase seien derzeit 68% befristet beschäftigt. Vor diesem Hintergrund identifizierte Briedis zentrale und aktuelle Herausforderungen:

1. Passende Vertragslaufzeiten

Kurze Vertragslaufzeiten des befristet beschäftigten wissenschaftlichen und künstlerischen Personals sowohl nach als auch vor der Promotion ließen sich als Problem identifizieren. So betrügen die durchschnittlichen Vertragslaufzeiten - je nach Studie - zwischen 20 bis 29 Monaten. Demgegenüber stünden die durchschnittlichen Promotionszeiten, welche fächerübergreifend bei 4,7 Jahren lägen. Die damit einhergehenden zeitlichen Diskrepanzen führten bspw. zu Finanzierungslücken während der Promotion, feststellbar insbesondere zu Beginn und Ende der Promotionsphase.

2. Stellenvolumina

Promovierende seien mehrheitlich in Teilzeit beschäftigt. So seien Personen in der Prä-Doc-Phase in 60% der Fälle in Teilzeit angestellt, wohingegen der Anteil in der Post-Doc-Phase lediglich bei 20% liege. Mit Blick auf den durchschnittlichen Stellenumfang bei Promovierenden, der über alle Fächer hinweg bei 72% liege, seien deutliche Unterschiede zwischen den Fächern festzustellen. Während der durchschnittliche Stellenumfang in den geisteswissenschaftlichen Fächern bei 60% liege, betrage der Stellenumfang im Maschinenbau im Durchschnitt 93%.

Das Stellenvolumen bedinge in besonderer Weise die finanzielle Situation während der Promotion. Studien zeigten, dass insbesondere Stellenvolumina von unter 65% mit Finanzierungsproblemen des Lebensunterhalts korrelierten. Zudem seien Teilzeitbeschäftigte sowohl in der Prä- als auch Postdoc-Phase im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten in größerem Ausmaß von unbezahlten Überstunden betroffen.

3. Lange Phase zwischen Promotion und Erstberufung

Als weitere Herausforderung sei die Phase zwischen Promotionsabschluss und Erstberufung zu identifizieren. So liege das durchschnittliche Alter bei Promotionsabschluss bei 30,5 Jahren, dem gegenüber stünde ein durchschnittliches Alter von 43,2 Jahren bzw. 41,7 Jahren bei der Erstberufung auf eine W3 bzw. W2 Professur. Dies sei insofern problematisch, da nach der Promotion lediglich eine Qualifizierungszeit von sechs Jahren vorgesehen sei.

4. Frühere Selektion und Planbarkeit (Ehrlichkeit)

Vor dem Hintergrund des wachsenden Mittelbaus bei gleichzeitiger Verknappung der Dauerstellen stehe das Wissenschaftssystem vor der Herausforderung bereits frühzeitig zu selektieren und zu diskutieren, wann die Fortsetzung einer wissenschaftlichen Karriere sinnvoll sei. Diesbezüglich konfligierten jedoch die Interessen der unterschiedlichen Akteure. Während der wissenschaftliche Nachwuchs frühzeitig an einer realistischen Einschätzung hinsichtlich der eigenen wissenschaftlichen Karriere interessiert sei, bestünde seitens Projektleitungen das Interesse Angestellte - ungeachtet einer etwaigen Nichtweiterbeschäftigung im Anschluss - für die gesamte Projektlaufzeit zu halten. Vorgesetzte stünden in der Verantwortung, frühzeitig eine offene Rückmeldung hinsichtlich der möglichen Karriereoptionen zu geben.

