(Quelle: Christine Chojnacki)

1. Wie gestaltet sich die Lehrsituation des Fachs Indologie in Frankreich?

Das Fach Indologie gehört in Frankreich zum einen zu den klassischen Disziplinen, wenn man an die philologische Arbeit mit Primärtexten und Inschriften denkt. Zum anderen steht das Fach aber noch relativ am Anfang, insofern der Unterricht über Indien - d. h. über das zeitgenössische Indien mit seiner Kultur (Religionen, Geschichte etc.) und seinen Sprachen ­- noch recht schwach entwickelt ist. Bevor die Universitäten in Frankreich Autonomie erlangten, gab es sechs Standorte, an denen indische Sprachen und indische Kulturen gelernt und gelehrt wurden: Inalco (1 Professur; 5 Maîtrise de Conférences), Paris 3 (2 Professuren, 2 Maîtrises de Conférences), Straßburg (1 Professur), Lyon 3 (1 Professur), Lille 3 (1 Maîtrise de Conférences) und Aix-Marseille (1 Maîtrise de Conférences). In den letzten zehn Jahren ist das Fach an zwei Universitäten Streichungen zum Opfer gefallen. So wurde die mehr als 100 Jahre alte und traditionsreiche Professur in Straßburg 2009 gestrichen und die Stelle in Lille 3 2018 nicht wiederbesetzt. An jenen Universitäten, an denen die Indologie überlebte, ist die Lage aus verschiedenen Gründen problematisch. Zum einen werden nicht realistische Studierendenquoten für die Bachelor- und Masterstudiengänge verlangt. Zum anderen wird das Fach in die Peripherie der nationalen Diplome zurückgedrängt, da es teilweise nur als Wahlfach mit wenigen Credit Points belegt werden kann oder nur zur Erlangung lokaler Diplome führt, welche teurer als die regulären Bachelorprogramme und ohne nationale Anerkennung sind. Zudem erfolgt der Auf- und Abbau an den einzelnen Standorten ohne frankreichweite Koordination je nach der strategischen Orientierung der Universitäts- und Fakultätsleitungen. Daher ist die Lage der Indologie in Frankreich insgesamt als bedrohlich einzustufen.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus?

Die große Universitätsstadt Lyon hat den Vorteil, zentral in Frankreich zu liegen und von der geographischen Nähe zu Nachbarländern wie Deutschland, der Schweiz oder Italien zu profitieren. Dies kommt dem Aufbau von Forschungsnetzwerken sehr zugute. Zudem wurde die sprachwissenschaftliche Fakultät von Lyon als Zentrum für "seltene" Sprachen gewählt. Während im Jahr 2000 noch 30 verschiedene Sprachen gelehrt wurden, hat sich die Zahl bis heute allerdings auf 15 verringert. Zugleich gilt es zu berücksichtigen, dass das Profil der Universität Lyon 3 stark auf die Fächer Jura und Betriebswirtschaftslehre ausgerichtet ist. Vor diesem Hintergrund besteht leider immer die Gefahr, dass ein Fach wie Indologie mit nur einer einzigen Professur in den strategischen Überlegungen der Universitätsleitung keine Berücksichtigung findet. Dies zeigte sich beispielsweise in den letzten zwei Jahren. Im Jahr 2017 wurde der Masterstudiengang für Indologie geschlossen, so dass die Indologie in Lyon kein eigenes Diplom mehr besitzt. In den vorangegangenen Jahren (2013 bis 2017) war dank einer Kooperation mit der Universität Lausanne und der Ecole Française d'Extrême-Orient noch die Möglichkeit gegeben, Indologie als Profilschwerpunkt innerhalb eines Masterstudiengangs zu belegen. Die Zahl der Doktorandinnen und Doktoranden war in der Folge unmittelbar gestiegen. Vier von ihnen werden von mir jetzt noch betreut. Nach der Schließung des Masterstudiengangs verfügt die Indologie jedoch über kein eigenes Diplom mehr. Auf Bachelorebene ist das Fach Indologie (Kultur und Sprache) nur noch als Vertiefungsoption innerhalb der Hauptfächer "Sprachen" oder "Philosophie" vertreten und konkurriert mit 17 anderen Wahlmöglichkeiten um die Studierenden. Dies hat zur Folge, dass letztlich nur weniger als 1 % der Studierenden das Fach Indologie wählen. Darüber hinaus gibt es Indologie-Kurse, die mit einem lokalen Diplom abgeschlossen werden können. Diese kosten jedoch mehr als ein ganzes Bachelorprogramm. Insgesamt muss daher festgehalten werden, dass der Abbau des Masterprogramms sowie die schlechten Bedingungen im Bachelorprogramm zu einem drastischen Rückgang der Studierendenzahlen geführt haben und sich das Fach in Lyon damit immer weiter auflöst.

3. Welche Relevanz hat das Fach Indologie für die französische Öffentlichkeit und innerhalb des französischen Hochschulsystems?

