Studierende und Doktoranden des Studiengangs Umweltverfahrenstechnik und Recycling im Institut für Aufbereitung an der TU Clausthal

1. Ihr Fach gehört zu den sogenannten kleinen Fächern. Bitte stellen Sie uns Ihr Fach in wenigen Sätzen vor.

Ende der 1960iger Jahre beschleunigte sich mit dem politischen Umbruch in der westlichen Welt auch die Entwicklung des Umweltbewusstseins sowie das Bewusstsein über die Endlichkeit der Ressourcen. Umwelthistoriker benennen das Jahr 1970 als das Jahr (den Beginn) der "ökologischen Revolution" (1). Die Abfallwirtschaft rückte in diesem Kontext spätestens mit der Verabschiedung des ersten deutschen Abfallgesetzes 1972 in den Blick der Öffentlichkeit. Ausgehend hiervon entwickelte sich die Abfallwirtschaft auch als Studienfach. Standen am Anfang noch Fragen einer schadlosen Entsorgung von Abfällen im Vordergrund, wandelte sich die Perspektive spätestens mit der Verabschiedung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes im Jahre 1996, seit 2012 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), mehr und mehr in den Bereich Ressourcenschonung und -rückgewinnung. Die aktuelle Novelle des KrWG von 2020 und das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ProgRess haben zu einer Weiterentwicklung von der Abfall- über die Kreislauf- zur Sekundärrohstoffwirtschaft beigetragen. Hier kommt nun die jüngere Schwester der Abfallwirtschaft, die Recyclingtechnik ins Spiel. Diese hat ihre Wurzeln im Bereich der Rohstoffaufbereitung und der Verfahrenstechnik. Mit zunehmender Komplexität von Abfallströmen und dem vermehrten Wunsch, die dort verborgenen Wertstoffe zurückzugewinnen steigt die Bedeutung dieses Zweiges. Im Hinblick auf die, über die klassische Kreislaufwirtschaft hinausgehende "Circular Economy" - hierfür gibt es noch keine allgemein akzeptierte deutsche Formulierung - treten Fragen zur Digitalisierung des Gesamtsystems sowie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle hinzu. Und nicht nur das, im Hinblick auf die dringend erforderliche Weiterentwicklung einer "Circular Society" nimmt auch die Bedeutung sozialwissenschaftlicher Aspekte zu. Insofern ist zu konstatieren, dass sich auch die Studiengänge und die sie betreuenden Hochschulinstitute zunehmend interdisziplinär ausrichten, da ingenieurwissenschaftliche, IT-basierte sowie ökonomische und ökologische Kompetenzen verbunden werden müssen. Das Feld der Circular Economy wächst rasant, der Arbeitsmarkt dabei schneller als die Kapazitäten im Bereich der Ausbildung. Auf Grund der Breite der Herausforderungen differenziert sich auch das Studienangebot von der Abfallwirtschaft über das Umweltingenieurwesen bis zur Recyclingtechnik weiter aus. Große gesellschaftliche Herausforderungen etwa im Umgang mit Elektronikschrotten, Baurestmassen, Verpackungen, Biomüll etc. bis zum Problem der Vermüllung der Meere oder der Sicherung der Rohstoffversorgung für die Elektromobilität durch Recycling von Batterien sind zu meistern aber auch der gesellschaftliche Wandel hin zu weniger Abfallerzeugung.

2. Welche Rahmenbedingungen an Ihrem Fachstandort wirken sich wesentlich auf Ihre Lehr- und Forschungspraxis aus? Wie beurteilen Sie diese?

An der TU Clausthal wurde das Thema Recycling bereits vor gut vier Jahrzehnten aufgenommen. Ausgehend von der Tradition einer alten Bergakademie war der Weg von der Aufbereitung primärer Rohstoffe zur Aufbereitung von Abfällen nicht weit. Dann erfolgte eine Ausdehnung auch in andere Fachgebiete, die sich diesem Thema stellten. Natur- und Ingenieurwissenschaften, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und die Informatik tragen in erheblichem Umfang zu Lehre und Forschung auf diesem Gebiet bei. Im letzten Jahr hat sich unsere Hochschule vollständig dem Thema "Circular Economy" verschrieben. Kern ist dabei nach wie vor das Recycling. Mittlerweile sind an der TU Clausthal 35 Professuren mit diesem Arbeitsfeld befasst. Bedingt durch alte regionale Verbindungen mit der Montan- und Hüttenindustrie, die sich im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einer Recyclingindustrie gewandelt haben, hat sich ein breites Netzwerk aus Unternehmen, öffentlichen Körperschaften, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen in unserer Region entwickelt. In dem, was wir als "Recyclingregion Harz" bezeichnen sind weit mehr als einhundert Unternehmen im Recycling aktiv, einige von diesen sind Weltmarktführer in ihren Bereichen. Unsere Universität sowie unsere Partnerhochschulen in der Region, die z.B. mit Gebieten wie der Umweltpsychologie und der Umweltsoziologie Kompetenzen beisteuern, die wir an der TU Clausthal nicht haben, steuern den Forschungs- und Ausbildungspart bei. Im gemeinsamen Verbund von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Kommunen, dem Recyclingcluster REWIMET entwickeln wir derzeit unsere Circular Region. Somit besteht ein hoher Bedarf an akademischem Nachwuchs für Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge und Forschung. Daher haben wir eine Reihe an Studiengängen aufgelegt oder neu ausgerichtet. Bei uns gibt es also keinen Studiengang "Abfallwirtschaft" sondern Bachelor- und Masterstudiengänge wie etwa "Umweltverfahrenstechnik und Recycling" mit verfahrenstechnischem Schwerpunkt, Wirtschaftsingenieurwesen/TBWL mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt auf diesem Gebiet oder Digital Technologies mit einem Schwerpunkt im Bereich Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft sowie weitere Studiengänge in diesem Feld.