5. Wettbewerb auch mit anderen Sektoren

Eine Sektoren-vergleichende Untersuchung der beruflichen Situation promovierter Wissenschaftler*innen fünf Jahre nach Promotionsabschluss ergebe, dass bei den Personen, welche im Wissenschaftssystem verbleiben, die höchste Befristungsquote und zugleich das geringste durchschnittliche Einkommen vorlägen. Während die Befristungsquote im akademischen Bereich bei 68% liege, sei für die Privatwirtschaft lediglich eine Befristungsquote von 15% zu konstatieren. Zugleich sei in der academia ein monatliches Bruttoeinkommen von 5.341 Euro in Vollzeit festzustellen, während dies in der Privatwirtschaft (ohne Forschungsbezug) durchschnittlich 7.223 Euro betrüge. Damit einhergehend sei zu konstatieren, dass das Wissenschaftssystem im starken Wettbewerb mit anderen Sektoren um Fachkräfte stehe.

6. Mehr Informationen über tatsächliches Ausmaß der Probleme

Derzeit sei nur wenig über Personen bekannt, die langfristig auf befristeten Stellen im Wissenschaftssystem verharrten. Zwar sei bekannt, dass der Anteil der befristet Beschäftigten mit steigendem Alter sukzessive sinke, jedoch lägen keine Informationen darüber vor, mit welchen Schwierigkeiten die Personen bei (un-)freiwilligem Ausscheiden aus dem Wissenschaftssystem konfrontiert seien und inwiefern diese Abkehr freiwillig erfolge. Dies gelte umso mehr für die Personen, die das System ohne abgeschlossene Promotion verließen. Während 2020 98% der 30-jährigen im Wissenschaftssystem befristet beschäftigt gewesen seien, habe der Anteil in der Kohorte der 45-jährigen bei 38% der Beschäftigten gelegen. Die Zahl der Beschäftigten liege bei den 30-jährigen bzw. 45-jährigen bei ca. 15.000 bzw. unter 5.000.

Um besser bewerten zu können, unter welchen Bedingungen die Personen das Wissenschaftssystem verließen und vor welchen Herausforderungen diese bei einem Wechsel stünden, benötige man weitere Daten.

7. Personal- und Organisationsentwicklung

Letztlich stünden Hochschulen vor der Herausforderung eine Personal- und Organisationsentwicklung anzustreben, die für das System funktional sei.

Vortrag "Wissenschaftliche Qualifizierung und befristete Beschäftigung: einige Ergebnisse aus der Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG)

Im zweiten Vortrag des Workshops berichtete Georg Jongmanns (HIS-Institut für Hochschulentwicklung) ausgewählte Ergebnisse der Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Er stellte Befunde zur Dauer der wissenschaftlichen Qualifizierung und zu befristeten Beschäftigungsverläufen gegenüber. Im Rahmen der Evaluierung wurden neben einer Online-Befragung der Personalverwaltungen zum Umgang mit dem 2016 novellierten WissZeitVG auch eine Online-Befragung der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen durchgeführt. Während es sich bei ersterer um eine Vollerhebung handelte, konnten bei zweiterer 6.000 Teilnehmende verzeichnet werden. Zudem wurden Daten befristeter Arbeitsverträge (Vertragsdaten) ausgewertet und vertiefende Fallstudien zur Befristungspraxis durchgeführt.

Auf Basis der erhobenen Vertragsdaten und der damit einhergehenden Untersuchung von 24.000 bis 25.000 Beschäftigungsverläufen sei zu konstatieren, dass seit der Novellierung des WissZeitVG eine Verbesserung bei den Vertragslaufzeiten erzielt, jedoch nicht durchgehalten werden konnte.

Erstverträge mit Mindestlaufzeit von 36 Monaten

Die Zahl der Erstverträge mit einer Mindestlaufzeit von 36 Monaten sei an den Universitäten zwar bis einschließlich 2017 kontinuierlich gestiegen (2014: 34,3%; 2017: 61,6% der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen). Jedoch müsse seit 2017 ein erneuter Rückgang verzeichnet werden. So sei der Anteil der Erstverträge mit einer Mindestlaufzeit von 36 Monaten bis 2020 wieder auf 40,1% gesunken. Die Ursache für den Anstieg liegt nicht allein im WissZeitVG. In vielen Bundesländern wurden Regelungen erlassen, die Mindestlaufzeiten insbesondere für Erstverträge umfassen. Daher sei festzustellen, dass die dreijährigen Laufzeiten einen 'regelbaren', jedoch nicht regelmäßigen Bezugspunkt der Befristungspraxis darstellten.