Meines Erachtens ist es unbedingt erforderlich, das Bewusstsein im öffentlichen Raum zu schaffen, dass ein Lehrangebot über den indischen Subkontinent eine hohe Relevanz besitzt, da Indien über eine wissenschaftliche, politische und ökonomische Stellung von Weltrang verfügt. Es ist auch wesentlich sich bewusst zu machen, dass Kenntnisse über die Sprachen und Kulturen Indiens ein entscheidender Schlüssel für eine erfolgreiche Kooperation mit diesem Land sind. Dabei sollte auch das sogenannte klassische Indien nicht vergessen werden, da Traditionen immer noch ein starkes Identitätsmerkmal des Landes sind. Akademische Kenntnisse in diesem Bereich werden als Zeichen des Respekts wahrgenommen und steigern den Erfolg von Kooperationen. Das Studium der Geschichte Indiens trägt zudem wesentlich zum Verstehen gegenwärtiger gesellschaftlicher Veränderungen des Landes bei. Was das französische Hochschulsystem betrifft, so leidet das Fach Indologie darunter, dass es nur unzureichend in das Fächerspektrum der einzelnen Universitäten integriert und in der Regel nicht als eigenständige Disziplin vertreten ist. Für die Entwicklung dieses riesigen Fachs wäre es jedoch wesentlich, zum einen über mehr nationale Abschlüsse (Bachelor, Master, Promotion) zu verfügen. Zum anderen müssten die Teilbereiche bzw. Spezialisierungen innerhalb der einzelnen Standorte, an denen Indologie als eigenes Fach oder in Kombination mit anderen Fächern unterrichtet wird, klarer definiert und aufeinander abgestimmt werden, so dass sie sich gegenseitig ergänzen und gemeinsam die Breite des Fachs repräsentieren.

4. Inwiefern ist eine Vernetzung der Indologie mit anderen Fächern auf Studienebene wünschenswert? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Die Verbindung der Indologie mit anderen Fächern (beispielsweise die Verbindung von Indologie und Englisch oder von Indologie und Anthropologie etc.) ist für die Studierenden insofern nützlich, als auf diese Weise eine Vorbereitung auf unterschiedliche Berufsfelder stattfindet. Da das Fach aber auch eine große thematische Breite besitzt und der indische Subkontinent einen sich schnell wandelnden Fachgegenstand darstellt, ist es ebenso wünschenswert, Studiengänge anzubieten, die eine ausschließliche Fokussierung auf die Fachinhalte ermöglichen. Zu diesem Zweck ist es erforderlich Institute zu schaffen, an welchen nationale Fachstudiengänge zur klassischen oder modernen Indologie absolviert werden können. Nur so lässt sich die Expertise in beispielsweise klassischer Indologie, die ein Aushängeschild französischer Forschung ist und international hohe Anerkennung genießt (insbesondere in den Bereichen Buddhismus, Jainismus, Shivaismus und Theaterstudien), auch an künftige Generationen weitergeben. Vor diesem Hintergrund sind verschiedene Kooperationsformen denkbar, welche die Sichtbarkeit und Stärke der Indologie in Bachelor- und Masterprogrammen erhöhen. Mögliche Optionen wären hier sowohl gemeinsame Studienprogramme sowie Doppelabschlüsse mit deutschen Universitäten als auch die Einrichtung von Zentren, an denen Kurse zu unterschiedlichen Aspekten Indiens kombiniert werden können.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Eine der größten Herausforderungen für die Indologie liegt im Erhalt des Fachs und der Fachinhalte selbst. Ohne unmittelbare Reaktion des Hochschulministeriums und ohne nationale Diplome wird die Indologie aus der französischen Universitätslandschaft verschwinden. Für eine besondere Disziplin sind besondere Mittel und Wege notwendig. Unter anderem ist es erforderlich Schutzprogramme auf nationaler Ebene einzurichten und die Entwicklung der Indologie an französischen Universitäten sichtbar zu machen. Ferner müsste die geforderte Relation von Studierenden und Professuren an die besondere Situation kleiner Fächer angepasst (- dies gilt insbesondere für Fachstandorte mit nur einer Professur -), spezifische Promotionsverträge sowie Stipendien eingerichtet und das Finanzbudget für den Erwerb von Büchern, die Nutzung von Datenbanken sowie die Durchführung der Forschungsprojekte (bspw. mit Blick auf die Herausgabe von Handschriften oder die internationale Vernetzung) deutlich erhöht werden.

Christine Chojnacki habilitierte 2002 an der Université Sorbonne Nouvelle - Paris 3 -. Seit 2006 ist sie Professorin für indische Sprachen und Kulturen an der Universität Lyon 3 in Frankreich. Den Prakrit Jnanabharati International Award erhielt sie 2013 für das Studium und die Übersetzung des Kuvalayamālā (Jainistischer Roman, 779 n. Chr.).