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Die Buchwissenschaft zählt mit fünf Standorten und sieben Professuren an deutschen staatlichen Universitäten zu den sogenannten kleinen Fächern. An weiteren Hochschultypen, die im Sommer 2021 in die Kartierung aufgenommen wurden, ist das Fach mit zwei Professuren an einem Standort vertreten. Ernst-Peter Biesalski hat an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig die Professur für Buchhandel/Verlagswirtschaft inne.

Bitte stellen Sie uns Ihr Fach, die Buchwissenschaft, in wenigen Sätzen vor.

Die Buchwissenschaft ist im traditionellen Verständnis eine historisch grundierte Wissenschaft, die sich mit der Herstellung, Verbreitung und Rezeption des Buches - als ein physisches Produkt - in seiner Entwicklung und seiner Bedeutung für Kultur und Gesellschaft befasst. In einem neueren Verständnis, das sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet und im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung immer wieder neu diskutiert wurde und wird, ist die Buchwissenschaft als Teil der Medienwissenschaft sehr viel weiter zu verstehen, so dass heute von einem erweiterten, auch nichtphysische Formate umfassenden Buchbegriff ausgegangen wird und etwa Aspekte der Medienkonvergenz stärkere Beachtung finden.[1]

Der an der Fakultät Informatik und Medien der HTWK Leipzig angesiedelte Bachelorstudiengang Buch- und Medienwirtschaft sowie der darauf aufbauenden Masterstudiengang Publishing Management sind den buchwissenschaftlichen Fächern zuzurechnen. Sie sind charakterisiert durch die Wirtschafts-, Medien- und Kulturwissenschaften als Referenzwissenschaften. Das auf diesen Referenzwissenschaften basierende Grundkonzept sieht eine Verbindung des vorrangig betriebswirtschaftlichen Schwerpunktes mit medien- bzw. buch- und kulturwissenschaftlichen Betrachtungsweisen vor. Durch die Anwendungsorientierung an der Buch- und Pressebranche ergibt sich zwangsläufig eine kombinatorische Wissenschaft. Dabei unterscheiden sich Bachelor- wie Masterstudiengang von anderen ähnlich ausgerichteten Angeboten an Universitäten und Hochschulen durch ihre eindeutige betriebswirtschaftliche Orientierung. Diese manifestiert sich in Fächern wie Medienmarketing, Controlling, Content Management und digitale Geschäftsmodelle, Unternehmensgründung und -führung etc. - zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Buch- und Medienbranche. Ebenfalls einmalig ist die Einbeziehung des herstellenden und des verbreitenden Buch- und Pressehandels sowie der eindeutig branchenbezogene Ansatz gegenüber den häufig nur fachbezogenen Ansätzen anderer Studiengänge.

Sofern bekannt: Seit wann gibt es Ihr Fach an außeruniversitären Hochschulstandorten? Bitte skizzieren Sie den Hintergrund der Etablierung des Fachs an Ihrer Hochschule (oder an Hochschulen deutschlandweit).

Die Anfänge der praxisorientieren Hochschulausbildung für die Buchbranche gehen auf das Jahr 1977 zurück, in dem die Fachhochschule für Druck in Stuttgart (heute: Hochschule der Medien) einen Studiengang "Verlagswirtschaft und Verlagsherstellung" einrichtete. Dieses Studienangebot existiert bis heute, jetzt allerdings unter dem Namen "Mediapublishing".

Als Anfang der 90er Jahre in Leipzig über ein neues Fachhochschulstudium für die Buch- und Medienbranche diskutiert wurde, zeigte sich, dass ein ausdrücklich betriebswirtschaftlich orientiertes Studium für alle Sparten der Buchwirtschaft und daran angrenzende Bereiche der Kultur- und Medienwirtschaft fehlte.