Kurzbefristungen

Während der Anteil der Kurzbefristungen an den Universitäten (Vertragslaufzeit < 12 Monate) in 2015 noch rund die Hälfte der in einem Jahr abgeschlossenen Arbeitsverträge ausmachte, konnte dieser bis 2019 sukzessive auf ein Drittel gesenkt werden. Trotz der Reduzierung sei ein persistenter Sockel an Kurzbefristungen zu konstatieren. Insbesondere auffällig sei, dass sich ungefähr die Hälfte der Kurzbefristungen (hier: Laufzeiten bis einschließlich 1 Jahr) bei 10% der Beschäftigten häufe; davon sind Beschäftigte mit längerer Zugehörigkeit zu einer Einrichtung häufiger betroffen. Ungefähr die Hälfte der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sei bis zum Stichtag nicht von Kurzbefristungen betroffen gewesen (insbesondere diejenigen mit kurzer Zugehörigkeit).

Qualifizierung

Der Anteil der befragten Promovierten und Nichtpromovierten, die mittelfristig eine Beschäftigung im Wissenschaftssystem anstrebten, liege bei 74% bzw. 40%. Wer in der Wissenschaft bleiben wolle, bewerte den Qualifizierungsprozess eher kritisch, wer eine Beschäftigung außerhalb der Wissenschaft anstrebe positiver. Von lediglich ca. 40% der befragten Wissenschaftler*innen werde angegeben, das Erreichen des angestrebten Qualifizierungsziels innerhalb der Vertragslaufzeit des aktuellen Vertrages für (eher) realistisch zu halten. Mit Blick auf die Zeit, welche die Beschäftigung für die Arbeit an der Qualifizierung lasse, sei festzustellen, dass sich der Drittmittelkontext diesbezüglich als am günstigsten erweise. Insgesamt sei zu registrieren, dass die Laufzeiten der einzelnen Arbeitsverträge nicht der üblichen Qualifizierungsdauer entsprächen. Allerdings setze die Befristungspraxis im Wissenschaftssystem überwiegend auf eine Strukturierung des Qualifizierungsverlaufs durch die befristeten Arbeitsverträge. Nach einem Erstvertrag wird regelmäßig auf die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung für die Erreichung des Qualifizierungsziels gesetzt.

Inwiefern Verbesserungen der Situation auf die Novellierung des WissZeitVG zurückzuführen seien, könne abschließend nicht beantwortet werden. Vielmehr handele es sich um einen multikausalen Prozess. Es sei jedoch anzunehmen, dass die Novellierung als starke Anregung für weitere Veränderungen gewertet werden könne und diese somit als Impulsgeber für Veränderungen gedient habe. Diese Funktion könne man für die anstehende Änderung des WissZeitVG nutzen.

Podiumsdiskussion - Alternative Wege zur Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses

Auf einem virtuellen Podium diskutierten Verena Blechinger-Talcott (Vizepräsidentin und Professorin für Politik und Wirtschaft Japans, Freie Universität Berlin), David Freis (Akademischer Rat für Geschichte der Medizin, Universität Augsburg und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Geschichte der Wissenschaften, der Medizin und der Technik (GWMT), Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Mittelbau der Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte), Gritt Klinkhammer (Professorin für Empirische Religionsforschung und Theorie der Religion, Universität Bremen und Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft) und Karsten Lambers (Associate Professor für Archaeological Computer Sciences, Universität Leiden, Niederlande) über alternative Wege zur Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Zunächst wurden jeweils Eingangsfragen beantwortet, die unterschiedliche Aspekte des Themas ansprachen wie auch unterschiedliche Perspektiven aufzeigten.

