Jereruk (ehem. Kirchengebäude) Ende 5./6. Jhd. in der nordarmenischen Provinz Schirak (Quelle: Ute Verstegen, 2018)

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

In unserem Fach sagt man gerne: "Es gibt so viele Christliche Archäologien wie Christliche Archäologinnen und Archäologen." Dies liegt daran, dass wir nur so wenige Fachvertreter/innen sind, dass jeder Standort unweigerlich durch die fachliche Spezialisierung der einzelnen Person geprägt ist. Es zeigt sich auch dadurch, dass ganz verschiedene Fachdenominationen in der deutschen Hochschullandschaft existieren wie "(Früh-)Christliche Archäologie", "Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte", "Byzantinische Archäologie und Kunstgeschichte", "Spätantike und Byzantinische Kunst" usw. und dass das Fach an den verschiedenen Orten Bestandteil unterschiedlicher Studiengänge sein kann, also eher eine Anbindung an die Archäologien, an die Kunstgeschichte oder die Theologie besitzen kann. Im Kern beschäftigen sich alle Fachvertreter/innen mit den materiellen Hinterlassenschaften des Frühen Christentums und berücksichtigen hierbei auch die kulturellen Kontexte frühchristlicher Lebenswelten, also Zeugnisse, die mit anderen religiösen Haltungen zu verbinden sind oder auch gar keine religiöse Konnotation besitzen. In den Blick genommen werden alle kunsthistorischen Denkmälergattungen wie Architektur, Skulptur/Plastik, Mosaike, Malerei, Keramik, Textilien und Kleinkunst ebenso wie archäologische Befunde und Funde. Eng gefasst kann das chronologisch und geographisch eine Konzentration auf das Römische Reich und den Mittelmeerraum in einem Zeitraum etwa vom 3. bis 8. Jahrhundert bedeuten (ältere materielle Zeugnisse des Christentums kennen wir bislang nicht), weit gefasst die Ausbreitungsgebiete des Frühen Christentums über den euromediterranen Raum hinaus oder auch zeitlich bis zum 'Nachleben' von Byzanz nach dem endgültigen Fall des Byzantinischen Reiches im 15. Jahrhundert. Durch die weite Perspektive bietet sich die Möglichkeit, kultur- und religionsgeschichtliche Phänomene über größere Zeiträume und geographische Regionen hinweg zu verfolgen. Ein solcher weiter Ansatz wird traditionell beispielsweise an meinem Erlanger Lehrstuhl gepflegt.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