Für den aus diesen Überlegungen hervorgegangenen Studiengang "Buchhandel/Verlagswirtschaft" wurde erstmals im Wintersemester 1992/93 an der vom Freistaat Sachsen neu gegründeten Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig "HTWK Leipzig" immatrikuliert. Vorausgegangen waren intensive Gespräche mit Kollegen anderer, ähnlich ausgerichteter Studienangebote aber darüber hinaus insbesondere mit Berufspraktikern, die auch an der Entwicklung des Curriculums beteiligt waren. So wurde ein Studienangebot entwickelt, das berufsqualifizierend war und ist für verantwortliche Tätigkeiten in der Buch- und Medienwirtschaft. Diese Fachrichtung wurde in enger Abstimmung mit Berufspraktikern aus allen Bereichen der Branche seither kontinuierlich weiter entwickelt, so dass Studieninteressierte heute den Bachelorstudiengang "Buch und Medienwirtschaft" und den darauf aufbauenden Masterstudiengang "Publishing Management" studieren können.

Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

Heute ist Leipzig eine dynamische Stadt mit einem sehr lebhaften kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld, das sehr gute Rahmenbedingungen für die Studienrichtung schafft. Die Bedeutung Leipzigs als Buchstadt mit einer Vielzahl von Verlagen und Buchhandlungen endete zwar mit dem Jahr 1945 - sie lebt jedoch fort durch die Leipziger Buchmesse und das damit verknüpfte Lesefestival "Leipzig liest". Beides hat große Bedeutung für den Studiengang - hier haben sich über Jahre ein kontinuierlicher Austausch und viele gemeinsame Aktivitäten entwickelt. Die Zusammenarbeit mit Verlagen und Buchhandelsunternehmen in Leipzig aber auch deutlich über die Region hinaus ist sehr gut, ebenso mit dem buchhändlerischen Landesverband. Darüber hinaus bietet der in Leipzig ansässige MDR sowie eine Vielzahl von kleinen Unternehmen der Kreativwirtschaft und Institutionen (Museen, Bibliotheken) Anknüpfungspunkte für Kooperationen oder gemeinsame Forschungsvorhaben, die sich i.d.R. an aktuellen Fragestellungen und Problemen orientieren.

Welche Unterschiede bestehen hinsichtlich Ihres Fachs zwischen staatlichen Universitäten und weiteren Hochschulstandorten? (Ausrichtung im Bereich Studium und Lehre, hinsichtlich Forschung etc.) Wo sehen Sie ggf. Vor- oder Nachteile der Verortung an Hochschulen bzw. staatlichen Universitäten?

Die Einführung eines neuen Hochschultyps, der sog. "Fachhochschule" (heute "Hochschule der angewandten Wissenschaften") vor ca. 50 Jahren beruhte auf der Erkenntnis, dass der Bedarf an wissenschaftlich-anwendungsorientiert ausgebildeten jungen Menschen sowie die Nachfrage nach differenzierten Ausbildungsprofilen stetig zunahm und auch weiterhin zunehmen würde. Dies geschah in bewusster Abgrenzung zu den Universitäten, die mit ihren stark theoriebasierten Studiengängen explizit nicht für bestimmte Berufsfelder qualifizierten - was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Die Hochschulen der angewandten Wissenschaften waren und sind daher mit ihren Studienangeboten eine gewollte Alternative und zugleich Ergänzung zu den Universitäten.

Das trifft auf viele Studienrichtungen zu, ebenso wie für die Buchwissenschaft. Allerdings muss hier bemerkt werden, dass die Abgrenzung zwischen den Studienangeboten der Universitäten und Hochschulen mittlerweile weit weniger stark ausgeprägt ist. Ursachen dafür sind einerseits die stärkeren Bemühungen der Hochschulen im Bereich der (anwendungsorientierten) Forschung, andererseits aber besonders der zunehmende Anwendungsbezug der buchwissenschaftlichen Studiengänge an Universitäten - eine Entwicklung die sich seit der "Bologna-Reform" und der verbindlichen Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen verstärkt hat und politisch wohl auch gewollt ist. Es darf vermutet werden, dass diese stärkere Anwendungsorientierung die Attraktivität der Studiengänge für Studieninteressierte erhöhen soll. Denn gegenüber den universitären Absolvent*innen gelingt es jenen der Hochschulen i.d.R. problemlos einen Berufseinstieg in der Branche zu finden - was sich auf die Bewerberzahlen auswirkt.