Besondere Herausforderungen für kleine Fächer

Nachdem im ersten Teil der Veranstaltung generelle Bedingungen für wissenschaftliche und künstlerische Beschäftigte des Mittelbaus im deutschen Wissenschaftssystem und damit einhergehende Probleme skizziert wurden, ging Gritt Klinkhammer im besonderen Maße auf die Herausforderungen für die kleinen Fächer ein. Insgesamt schätze sie die Situation für kleine Fächer kritischer ein als für größere Fächer. Klinkhammer betonte, dass kleine Fächer über einen sehr viel geringeren Pool an wissenschaftlichem Nachwuchs verfügten. Zugleich sei sich der wissenschaftliche Nachwuchs in den kleinen Fächern sehr viel stärker der Risiken einer wissenschaftlichen Karriere bewusst. Mit Blick auf Ortswechsel, die für eine wissenschaftliche Karriere vorausgesetzt würden, sei ein noch höheres Maß an Flexibilität erforderlich, da die Fachstandorte in der Regel nicht so dicht gestreut seien. Zunehmend schwieriger geworden sei es, geeignete wissenschaftliche Mitarbeiter*innen bspw. für Drittmittelprojekte zu finden. Vor dem Hintergrund eines Nachwuchsmangels sei zudem die Besetzung von spezifischer ausgeschriebenen Professuren problematisch. Hinzu komme, dass die Wiederbesetzung von Professuren insgesamt sehr viel fragiler geworden sei. So würden bspw. Professuren aus Kostengründen zunächst mit Juniorprofessuren nachbesetzt. Hervorragend qualifizierte Personen, die bereits längere Zeit Assistenzstellen innegehabt hätten, kämen hierfür ggf. nicht mehr in Frage. Die u.a. vom Wissenschaftsrat geforderte Vielfalt von Stellenarten (Juniorprofessuren, Lektorate etc.) führe, so Klinkhammer, kleine Fächer ggf. erst einmal in eine Sackgasse. So seien insbesondere Lektoratsstellen mit hohem Lehrdeputat an Standorten mit nur ein bis zwei Professuren sehr dominierend, könnten jedoch kaum einen Beitrag zur Forschung leisten. Dies erweise sich als problematisch für die Weiterentwicklung des Fachstandorts. Ein weiteres Problem sei die generationenweise Neubesetzung von Professuren. In der späteren Diskussion wurde aus dem Teilnehmendenkreis ergänzt, der wissenschaftliche Nachwuchs kleiner Fächer könne sich je nach Arbeits- und Lebenszeit der Stelleninhabenden für Standorte mit ein bis zwei Professuren ausrechnen, wann das Fach bzw. die Ausstattung des Fachs zur Disposition stünden. Dies bringe international Wettbewerbsnachteile mit sich. Es werde beobachtet, dass vielversprechende Kandidat*innen früh ins Ausland abwanderten.

Karrierewege und kleine Fächer in den Niederlanden

Eine weitere Perspektive eröffnete Karsten Lambers, indem er von seinen Erfahrungen im niederländischen Wissenschaftssystem berichtete. So unterschieden sich das deutsche und das niederländische System insbesondere darin, dass in den Niederlanden eine Habilitation nicht üblich sei und zugleich die Anforderungen an die Promotion höher ausfielen. Eine Zeit von vier Jahren in Vollzeit sei für die Promotion vorgesehen. Im Anschluss an die Promotion seien praktische Erfahrungen in Lehre, Management sowie Forschung von besonderer Bedeutung und würden bei Stellenbesetzungen gegenüber dem Verfassen einer Habilitation deutlich höher gewichtet. Hinzu komme, dass das niederländische System keine Verbeamtung im Wissenschaftssystem vorsehe. Dies erleichtere den Wechsel zwischen akademischen und nicht-akademischen Arbeitsfeldern. Dahingehend zeige sich der niederländische Arbeitsmarkt als sehr viel flexibler, auch bzgl. der Kombination von Anstellungen mit freiberuflicher Tätigkeit. Die damit einhergehende Durchlässigkeit des Systems erleichtere den Wechsel zwischen den Sektoren. Insgesamt seien die Karrierewege in den Niederlanden aber ähnlich: mit Blick auf Professuren gebe es ein dreistufiges System (Assistent Professor, Associate Professor, Full Professor). In Fächern mit hohen Studierendenzahlen gebe es als weiteren Karriereweg darüber hinaus sogenannte Dozenturen. Ähnlich wie in Deutschland sei eine Debatte dazu zu beobachten, wie Probleme der Befristung von Arbeitsverträgen und von Ketten- bzw. dort sogenannten Drehtürverträgen gelöst werden könnten. Vieles, was in Deutschland gesetzlich geregelt sei, unterliege in den Niederlanden tarifvertraglichen Regelungen, und auf dieser Grundlage seien zuletzt zahlreiche Dozenturen entfristet worden. Da der akademische Arbeitsmarkt in den Niederlanden insgesamt viel kleiner sei und zudem deutlich weniger Fördermöglichkeiten bestünden, sei es aber erforderlich, die berufliche Orientierung nicht zu eng auf das auszurichten, was man studiert habe.