An einer Universität wie der FAU, die zwar als Volluniversität firmiert, in der Öffentlichkeit aber klar als Hochschule mit einem technisch-naturwissenschaftlichen Profil und einer starken Medizin wahrgenommen wird, ist es schwierig, als geisteswissenschaftliches Fach intern wie extern Aufmerksamkeit zu generieren. Dies birgt zwar grundsätzlich Probleme, bei Anschlussfähigkeit an das Gesamtprofil und an übergeordnete Forschungsschwerpunkte eröffnen sich aber auch zuvor ungeahnte Möglichkeiten für ein kleines Fach wie die Christliche Archäologie. An der FAU haben wir beispielsweise das Glück, in der Mustererkennung, (Graphischen) Datenverarbeitung, aber auch Künstlichen Intelligenz herausragende informatische Kollegen zu besitzen, die offen für bildwissenschaftliche und archäologische Fragestellungen und für Projektkooperationen sind. Als nur einer von zwei Fachstandorten deutschlandweit ist die Christliche Archäologie in Erlangen organisatorisch noch immer in ihrem wissenschaftshistorisch bedingten, angestammten Fachbereich, der (Evangelischen) Theologie verankert. Dies führt durch den engen Kontakt zu den Dozierenden und Studierenden der Theologie zu einem etwas veränderten Lehr- und Forschungsspektrum als an anderen Standorten und sichert (zumindest noch) durch den Staatskirchenvertrag in Bayern die Weiterexistenz des Fachs jenseits hochschulpolitischer Ausbauplanungen und KW-Vermerke. Wie überall kämpfen auch wir mit sehr niedrigen Mittelzuweisungen und fehlender Personalausstattung. Die geringe Mittelzuweisung lässt sich nur schwer durch Forschungsstärke und Drittmitteleinwerbungen kompensieren. Der Überlastung des Lehrpersonals versuchen wir aktuell im Projekt "CA 2.x" durch die Entwicklung neuer, videobasierter Lehrformate und der Umstellung einzelner propädeutischer Veranstaltungen mit hohem Studierendenaufkommen auf die Methodik des inverted classroom zu begegnen. Auch hierbei haben wir das Glück, innerhalb der FAU freundliche "Amtshilfe" und Unterstützung mehrerer Einrichtungen zu erhalten. Unserem Rechenzentrum deutlich zu machen, weshalb in einer Philosophischen Fakultät/Fachbereich Theologie eine Rechnerausstattung jenseits der Grundversorgung benötigt wird, hat allerdings einige Überzeugungsarbeit gekostet.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Das Fach Christliche Archäologie ist in der deutschen Hochschullandschaft an zehn Standorten präsent, davon noch mit neun Professuren. Leider verlieren wir immer wieder Professuren an traditionsreichen Standorten, zuletzt in Greifswald und Münster. Auf diese Weise geht die Expertise in altertums-, kultur- und religionswissenschaftlichen wie theologischen Diskursen verloren, da sie zwar in Teilen, aber nie in vollem Umfang durch angrenzende Wissenschaftsdisziplinen ersetzt werden kann. Ist die Christliche Archäologie als Fach noch vorhanden, ist sie in Forschungs- und Lehrverbünden ein gefragter Partner. Der Denominationsbestandteil "christlich" führt gelegentlich unter Studierenden, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu Fehleinschätzungen über die Fachausrichtung bis hin zu offenen Ablehnungsbekundungen. Daher kommt unter den Fachvertreter/innen in relativer Regelmäßigkeit immer wieder die Diskussion über eine andere Fachbezeichnung auf. Im Rahmen der Lehrpläne des schulischen Geschichts- oder Religionsunterrichts kommen relevante Inhalte im Zusammenhang mit der Thematisierung des Römischen Reichs und des Frühmittelalters respektive der Erklärung christlicher Bildthemen und -motive vor, ohne dass das Fach als Disziplin benannt würde. Als herausragende Sammlung ist das Museum für Spätantike und Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin zu nennen, das in jüngerer Zeit allerdings mit der Skulpturensammlung fusioniert wurde und keine eigene, aus dem Fach kommende Direktion mehr besitzt. Für die öffentliche Wahrnehmung eines Fachs können sich solche Prozesse durchaus negativ auswirken. Eine deutlich benennbare Schwierigkeit liegt nicht zuletzt in den disziplinär orientierten Förderstrukturen der DFG, in denen das Fach nicht verankert ist. Unsere Fachgesellschaft, die Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie (AGCA), ist zwar vorschlagsberechtigt für ein Fachkollegium, in Konkurrenz zu den größeren Nachbarfächern haben vorgeschlagene Kandidaten/-innen aber keine reelle Chance, in ein Gremium zu gelangen.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Ja, die Vernetzungsmöglichkeiten sind hoch, und ich schätze sie als außerordentlich positiv und konstitutiv für den Weiterbestand des Fachs ein. Da die Christliche Archäologie sowohl geographisch als auch chronologisch eine Schnittstellenposition zwischen anderen Fächern einnimmt, sind die Anknüpfungsmöglichkeiten im Bereich von Verbünden, die Fragestellungen im zeitlichen Längsschnitt bearbeiten (z. B. in Kombination mit verschiedenen Geschichtswissenschaften, Klassischer Archäologie, Provinzialrömischer Archäologie, Kunstgeschichte, Mittelalterarchäologie), aber auch im Rahmen von Area Studies (z. B. im Nahen Osten) sehr hoch. Die Christliche Archäologie ist durch ihre Fachgegenstände außerdem natürlich ein geeigneter Diskussionspartner bei theologischen und religionswissenschaftlichen Themen. Für besonders sinnvoll halte ich Verbünde, die gemeinsam Fragestellungen aus historischer sowie aus systematischer Perspektive bearbeiten, das kann unser Fach auch methodisch voranbringen. Innerhalb der Hochschule wird dies durch multidisziplinär ausgerichtete Studiengänge oder durch die Zusammenarbeit in interdisziplinären Zentren, teilweise auch organisatorisch in den Departmentstrukturen realisiert. Im Rahmen größerer Projektvorhaben ist dabei auch die Möglichkeit universitätsübergreifender Kooperation wichtig, um fachliche Expertisen zusammenzuführen. Durch die Beschäftigung mit Zeugnissen des Kulturellen Erbes sind hierbei für uns auch Forschungs- und Lehrkooperationen mit nationalen und internationalen außeruniversitären Einrichtungen wie Museen, staatlichen und kirchlichen Denkmalbehörden und Archiven, sowie natürlich mit den wissenschaftlichen Auslandsinstituten wichtig. Dazu gehören beispielsweise die Außenstellen des Deutschen Archäologischen Instituts, das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem/Amman oder die Bibliotheca Hertziana/MPI für Kunstgeschichte in Rom. Ein grundsätzliches Plus der meisten Archäologien ist zudem ihre Kompetenzenausbildung sowohl in geisteswissenschaftlichen als auch in naturwissenschaftlichen Bereichen. Dies macht uns sprachfähig für die Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Fächern oder auch der Informatik. In Erlangen haben wir beispielsweise gerade ein gemeinsames Forschungsprojekt im Bereich der Pattern recognition mit den Kollegen/-innen der Informatik, Digitalen Kunstgeschichte und Klassischen Archäologie begonnen. Wir engagieren uns mit ihnen und einigen anderen Kollegen/-innen auch in einem BA/MA-Studiengang zu den Digitalen Geistes- und Sozialwissenschaften. Im akademischen Alltag bedeuten diese vielen Anknüpfungspunkte an andere Disziplinen allerdings auch, dass man manchmal gar nicht alle Kooperationsanfragen im Bereich von gemeinsamer Forschung und Lehre, die an einen herangetragen werden, bewältigen kann.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