Kennzeichnend für das Studium Buch und Medienwirtschaft an der HTWK ist also die betonte Anwendungsorientierung, analog den jeweiligen Berufsfeldern in Verlagen, Handelsunternehmen und anderen Unternehmen der Medienwirtschaft. Der Anteil an praktischen Übungen, Projektarbeiten usw. ist entsprechend hoch und orientiert sich an Aufgaben und Fragestellungen aus der Praxis. So werden in Kooperation mit Fach- wie Publikumsverlagen, Buchhandlungen oder auch Start-ups der Branche aktuelle Entwicklungen und Probleme diskutiert und in Kleingruppen bearbeitet, ebenso jedoch ganz akute Fragen einzelner Kooperationspartner einer Lösung zugeführt. Dadurch erhalten die Studierenden nicht nur einen Einblick in die spezifischen Fragestellungen der Branche, sondern lernen diese zu analysieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Einer vertieften Auseinandersetzung mit branchentypischen Problemstellungen und dem Umgang damit im beruflichen Kontext dient auch ein mehrmonatiges Praktikum. Dieses ist verbindlicher Bestandteil des Studiums und wird mit einem Kolloquium vor- und nachbereitet.

Orientiert an den dynamischen Entwicklungen der Buch- und Medienbranche finden im Bachelor- wie im Masterstudiengang aktuelle und längerfristige Entwicklungen ihren Niederschlag. Dabei steht wie o.a. das Buch im Mittelpunkt, aber natürlich auch die Digitalisierung in Produkt, Produktion, Vertrieb, Kommunikation etc. Dieser aktuelle und anwendungsorientierte Ansatz der Studienrichtung macht sie nicht nur attraktiv für Unternehmen der Medienwirtschaft, sondern sorgt seit vielen Jahren für eine anhaltend hohe Nachfrage nach Studienplätzen aus der gesamten Bundesrepublik und darüber hinaus.

Der Bachelorstudiengang ist auf maximal 45 Studierende ausgelegt, also zulassungsbeschränkt. Ebenso der Masterstudiengang, für den sich 20 Studierende einschreiben können. So kann eine intensive Lehrvermittlung in kleinen Gruppen stattfinden. Die geringe Gruppengröße ist eine wichtige Voraussetzung, um eine qualifizierte Hochschulausbildung in der vorgegebenen Zeit (Bachelorabschluss nach sechs Semestern, Master nach weiteren vier Semestern) nach Curriculum zu ermöglichen. Das bedeutet für die Studierenden aber auch ein intensives Studium durch Vorlesungen, Übungen und Seminare.

Welche Kooperationen bestehen? Welche Rolle spielen dabei Standorte Ihres Fachs an Universitäten?

Kooperationen, langfristig, aber auch temporär, sind Grundlage für die bereits angesprochene Anwendungsorientierung des Bachelor- wie auch des Masterstudiengangs. Hierzu gehören Publikums- wie Fachverlage, Handelsunternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen, ebenso auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels oder die Messegesellschaften in Frankfurt und Leipzig. Aber auch zwischen den buchwissenschaftlichen Studiengängen bestehen Kooperationen. So existiert ein Gemeinschaftsstand aller deutschen Studienangebote mit dem Namen "Studium rund ums Buch" in Frankfurt und Leipzig, wo dieser von einer Projektgruppe des Studiengangs Buch- und Medienwirtschaft der HTWK Leipzig geplant und organisiert wird. Neben der gemeinsamen Messeteilnahme stehen die Studiengänge an Universitäten und Hochschulen in einem stetigen Austausch. Hier trägt die Kleinheit des Faches dazu bei, dass man sich mehr als Gemeinschaft denn als Konkurrenz begreift.