Lambers könne in den Niederlanden keine Diskussion zu "kleinen Fächern" feststellen. Seine Erfahrungen zeigten, dass der Versuch unternommen werde an den Universitäten möglichst größere Einheiten zu bilden, um mit großen Fächern auf Augenhöhe zu sein. So sei an der Universität Leiden bspw. die einzige archäologische Fakultät Europas etabliert. Diese Art der Institutionalisierung sei für die beteiligten Fächer wichtig hinsichtlich deren Wahrnehmung, Sichtbarkeit, strategischen Handlungsfähigkeit und Zugang zu Finanzierungsquellen. Vorteile ergäben sich durch einen Zusammenschluss und die dadurch entstehenden besseren Rahmenbedingungen, Synergien und Nischen auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs kleiner Fächer.

Veränderungen in Berlin

Wie von der aktuellen Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2021-2025 festgehalten, wird derzeit angestrebt die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern und dazu das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu reformieren. Das Bundesland Berlin hatte im Herbst 2021 bereits dahingehende Anpassungen des Berliner Hochschulgesetztes vorgenommen. Verena Blechinger-Talcott skizzierte, was die Veränderungen des Berliner Hochschulgesetzes für die Freie Universität bedeuten, welche Ansätze es mit Blick auf die Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses gibt und inwiefern Herausforderungen kleiner Fächer Berücksichtigung finden. Es sei gesetzlich vorgesehen, dass nach einer Übergangsphase bis 10/2023 allen PostDocs auf Haushaltsstellen, die ihr Qualifikationsziel erreicht hätten (i.d.R die Habilitation), eine entfristete Stelle anzubieten sei. Die FU Berlin verstünde diese Veränderung als Anstoß für eine bessere Personalentwicklung. Derzeit werde ein Karrierewegemodell mit den zugehörigen Qualifikations- und Beratungsangeboten erarbeitet, das auch Möglichkeiten in und außerhalb der Wissenschaft aufzeige. Da Qualifikationswege fach- und fachbereichsbezogen unterschiedlich seien, werde derzeit ein Baukastenmodell erarbeitet, welches je nach unterschiedlichen Anforderungsprofilen und Bedürfnissen der verschiedenen Fächer eingesetzt werden könne. Man habe sich in der Kommission, die damit betraut sei bessere Beschäftigungsmodelle für Promovierende zu entwickeln, bereits darauf verständigt, zukünftig den Promovierenden auf Haushaltsstellen einen Vertrag von 6 Jahren mit einem Stellenanteil von 66 Prozent anzubieten. Dabei sollten die ersten vier Jahre für die Fertigstellung der Promotion, und die dann verbleibenden zwei Jahre als Orientierungsphase für die weitere Karriereplanung genutzt werden. Überlegungen mit Blick auf Karrieremöglichkeiten in der Post-Doc-Phase gingen derzeit in drei Richtungen: 1. Funktions- und Hochdeputatsstellen für Daueraufgaben, 2. Weiterqualifizierung, die nicht auf eine Professur hinführe, aber zu einer eigenständigen Übernahme von Aufgaben in Lehre und Forschung, 3. Befristete Projektphase nach der Promotion, die nach erfolgreichem Abschluss (bspw. erfolgreicher Einwerbung eines Projektes) in eine Verdauerung münde. Befristungen müssten aber weiterhin möglich sein, um bspw. neuen Professor*inn*en Mitarbeiter*innenstellen anbieten zu können. Insbesondere im Hinblick auf kleine Fächer sei es auch nicht sinnvoll auf die Entfristung aller Stellen zu setzen, da sonst kein Stellenpool für Promovierende zur Verfügung stünde. Da Karrierewege in kleinen Fächern aufgrund der begrenzten Zahl an Standorten schlecht planbar seien, sei es besonders wichtig interdisziplinäre Schnittstellen zu identifizieren und Synergien zu nutzen, um Drittmittelstellen bzw. Kooperationsstellen auf den Weg zu bringen. Man müsse einerseits die Flexibilität erhalten, gleichzeitig aber durch die Identifikation von Wegmarken die Karriereplanung unterstützen.