Eine der größten Herausforderungen liegt im Erhalt des Fachs und der Fachinhalte selbst. Dies betrifft einerseits die Kulturdenkmäler als Fachgegenstände, die durch politische Instabilität in den Herkunftsregionen, Raubgrabungen und illegalen Antikenhandel bedroht sind. Andererseits gilt es auch, das Fach überhaupt weiter in der deutschen Hochschullandschaft zu halten. Zwar wird christlich-archäologische Expertise aktuell in Forschungsverbünden und auch im Zusammenhang mit dem Kulturerbeerhalt in den Krisenregionen des Nahen Ostens durchaus nachgefragt, als aktuelle Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie (AGCA) muss ich jedoch sagen, dass es tatsächlich mühsam ist, die dem Fach zugeordneten Stellen deutschlandweit bei fast jedem Freiwerden einer Professur im Stellenplan zu verteidigen. Denn das Wegstreichen unserer Einzelprofessuren fällt vergleichsweise leicht, es sei denn, das Fach ist entweder in der theologischen Ausbildung oder in mehreren Studiengängen fest verankert und wird von den fachnahen Kollegen/-innen vor Ort als wichtiger Partner erachtet. Kollegen/-innen und Studierenden muss daher von den Stelleninhabern/-innen die Relevanz und die Anschlussfähigkeit des Fachs in Forschung und Lehre permanent aktiv vor Augen geführt werden. Im Rahmen der Bologna-Reform hat das Fach durch die Beteiligung an Verbundstudiengängen sehr profitiert und an Bekanntheit gewonnen. Studierende lernen uns kennen, die früher durch das Adjektiv "christlich" abgeschreckt waren. Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass das Interesse der Studierenden an kulturbezogenen Fächern zurückzugehen scheint, was dem allgemeinen Klima und der Förderpolitik in Deutschland entspricht. Hier liegt die Herausforderung in der (internationalen) Akquise geeigneter Studierender. Als ein Fach, dessen Forschungsgegenstände sich in der Regel in Gebieten rund um den Mittelmeerraum bis nach Zentralasien oder in Museen in aller Welt befinden, liegt eine weitere Herausforderung immer in der räumlichen Distanz. Digitale Technologien wie Virtual und Augmented Reality können einen Beitrag dazu leisten, visuelle digitale Repräsentationen der Forschungsgegenstände zu schaffen und die Forschung und Lehre am Objekt oder Befund aus der Distanz zu erleichtern. Da es nur in Ausnahmefällen möglich ist, als eine einzelne Lehrperson alle dafür notwendigen fachlichen und informatischen Kompetenzen zu vereinen, ist die Einrichtung von Verbünden im Bereich der Visual Digital Humanities sinnvoll, wie wir sie in Erlangen zu etablieren versuchen.

Ute Verstegen ist seit dem Wintersemester 2016/17 Inhaberin des Lehrstuhls für Christliche Archäologie der FAU Erlangen-Nürnberg. Derzeit ist sie unter anderem Erste Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christliche Archäologie zur Erforschung spätantiker, frühmittelalterlicher und byzantinischer Kultur (www.agca.de). Von 2013 bis 2016 war sie Professorin für Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte an der Philipps-Universität Marburg, sowie Mitglied im Marburger Centrum Antike Welt (MCAW). Weitere Infos finden sich auf der Institutsseite der Christlichen Archäologie der FAU Erlangen-Nürnberg.