3. Was spricht Ihres Erachtens dafür oder dagegen, dass Ihr Fach in der Öffentlichkeit und innerhalb des deutschen Hochschulsystems angemessen wahrgenommen wird?

Der Umgang mit Abfällen im engeren, die klassische Kreislaufwirtschaft im weiteren und die Circular Economy im weitesten Sinne tragen erheblich zur Eindämmung des Klimawandels bei. Rund die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen gehen auf Rohstoffgewinnung, -verarbeitung und -nutzung zurück. Hier haben wir einen großen Hebel. Unsere Fachcommunity ist nicht riesig aber national, europäisch und global gut vernetzt. Von der Politik und natürlich auch der Industrie selbst werden wir sehr wohl wahrgenommen und auch unterstützt. Woran wir gemeinsam arbeiten ist ein Wandel in der Gesellschaft und eine verstärkte Wahrnehmung unserer Themen insbesondere bei den jungen Generationen. Für uns ist es daher von großer Bedeutung, Schüler*innen über unsere Ziele und Angebote zu informieren. Dafür gehen wir vermehrt in die Schulen aber das genügt noch nicht. Hier muss auch ein Imagewandel des Fachgebietes stattfinden, denn Abfälle sind die Rohstoffe unserer Zukunft.

4. Haben Sie den Eindruck, dass die Vernetzung mit anderen Fächern einen Mehrwert für Ihr eigenes Fach bedeutet? Welche Kooperationsformen sind in diesem Zusammenhang für Sie interessant und mit Blick auf Ihren Fachgegenstand besonders geeignet?

Wie bereits erwähnt, ist das für unser Fach in seiner heutigen Ausrichtung existentiell. Die großen Probleme, die wir adressieren sind nur inter-, wenn nicht gar transdisziplinär zu lösen. Das spiegelt sich auch in den Curricula unserer Studienfächer wieder. Alles, was wir nicht selbst anbieten können, wie etwa Kurse aus dem Bereich der Soziologie, importieren wir über Lehrbeauftragte aus anderen Einrichtungen. Wir haben zudem bereits in der Vor-Corona-Zeit begonnen, einen Lehraustausch mit anderen Hochschulen durchzuführen. Hier bietet nun aber die Digitalisierung neue Möglichkeiten. Mit blended learning Konzepten lassen sich auch Lehrinhalte aus anderen Partnerhochschulen problemloser integrieren. Für uns ist das schon deshalb wichtig, da wir sehr international aufgestellt sind. Kaum eine andere Hochschule in Deutschland hat einen höheren Anteil ausländischer Studierender aus allen Kontinenten als Clausthal. Damit verbunden sind auch viele Partnerschaften mit Hochschulen anderer Länder. Letztlich haben wir auch gerade begonnen erste gemeinsame Studiengänge mit anderen Hochschulen durchzuführen.

5. Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Fachs? Welche Entwicklungen und Herausforderungen zeichnen sich für Sie ab?

Aus der klassischen Abfallwirtschaft sind in den letzten Jahren eine Vielzahl spezifischer Studiengänge entstanden, so hat z.B. unser Masterstudiengang "Umweltverfahrenstechnik und Recycling" 2020 sein zehnjähriges Bestehen feiern können. Diese Entwicklung und Diversifizierung wird sich fortsetzen, denn die Umwelttechnik im allgemeinen und der Umgang mit Abfällen insbesondere ist einer der größten Wachstumsmärkte in Deutschland und weltweit, was sich gut an der wachsenden Zahl der Arbeitsplätze oder am Umsatz in diesem Bereich ablesen lässt. In Deutschland lag die Zahl der im Bereich der Kreislaufwirtschaft Beschäftigten im Jahr 2018 bereits bei 270.000 Menschen, Tendenz steigend. Was hilfreich wäre, was wir selbst in die Hand nehmen müssen, wo wir aber auch jede Unterstützung benötigen, die wir bekommen können, ist die Kommunikation in alle Richtungen. Die Natur wartet nicht, wir müssen handeln und zwar jetzt und dafür müssen wir junge Menschen begeistern.

(1) "Die Ära der Ökologie", Joachim Radkau, 2011.

Daniel Goldmann (Fotograf Christian Kreutzmann)

Daniel Goldmann ist seit 2008 Professor für Rohstoffaufbereitung und Recycling an der Technische Universität Clausthal und leitet das Institut für Aufbereitung, Deponietechnik und Geomechanik (IFAD). Zuvor war er in der Wirtschaft tätig, u.a. als Manager Altfahrzeug-Recycling der Volkswagen AG. Goldmann ist Vorsitzender des Vorstands des CUTEC Clausthaler Umwelttechnik Forschungszentrums sowie Wissenschaftsvorstand des Recyclingclusters REWIMET. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Kreislaufwirtschaftssysteme und Recyclingtechnologien. Weitere Informationen