Systembezogene Etablierung neuer Beschäftigungsmodelle anstelle von Einzelmaßnahmen

Seit 2018 ist die gemeinsame AG Mittelbau der Wissenschafts-, Medizin-, und Technikgeschichte Teil des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), einem bundesweiten Netzwerk von Initiativen, die sich gemeinsam für die Mobilisierung des Mittelbaus und die Verbesserung akademischer Arbeitsbedingungen einsetzen. David Freis plädierte dafür, dass im Wissenschaftssystem grundsätzlich über neue Beschäftigungsmodelle für den Mittelbau nachgedacht werden müsse. Einzelmaßnahmen an singulären Standorten könnten keine grundsätzliche Verbesserung erreichen. Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) habe bereits 2020 eigene Vorschläge für alternative Wege und faire Beschäftigungsbedingungen vorgelegt. Die Berechnungen zeigten, dass eine entfristete Anstellung für einen Großteil des Mittelbaus möglich sei, ohne dass dies eine Erhöhung des Lehrdeputats oder der Finanzierungsmittel nach sich zöge. Als Beispiel nannte Freis das Department-Modell oder auch das Lecturer-Modell. Alle alternativen Modelle, die vorgeschlagen würden, gingen auch weiterhin von einer Befristung in der Promotionsphase aus. Dass die Bedingungen der einzelnen Fächer unterschiedlich seien, mache es insgesamt schwierig zu bewerten, welches Modell sich in der Praxis bewähren würde. Grundsätzlich sei für eine verbesserte Situation des Mittelbaus jedoch eine Verschiebung der Finanzierung hin zu mehr Grund- und weniger Drittmittelfinanzierung nötig. Mit Blick auf die kleinen Fächer äußerte Freis die Überzeugung, dass diese im besonderen Maße von einem Ende der derzeitigen Befristungspraxis profitieren würden: So litten insbesondere kleine Fächer unter Fluktuationsprozessen. Zugleich könnten jedoch Modelle wie das Department-Modell auch eine Gefahr für kleine Fächer darstellen, da sich die Frage stelle, wie kleine Fächer ihre Eigenständigkeit und Sichtbarkeit in großen Einheiten verteidigen könnten.

Im Anschluss an die Beantwortung der jeweiligen Eingangsfragen wurde die Runde für Fragen und Kommentare aus dem gesamten Teilnehmendenkreis geöffnet. Folgende weitere Themen wurden diskutiert bzw. eingebracht:

Department-Modell bzw. Zusammenschluss zu größeren Einheiten - Gefahr oder Chance für kleine Fächer?