Welche Bedeutung haben außeruniversitäre (Forschungs-)Einrichtungen / Institute für Ihr Fach?

Außeruniversitäre Institute und Einrichtungen sind wichtige Kooperationspartner (s.o.) oder tragen mit ihrer Forschung und Publikationen wichtige Inhalte zum Studium bei, die vielfach Basis für weitere Forschungen sind. Zu nennen wären hier beispielhaft die Stiftung Lesen, die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) oder auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels mit seinen Studien zum Buchmarkt.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Professuren und Fachstandorte der Buchwissenschaft an deutschen Universitäten kaum verändert. Wie beurteilen Sie die Situation Ihres Faches an Hochschulen? (Befindet es sich eher im Aufschwung oder sieht es sich mit einem Rückgang etwa an Studierenden, Professuren oder gar Standorten konfrontiert?)

Die Buchwissenschaft ist ein kleines Fach in der deutschen Hochschullandschaft, die Zahl der Professuren ist weitgehend konstant. Was sich jedoch verändert hat ist die Zahl der Studierenden, die in den vergangenen 20 Jahren deutlich gewachsen ist, da das Fach im universitären Bereich gerne auch als Beifach gewählt wird. Die Buchwissenschaft hat dadurch, nach meinem Eindruck, ihren "Orchideenstatus" verloren. Ihre Attraktivität für Studieninteressierte wird möglicherweise durch die Bezeichnung "Buchwissenschaft" eingeschränkt, da der Begriff das gesamte Forschungsgebiet und dessen Aktualität nur noch unzureichend widerspiegelt. Das hat an vielen Hochschulstandorten zu einer Neubenennung von Studienangeboten geführt, die diese Studieninhalte stärker kommunizieren. Auch in Leipzig wurde 2019 der Bachelorstudiengang Buchhandel/ Verlagswirtschaft in Buch- und Medienwirtschaft und der Masterstudiengang Verlags- und Handelsmanagement in Publishing Management umbenannt. Dem liegt eine vorangehende Befragung von Studieninteressierten zugrunde, welche die neuen Bezeichnungen als deutlich attraktiver und moderner empfanden.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab? Was wäre Ihres Erachtens für eine positive Entwicklung Ihres Fachs hilfreich?

So wie ich eine Zukunft für das Buch sehe, so sehe ich auch eine Zukunft für die Buchwissenschaft. Eine Wissenschaft, die im Austausch mit anderen - etwa den Sozialwissenschaften - die kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Buches in der Vergangenheit aber vor allem auch in der Gegenwart erforscht, Fragen stellt und Antworten geben kann. Eine Disziplin, die die besondere Rolle des Buches in unserer Kultur berücksichtigt und diese in einen aktuellen Bezugsrahmen einordnet. Wozu auch die Digitalisierung und deren Auswirkung auf unsere Schriftkultur gehört. Darüber hinaus eine Wissenschaft, die Studierende in die Lage versetzt sich innerhalb dieses aktuellen Bezugsrahmens zu orientieren und eine berufliche Zukunft in Unternehmen zu finden, die Inhalte auswählen, aufbereiten und publizieren, d.h. der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. In welcher Form auch immer.

[1] Ursula Rautenberg (Hrsg.): Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. De Gruyter 2009

Ernst-Peter Biesalski (Aufnahme privat)

Ernst-Peter Biesalski bekleidet seit 1997 die Professur für Buchhandel/Verlagswirtschaft an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. In Lehre und Forschung beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen der Buchbranche und Auswirkungen der Digitalisierung, aber auch mit historischen Themen insbesondere der Buchgestaltung und ihrer Transformation. Weitere Informationen