Kontrovers diskutiert wurde der Zusammenschluss von kleinen Fächern zu bzw. das Aufgehen kleiner Fächer in größeren Einheiten. Einerseits zeigten Erfahrungen, dass kleine Fächer von einem Zusammenschluss zu größeren Einheiten profitieren könnten, anderseits wurden Bedenken geäußert, dass kleine Fächer in größeren Einheiten schnell wegrationalisiert würden. Dahingehend wurden insbesondere Konstellationen, in denen kleine Fächer im Vergleich zu größeren Fächern nicht gleichberechtigt oder nicht sichtbar seien, als kritisch benannt.

Selektion der Besten und Chancengerechtigkeit

Die Diskussion ergab, dass es schwierig sei, fachlich sehr gute Beschäftigte des Mittelbaus zu halten, zumal die Stellen unattraktiv und die Chancen unklar seien. Diese Bedingungen erschwerten die Bestenauswahl, da man Personen verliere, die man 5 bis 10 Jahre später gerne berufen würde. Zwar nicht unmittelbar in diesem Zusammenhang, aber zu diesem Punkt passend wurde betont, wie wichtig es sei im Wissenschaftssystem divers zu rekrutieren. Man müsse sich die Frage stellen, wer es sich überhaupt leisten könne, die Unsicherheit einer akademischen Laufbahn in Kauf zu nehmen. Es wurde zudem daran appelliert, strukturelle Benachteiligungen von Frauen, Menschen mit nicht-akademischem Elternhaus und Migrant*innen zu berücksichtigen.

Wege raus aus der Wissenschaft

Nicht alle Wissenschaftler*innen, die bspw. eine Habilitation abschlössen, könnten in kleinen Fächern auch eine Professur erhalten. Je nach (kleinem) Fach gelten unterschiedliche Bedingungen und Anschlussfähigkeiten auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt, die differenziert betrachtet werden müssten. Kleine Fächer könnten dabei nicht per se mit Fächern assoziieren werden, deren Absolvent*innen diesbezüglich Probleme hätten. Vielmehr erfahre die spezifische Expertise einer Vielzahl kleiner Fächer eine hohe Nachfrage. Zudem wurde herausgestellt, dass in Anbetracht eines allgemeinen Fachkräftemangels die an der Hochschule erworbenen Kompetenzen - unabhängig vom Fach - auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragt seien. Es läge aber mit in der Verantwortung der Hochschulen auch Karrierewege außerhalb der Wissenschaft aufzuzeigen.

Diskurs zu den Erfahrungen in Berlin

Die Erfahrungen, die man in Berlin derzeit mache, seien grundsätzlich sehr hilfreich auch für andere Universitäten. Als Problem wurde benannt, dass man im Rahmen der Diskussion zwar von Stellen spreche, es sich de facto aber um Gelder handele über deren Verwendung der*die jeweilige Lehrstuhlinhaber*in frei entscheiden könne. Es werde die Gefahr gesehen, dass bei Regelungen wie in Berlin keine Post-Doc-Stellen mehr ausgeschrieben würden, wenn man die Gelder auch für zwei halbe Doktoranden-Stellen verwenden könne. Aufgrund der Bedeutung von Post-Docs für Forschungsprojekte sei dies allerdings keine attraktive Option. Zudem wurde die Frage nach der Generationengerechtigkeit aufgeworfen, wenn man nun dazu übergebe eine große Zahl an derzeit befristeten Stellen zu verstetigen. Diese Frage stelle sich allerdings nur dann, wenn man davon ausgehe, dass alle dauerhaft auf ihren Stellen bleiben würden.

Zur allgemeinen Debatte rund um die Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses

In der allgemeinen Debatte sei stärker zu berücksichtigen, dass es neben Lehre und Forschung an Hochschulen weitere wichtige Aufgaben, bspw. im Wissenschaftsmanagement, gebe. Zudem sei es wichtig offene Ausschreibungen mit transparenten Kriterien zu fordern und Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, die der Qualifikation von Post-Docs gerecht würden.

In Anbetracht der allgemeinen Lage (Pandemie, Ukraine-Krieg) müsse man damit rechnen, die Auswirkungen bspw. auch im Bereich der Drittmittelförderungen zu spüren. Bei gleichzeitig hohem Fachkräftebedarf auf dem Arbeitsmarkt werde es voraussichtlich zunehmend schwerer werden Personen für Promotionsstellen zu gewinnen und Personal zu halten.

Gegen Ende der Veranstaltung wurde zudem die Verwendung von diskriminierungsfreien Bezeichnungen anstelle von "Nachwuchs" oder "junge" Wissenschaftler*innen angeregt. Als mögliche Alternativen wurde vorgeschlagen u.a. die englische Bezeichnung "early career", "Wissenschaftler*innen in Qualifikationsphasen" oder "Graduierte" zu verwenden.

Abschließende Zusammenfassung

Abschließend resümierte Uwe Schmidt, dass mit Blick auf die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses die grundsätzlichen Diagnosen und Probleme hinreichend bekannt sind, sich befriedigende Lösungen hingegen kaum oder nur temporär abzeichnen. Einerseits würden stetig Versuche unternommen, die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses zu verbessern - so bspw. durch Selbstverpflichtungen einzelner Hochschulen. Andererseits deuteten die Daten darauf hin, dass die Situation diesbezüglich weiterhin fragil und wenig substantielle Änderung zu beobachten sei. Viel mehr unterliege die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses gewissen Konjunkturen und sie sei beeinflusst durch u. a. verwaltungsrechtliche Aspekte sowie externe Rahmenbedingungen, wie die Laufzeit von Förderprogrammen. Damit zeige sich eine Parallelität unterschiedlicher Restriktionen, d.h. nicht nur Konjunkturen begrenzter Mittel und Laufzeiten, sondern auch der Einschätzung rechtlicher Risiken und den Bedingungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Es handele sich insgesamt aber auch um einen Konflikt zwischen individueller Aspiration und institutionellen sowie systemischen Interessen, indem das Wissenschaftssystem auf Valenzen im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses angewiesen sei, um Platz für neue Ideen und Perspektiven bereitzustellen, was einer kontinuierlichen Karriereentwicklung häufig entgegenstehe.

Es lasse sich zudem beobachten, dass die konkrete Ausgestaltung der Qualifizierungsphase fachspezifisch divergiere, was wiederum auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen sei, so bspw. auf die fachspezifischen Karriereoptionen außerhalb der Hochschulen.

Blicke man auf die kleinen Fächer, so seien mithin zwei Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen die häufige Verortung im Bereich der Geisteswissenschaften, zum anderen die spezifischen strukturellen Merkmale kleiner Fächer. Für die Geisteswissenschaften lasse sich bspw. resümieren, dass mit Blick auf die externen Optionen und Einkommensmöglichkeiten universitäre Karrieren durchaus interessant seien. Besondere Herausforderungen für kleine Fächer zeigten sich mit Blick auf eine kleine wissenschaftliche Community, damit verbundene wenige Stellenoptionen innerhalb der Wissenschaft und auch bzgl. spezifischer Herausforderungen, so bspw. der Wechsel zwischen räumlich weit entfernten Standorten.

Insgesamt stelle sich schließlich die Frage der Steuerbarkeit und damit verbunden auch der Verantwortung: Inwieweit sind Nachwuchswissenschaftler*innen für ihre Karriere selbst verantwortlich? Inwieweit ist es Aufgabe etablierter Wissenschaftler*innen frühzeitig eine offene Rückmeldung hinsichtlich der Karrieremöglichkeiten zu geben? Inwieweit müssen Förderstrukturen angepasst werden, die Bedarfe kreieren, ohne Nachhaltigkeit zu versprechen? Schlussendlich müssten im Wissenschaftssystem neue Strukturen gefunden werden, die die kritischen Effekte abfederten, indem bspw. eine größere Durchlässigkeit zwischen unterschiedlichen Karriereoptionen ermöglicht wird. Die Veranstaltung sei dahingehend als Beitrag zu diesem Diskurs zu verstehen.